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"Ohne Wachstum wird man von den Schulden nicht herunterkommen"

Italiens ehemaliger Ministerpräsident Lamberto Dini hat sich dafür ausgesprochen, zur Konsolidierung der Haushalte in den EU-Staaten die Konjunktur zu stärken. Sparen allein sei eine kurzsichtige Politik. Finanzmarkt-Spekulationen gegen Italien und Spanien halte er überdies für nicht gerechtfertigt, betonte Dini.

Lamberto Dini im Gespräch mit Christoph Heinemann | 26.11.2010
    Christoph Heinemann: Bekenntnis zum Euro, das ist das Zuckerbrot, plus Peitsche, also Pochen auf Haushaltsdisziplin, die bis in die Gegenwart hinein in Berlin so groß nun auch nicht geschrieben wurde und wird. Angela Merkel in dieser Woche im Deutschen Bundestag:

    "Es bleibt sozusagen unsere Aufgabe, die harten Maßnahmen, die harten Anforderungen immer wieder zu vertreten, aber auf der anderen Seite auch ein klares Bekenntnis zum Euro auszusprechen. Das ist manchmal nicht einfach in der Diskussion, aber ich glaube, es ist elementar wichtig, und ich sage auch, es war richtig, dass wir jetzt auch härtere Sanktionsmechanismen eingeführt haben für die Umsetzung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes, sowohl was das Defizit anbelangt, was die Gesamtverschuldung anbelangt, aber vor allen Dingen auch, was die makroökonomische Harmonisierung anbelangt."

    Heinemann: Die Bundeskanzlerin - wir haben es gehört - sprach von der makroökonomischen Harmonisierung, und was er sich darunter vorstellt, erläutert Sven Giegold, Europapolitiker von den Grünen:

    "Wir müssen uns auf einiges noch gefasst machen. Portugal, Spanien haben gegenüber Deutschland nach wie vor große Wettbewerbsprobleme, und die gehen nicht davon weg, dass man Irland und Griechenland rettet, sondern wir brauchen endlich eine gemeinsame Wirtschaftspolitik in Europa, die dafür sorgt, dass nicht mehr jeder seine Privilegien weiterführt, die einen überschulden sich, die anderen machen Lohn- und Sozial-Dumping, sondern wir brauchen gemeinsame Wirtschaftspolitik in der Eurozone. Ohne diese gemeinsame Wirtschaftspolitik werden wir aus der Krise nicht herauskommen."

    Heinemann: Die strukturellen Veränderungen sind eines, die Nothilfe etwas anderes. Nach Bundesbankpräsident Axel Weber denken nun auch Wirtschaftsexperten laut über eine deutliche Aufstockung des Euro-Rettungsschirms nach. Das Weltwirtschaftsinstitut schlägt eine Erhöhung des Garantierahmens um 500 Milliarden Euro auf 1,25 Billionen Euro vor. Die Wochenzeitung "Die Zeit" berichtet unterdessen über ein Arbeitspapier der Bundesregierung; es beschreibe eine Staatengemeinschaft, in der sich die Länder in Krisen gegenseitig retten und bestrafen. Das Verbot, Länder herauszukaufen, Bail-out, bislang als Teufelszeug verschrien, stehe danach künftig nur noch auf dem Papier. Die nationalen Regierungen sollten sich in Steuer- und Haushaltsfragen künftig gegenseitig kontrollieren. Der Rettungsschirm für die Eurozone könnte sich in einen dauerhaften Krisenfonds entwickeln. - Das alles vor dem Hintergrund der Sorge, unter dem Rettungsschirm könne der Platz eng werden. Griechen und Iren hängen am Tropf, Portugal und Spanien gelten als tropfverdächtig, und wenn dann auch noch das Heimatland unseres Gesprächspartners folgen sollte, dann Prost, Mahlzeit. Lamberto Dini war italienischer Ministerpräsident, Generaldirektor der Banca d'Italia und ist jetzt Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses des italienischen Senats. Ihn habe ich vor dieser Sendung gefragt, ob er damit rechnet, dass auch noch andere Staaten den EU-Rettungsfonds in Anspruch nehmen müssen.

    Lamberto Dini: Das wünsche ich mir nicht. Für das Überleben der Eurozone ist der Mechanismus notwendig, den die Staats- und Regierungschefs für die Zeit bis 2013 beschlossen haben, den Fonds in Höhe von 750 Milliarden Euro für Notfälle. In der irischen Haushaltspolitik kam es zu Maßlosigkeiten. Aber um diese zu korrigieren, benötigt Irland Zeit und natürlich die Sparanstrengungen, die jetzt auf den Weg gebracht wurden.

    Heinemann: Schließen Sie definitiv aus, dass ein ähnliches Risiko für Spanien und vielleicht auch für Italien besteht?

    Dini: Die Lage Spaniens rechtfertigt den Druck der Märkte nicht - und noch weniger die Lage Italiens. Spanien verfügt über eine niedrige Verschuldung. Es stimmt zwar, dass Spanien infolge der Rezession ein beachtliches Haushaltsdefizit aufweist, aber Spanien hat auch die entsprechenden harten Maßnahmen ergriffen. Fünf Prozent Gehaltskürzungen, keine automatischen Lohnsteigerungen mehr. Spanien ist eher solide aufgestellt und sollte nicht der Spekulation anheimfallen.

    Heinemann: Und Italien noch weniger?

    Dini: Und Italien noch weniger. Wir haben zwar hohe Schulden, aber Italien verfügt zum Glück über eine hohe private Sparquote. Und wenn man die Verschuldung der Wirtschaft und die öffentliche zusammen betrachtet, liegt Italien nicht über dem Wert vieler anderer Staaten.

    Heinemann: "Informationen am Morgen" im Deutschlandfunk, ein Gespräch mit dem früheren italienischen Ministerpräsidenten Lamberto Dini. - Deutschen Presseberichten zufolge bereitet die Regierung in Berlin eine Initiative für einen europäischen Mechanismus vor mit weitreichenden Befugnissen etwa für die Steuer- oder der Haushaltspolitik der einzelnen Mitgliedsstaaten. Würde Italien einen solchen Mechanismus akzeptieren?

    Dini: Den Mechanismus ja, denn es geht ja - und wir haben dafür die ersten Anzeichen - um eine Koordinierung der Haushaltspolitiken der Mitgliedsstaaten, damit der Stabilitätspakt gestärkt wird. Wenn allerdings Staaten mit einem hohen Defizit dieses drastisch zurückfahren müssten, könnte dies zu Schwierigkeiten führen. Das könnte das schwache Wachstum, das wir heute haben, bremsen oder sogar ersticken.

    Heinemann: Eine strengere Haushaltspolitik, die von der Europäischen Union auferlegt wird, würde Italien also nicht akzeptieren?

    Dini: Das hinge von den Maßnahmen ab. Italien verfolgt bereits eine Austeritätspolitik. Nur Deutschland verfügt gegenwärtig über ein Wachstum von 3,5 Prozent in diesem, vielleicht auch im kommenden Jahr. Es ist richtig, dass die Regierenden Ihres Landes die Eurozone auf drei Prozent Defizit und schrittweise auf eine Verringerung der Verschuldung im Verhältnis zum Inlandsprodukt zurückführen möchte. Das ist für die Stabilität des Systems sakrosankt. Aber es müsste auch die Bereitschaft bei den Regierenden Ihres Landes bestehen, dass Europa das Wachstum in den Eurostaaten ankurbeln kann. Diese Bereitschaft sehe ich nicht. Das ist aber eine kurzsichtige Politik, denn ohne Wachstum wird man von den Schulden nicht herunterkommen.

    Heinemann: Aber geht es heute nicht darum, um jeden Preis zu sparen?

    Dini: Sparen reicht nicht, wenn nicht auch das zweite Bein, Wachstum, im Spiel ist. Und wie fördert man Wachstum? Diese Frage sollten sich die in Deutschland Regierenden stellen.

    Heinemann: In Italien ist die politische Lage instabil: Am 14. Dezember stimmt das Parlament über die Vertrauensfrage ab. Werden die Italiener anschließend zu den Wahlurnen gehen?

    Dini: Diese Frage kann Ihnen gegenwärtig niemand beantworten. Ich hoffe, dass es eine Mehrheit gibt, dass sich die Verantwortung durchsetzt, gerade jetzt, wo auf den Märkten so viel los ist und die Spekulation schwächere Länder angreift: nach Griechenland Irland, vielleicht Portugal und Spanien. Das ist nicht der richtige Augenblick für eine Regierungskrise in Italien.