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Ohne Wiederkehr

Aus Schloss Friedenstein im thüringischen Gotha wurden im Winter 1945/46 rund 2000 Gemälde, 120.000 Münzen und die Porzellansammlung nach Moskau verfrachtet. Vieles wurde später an die DDR gegeben, von dort aber für Devisen weiterverkauft.

Von Hilde Weeg | 15.07.2010
    Schloss Friedenstein hat ein neues Wahrzeichen: die kostbare Silber- und Goldfigur eines Elefanten, gefertigt in der Meisterwerkstatt des Josef Dinglinger. Museumssprecher Roland Krischke freut sich:

    "Weil wir in gewisser Weise so ein Elefantenschloss sind, weil die Herzöge den dänischen Elefantenorden erhalten haben und haben sich daran berauscht - ein Thema, das wir mit einer Ausstellung 'elefantastisch' beleuchten werden."

    Dinglingers Elefant grüßt die Gäste in der neu eingerichteten Kunstkammer, im ersten Obergeschoss der weitläufigen Anlage:

    "Die neue Kunstkammer auf Schloss Friedenstein, die auch gerne als das Thüringer Grüne Gewölbe bezeichnet wird, teilt sich zwei große Bereiche: in die historisierende Kunstkammer - so kann man sich vorstellen, hat der Herzog die Kostbarkeiten wie Elfenbein, Bernstein, Gold und Silber seinen Gästen präsentiert. Wir wollen die barocke Fülle hier zeigen. Es schließen sich an eine Reihe von Räumen, in denen einzelne Stücke präsentiert und in neuem Licht gezeigt werden."

    Vor 65 Jahren, am Ende des Zweiten Weltkriegs, war zunächst Schluss mit der barocken Fülle. Die Amerikaner hatten Thüringen erobert und befreit:

    "Aber es war im Bewusstsein, dass Thüringen Teil der russischen Zone werden soll und man wusste, dass Kunst nach Russland abtransportiert werden soll, und das führte dann dazu, dass das Herzogshaus versucht hat, Kunstwerke zu retten","

    erzählt Martin Eberle, Direktor der Stiftung Schloss Friedenstein. Ein kleiner Teil wurde auf den Stammsitz der Familie nach Coburg gebracht, einige Stücke verschwanden auch in den Taschen amerikanischer Soldaten, von Mitarbeitern oder von Flüchtlingen, die zeitweise auf dem Schloss einquartiert waren. Der Großteil der Sammlungen, darunter rund 2000 Gemälde, 120.000 Münzen oder die Porzellansammlung, wurde im Winter 1945/46 Eisenbahn-waggonweise über Leipzig und Berlin nach Moskau gebracht. Eberle:

    ""Die Sachen sind ausgesprochen gut behandelt worden - ist ja auch klar, das sollte Ausgleichskunst werden, man wollte das in Moskau und St. Petersburg zeigen, das war ja nicht für den Verkauf bestimmt."

    Die Bestände waren gut inventarisiert, die sowjetischen Kunsthistoriker planten schon seit 1943, was genau sie in Gotha als Kompensation für zerstörte oder geraubte russische Kunst holen wollten. Leider wurde beim Abtransport im Schloss keine Liste mehr angelegt. So lässt sich bis heute bei vielen Stücken nicht klären, wo sie geblieben sind, zum Beispiel fehlt dieser Nachweis von allein 23 Cranach-Gemälden. Zwar gaben die Russen in den Jahren 1956 bis 58 einen Großteil der deutschen Kunstsammlungen wieder zurück. Darunter auch eines der Herzstücke der Sammlung: das Gothaer Liebespaar, das ein Meister des Amsterdamer Kabinetts um 1480 geschaffen hatte.

    "Im Zuge des Kalten Krieges musste man die DDR als Bündnispartner pflegen, das war der Anfang."

    Einfluss darauf, was und wie viel zurückkam, hatte die DDR aber nicht. So fehlen allein in Gotha bis heute rund 200 Gemälde. Die meisten Bilder sind im Moskauer Puschkinmuseum und vermutlich in der Eremitage, aber so ganz genau weiß es auch Eberle nicht. Nachhaken oder gar hinfahren ist auch nach vielen Jahren der Diplomatie und der Verhandlungen nicht möglich, obwohl auch Eberle Mitglied der Initiative Deutsch-Russischer Museumsdialog ist.

    "Neugierig wäre ich ja auf die Dinge, die in den Depots sind - ich glaube aber nicht, dass ich dazu eine Einladung kriege. Es gibt Dinge, die sind ausgestellt, auch mit dem Hinweis auf die Provenienz. Aber interessanter sind die Dinge, die nicht ausgestellt sind. Ganz wichtig wäre: Was ist denn da von dem, was wir vermuten? Ist es noch da, und in welchem Zustand ist es?"

    Solche Fragen betreffen übrigens nicht nur Kunstwerke, die in Russland vermutet werden. Auch zu DDR-Zeiten verschwand einiges, vor allem in den 70er- und 80er-Jahren. Damals nahm der Staat Kunstgegenstände von privaten Sammlern und aus Museen an sich, um damit Devisen zu beschaffen. Eberle vermutet so ein Vorgehen auch bei einem Vorfall im Schloss Friedenstein aus dem Jahr 1979. Damals wurden fünf sehr wertvolle Gemälde, darunter Breughel, Holbein oder van Dyck, als gestohlen gemeldet. Merkwürdig ist, dass die Diebe die Gemälde mit Rahmen stahlen, ihre Beute durch einen weitläufigen Park tragen mussten - und dass die intensiven polizeilichen Ermittlungen völlig ergebnislos verliefen. Die Vermutung, dass der Staat hier selbst zugegriffen hat, liegt nahe.

    "Die sind verschwunden, sind nie wieder aufgetaucht im Kunsthandel. Wir wissen im Endeffekt nur über den Diebstahl kurz vor Einbau der Alarmanlage. Und dann gab es Fleischhandel über die bayerische Grenze - und just an diesen Abenden sind die Einträge rausgerissen. Es ist schon seltsam, nichts Genaues weiß man nicht. Hier gilt das Gleiche wie mit Russland: Gibt es die Gemälde noch, in welchem Zustand sind sie."

    Natürlich wäre es Eberle am allerliebsten, wenn alle er all seine vermissten Schätze wieder versammeln könnte, ob sie nun gen Westen oder Osten verschwunden sind. Was aber Russland betrifft: Anders als manche seiner Kollegen zeigt Eberle Verständnis für die russische Position. Für ihn wäre schon viel gewonnen, wenn überhaupt ein echter Dialog wieder aufgenommen wird:

    "Drei Schritte: Verständnis auf beiden Seiten, einen normalen wissenschaftlichen Austausch - und ich wäre nicht traurig, wenn die Sammlungen hier in Gotha wieder gezeigt werden können."