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Ólafur Arnalds' neues Album "re:member"
Selbstspielende Kreativität

Das neue Album von Ólafur Arnalds zeichnet sich durch den Einsatz der bahnbrechenden neuen Software "Stratus" aus. Gemeinsam mit einem Audio-Entwickler hat Arnalds in den vergangenen Jahren an der Software gearbeitet, die das Klavier zu einem einzigartig neuen Instrument werden lässt.

Von Dennis Kastrup | 25.08.2018
    Zwei Pianos und eine Software. Zusammen sind sie das Herzstück des neuen Albums von Ólafur Arnalds. Man muss sich die beiden Klaviere etwa so wie die in alten Westernfilmen vorstellen: Niemand sitzt davor und die Tasten werden wie von Geisterhand gedrückt.
    Ólafur Arnalds: "Für mich war es nicht so interessant, dass es selbständig spielt und die Tasten von Motoren und Robotern bewegt werden. Daraus wird schnell eine Spielerei. Mich hat interessiert, wie man den kreativen Prozess durch das Verändern des eigenen Klavierspiels manipulieren kann."
    Genau dafür ist die Software zuständig, die Arnalds zusammen mit seinem Programmierer Halldór Eldjárn ausgearbeitet hat.
    Wie das sanfte Plätschern von Wasser
    Gesteuert wird sie von dem "Moog Piano Bar", einem MIDI Klavier. Ein Tastendruck löst Befehle aus, die von "Stratus" übernommen und dann auf die anderen beiden Instrumente übertragen wird.
    Arnalds: "Es fühlt sich wie ein Arpeggiator bei einem Synthesizer an. Man spielt einen Akkord und der Synthesizer spielt den Rhythmus. Das basiert irgendwie auf demselben Konzept. Ich spiele Akkorde und das Klavier macht daraus aber keine Arpeggios, sondern komplexe Rhythmen. Das fühlt sich auf jeden Fall wie das Spielen eines weiteren Instruments an."
    Drückt Arnalds zum Beispiel eine Note oder einen Akkord, löst das bei den anderen Klavieren einen Impuls aus. Basierend auf dessen Klangfarbe, werden dann mehrere Töne hinzugefügt. Man könnte es vielleicht wie das sanfte Plätschern von Wasser beschreiben.
    Kreativität wird durch die Software gefordert
    Arnalds: "Es ist jetzt also nicht so, dass ich die Taste drücke und dann bloß die eine Note höre. Jetzt drücke ich eine Note und verschiedene Dinge passieren. Das ist also ein anderes Zusammenspiel mit dem Instrument. Daraus entstehen neue Ideen, Melodien und Rhythmen, an die man vorher gar nicht gedacht hätte."
    Die Software beeinflusst also die Kreativität des Pianisten. Arnalds und sein Partner haben sie so programmiert, dass unerwartete Harmoniefolgen erzeugt werden. Das bedeutet: Würde er normalerweise zum Beispiel am Klavier improvisieren und in einer bestimmten Tonart spielen, würde sein Gehirn automatisch versuchen, Töne in einer dazu passenden Tonart hinzuzufügen. Von diesem Muster weicht "Stratus" ab. Eine unerwartete Tonfolge zwingt den Pianisten, anders darauf zu reagieren. So entsteht ein Zusammenspiel, ähnlich dem einer Jazzband, nur eben für drei Klaviere.
    Arnalds: "Die erzeugten Klangstrukturen sind so komplex, dass sie sich nicht wirklich wiederholen. Wenn das in einer Art Schleife gespielt würde, bräuchte man mehrere Stunden, um wieder an den Anfang zurück zu kommen. Deshalb weiß man nie, was einen erwartet."
    Maschinen steuern klassische Instrumente
    Arnalds liegt damit im Trend. Immer öfter steuern Maschinen klassische Instrumente. Neu ist es aber nicht. Schon im 18. Jahrhundert ließ der Uhrenmacher Joseph Möllinger von einer Puppe ein sogenanntes Hackbrett spielen. In den 80ern drückte der japanische Roboter WABOT-2 erstaunlich akkurat die Tasten eines Klaviers. Das Besondere an "Stratus" ist seine autonome Spielweise. Die Kreativität wurde ihr von seinen beiden Entwicklern quasi in die Wiege gelegt.
    Arnalds: "Als Musiker will ich meine Ideen sofort umgesetzt haben. Aber mein Programmierer braucht dafür weitere acht Stunden. Wenn er also am nächsten Tag endlich damit fertig ist, habe ich wieder eine neue Idee."
    Òlafur Arnalds reiht sich mit seinem neuen Album in die modernen Pianisten wie Hauschka oder Nils Frahm ein. Sie alle experimentieren mit ihrem Instrument und versuchen damit Grenzen zu sprengen. Das stößt nicht immer auf Wohlwollen. Kritiker bemängeln die Vernachlässigung des eigentlichen Spielens. Arnalds könnte rein theoretisch nur eine Taste drücken und es würde gut klingen. Das gibt er offen zu. Deshalb geht es bei "re:member" auch nicht um sein Können, sondern die Bereitschaft, Kontrolle abzugeben. Damit schenkt er der Kreativität der Maschine Raum. Am Ende ist es nämlich egal, wer oder was spielt, Hauptsache es berührt die Zuhörer!
    Arnalds: "Ich hasse es, wenn sich Leute einschränken, weil bestimmte Dinge so sein müssen. Für mich ist es das totale Gegenteil. Wenn mir viele sagen, dass ich das nicht mit dem Klavier machen kann, dann will ich das noch viel mehr machen. Ich will das brechen!"