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Ohne Worte

Um den Sprachenstreit zwischen Flamen und Wallonen war es in Belgien in letzter Zeit etwas ruhiger geworden – was nicht heißt, dass die beiden Volksgruppen sich nun zusammengerauft hätten. Zwar zeigen sich viele Belgier genervt, wenn sie das Wort Sprachenstreit hören, doch auf politischer Ebene geht die Auseinandersetzung weiter.

Von Doris Simon |
    2009 war kein gutes Jahr für Belgien: Die Auswirkungen der Finanzkrise haben die Arbeitslosenzahlen deutlich ansteigen lassen, erstmals auch im reichen Flandern im Norden Belgiens. Wenn Opel-Magna das Werk in Antwerpen schließt, werden es noch ein paar Tausend mehr, viel für ein Land mit knapp zehn Millionen Einwohnern. Die Entscheidungen fallen nicht in Belgien, sondern anderswo. So versucht die französische Bank BNP Paribas nur ein paar Monate nach dem Kauf der einst größten belgischen Bank Fortis, den belgischen Staat per Kapitalerhöhung aus der Bank herauszudrängen.

    Den Goldesel Electrabel, der zwei Drittel des belgischen Energiemarktes beherrscht, hat sich längst die französische GDF Suez geschnappt, der andere französische Stromriese EDF griff beim zweitgrößten belgischen Versorger zu. Hinter beiden Konzernen steht der französische Staat. Das erklärt auch, warum die Strompreise in Belgien in der EU-Spitze liegen, die französischen Verbraucher dagegen relativ gut wegkommen. Aus Geldmangel und weil alternative Energien nicht vorangetrieben wurden, dürfen nun drei uralte belgische Atommeiler zehn Jahre länger als vorgesehen am Netz bleiben.

    Als Gegenleistung für die Laufzeitverlängerung zahlt GDF Suez fünf Jahre lang 240 Millionen Euro in die klamme belgische Staatskasse – ein Taschengeld angesichts der Gewinne, die die längst abgeschriebenen Kernkraftwerke dem Konzern bringen.
    Doch die Wirtschaftskrise hatte auch etwas Gutes: Der lähmende Streit um die Zukunft Belgiens zwischen Flamen und Frankophonen kochte auf kleiner Flamme. Erst die wirtschaftlichen Anstrengungen, im Frühjahr die Staatsreform, das war die Marschroute von Premier Herman van Rompuy.

    "Unsere Bemühungen heute hatten nichts mit der Staatsreform zu tun. Um die müssen wir uns später kümmern, aber wenn es nach mir geht, nicht allzu spät."

    Inzwischen ist der Streit über die Zukunft Belgiens wieder entflammt. Unter den Frankophonen herrscht Aufruhr, weil das flämische Parlament beschlossen hat, dass künftig flämische Verwaltungsinspekteure künftig die französischsprachigen Schulen in Flandern kontrollieren sollen. Bisher kümmert sich die frankophone Gemeinschaft um die Verwaltung. Nun soll sie nur noch für den Unterricht und die Lehrer zuständig sein. Solche Schulen mit Sonderstatus gibt es in einer Handvoll gemischtsprachiger Gemeinden in Belgien, die meisten davon rund um Brüssel.

    Da es solche Schulinspektionen durch eine anderssprachige Behörde auch anderswo in Belgien gibt, ist das Klima zwischen Flamen und Frankophonen inzwischen so vergiftet, dass man auf frankophoner Seite gleich das Schlimmste annimmt, wenn sich am Status quo etwas ändert
    Besonders gilt das für die überwiegend französischsprachigen Gemeinden auf flämischem Boden rings um Brüssel.

    Diese gehören zum letzten gemischtsprachigen Wahl-und Gerichtsbezirk Belgiens: Brüssel-Halle-Vilvoorde, jeder Belgier kennt ihn unter dem Kürzel BHV. Die Flamen wollen ihn teilen, die Frankophonen wollen alles so lassen wie bisher, weil es für sie besser ist. Daran haben sich bisher alle belgischen Premierminister die Zähne ausgebissen. Das Schicksal droht jetzt auch Herman van Rompuy. Er hat ein besonders Zeitproblem: Im Juli 2010 übernimmt Belgien den Vorsitz in der EU. Bis dahin sollte das belgische Dauerproblem eigentlich befriedet sein. Eine Krise im europäischen Scheinwerferlicht ist der Albtraum des belgischen Premiers. Doch Bart de Wever, der Vorsitzende der NVA, die für ein unabhängiges Flandern kämpft, zeigt sich unbeeindruckt:

    "Der Premier will den EU-Vorsitz nutzen, um einen Kompromiss durchzudrücken, nach dem Motto:Jetzt muss es schnell gehen. Und immer müssen die Flamen dafür sorgen, dass es nicht zu einer Krise kommt, nie müssen die Frankophonen Zugeständnisse machen. Der Premier probiert das, woran schon alle seine Vorgänger gescheitert sind."

    Das Schlimmste wenden nun die deutschsprachigen Belgier ab: Das Parlament der deutschsprachigen Gemeinschaft verhindert über eine Verfassungsklausel, dass die belgische Regierung sich sofort mit der Teilung des umstrittenen Wahlkreises beschäftigen muss- damit wäre der Rücktritt der frankophonen Minister und der Sturz der belgischen Regierung unvermeidbar gewesen.

    Für die Deutschbelgier ist es ein Drahtseilakt, denn als kleinste Sprachgruppe pflegen sie ein gutes Verhältnis sowohl zu den Frankophonen als auch zu den Flamen. Aber sie wollen auch eine Zukunft für Belgien – und haben deshalb dem Premier kostbare Zeit geschenkt, um eine Lösung auszuhandeln für den Sprengsatz unter ihrem Land.