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Oliver Hilmes "Witwe im Wahn, Das Leben der Alma Mahler-Werfel"

Oskar Kokoschka schwärmte von ihr, sie sei "schön und verführerisch wie keine andere Frau", Franz Werfel war sie "Lebensspenderin und Hüterin des Feuers", Adorno hingegen, der gerne über weibliche Frigidität schwadronierte, scheint sich vor ihr gefürchtet zu haben und bezeichnete sie als "Monstrum". Die Rede ist von Alma Mahler–Werfel, jener "femme fatale", die mit Gustav Mahler, Walter Gropius und Franz Werfel verheiratet war, aber auch zahlreiche andere Künstler und Intellektuelle in ihr Bett und in ihre Einflusszonen lockte. Fünf Biographen haben sich bislang an deren widersprüchlichem Leben abgearbeitet, aber keiner von ihnen konnte eine überzeugende Antwort auf die Frage geben, was so viele, vor allem jüdische Künstler, an dieser schönen Hysterikerin und glühenden Antisemitin anzog.

Von Ariane Thomalla | 21.03.2005
    Noch einmal Alma Mahler-Werfel? Noch einmal ein Enthüllungsbuch über die Genies verschlingende "femme fatale" der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts? Die doppelte Witwe, die, aufgewachsen im erotisch schwülen Wien der Jahrhundertwende und in der sexuell aufgeladenen Atmosphäre einer flatterigen Künstlerfamilie, gleich zwei Ehegatten unter die Erde brachte? Gustav Mahler, den sie als Sterbenden durch den permanenten Ehebruch mit dem jungen Architekten Walter Gropius in Verzweiflung stürzte, und Franz Werfel. Ihr "Franzl – ihr Mannkind", wie sie ihn nannte. Kaum aufzählbar sind die von ihr während eines langen Lebens eingesammelten Genies als Liebhaber, von den Komponisten Alexander von Zemlinsky und Franz Schrecker oder Hans Pfitzner, der der schönen gewaltigen Frau vergeblich zu Füßen lag. Bis zu Oskar Kokoschka, mit dem sie jahrelang eine "amour fou" durchlebte, die beide, als sie in ihren Achtzigern standen, noch in der Korrespondenz bewegte. "Mein Mann muss erstrangig sein", schrieb sie 1917 mit kalter Wut an Gropius im Feld. Er hatte es als ihr Gatte gewagt, auf der Heeresschule für das Nachrichtenwesen auch für die Ausbildung von Kriegshunden verantwortlich zu sein, und sich auch noch amüsiert als Leiter einer "Hundeschule" zu bezeichnet. Da verstand die nach genialer Prominenz strebende Dame keinen Spaß.

    Geschichten, die bekannt sind. Warum also noch die sechste Biographie, auch noch unter dem reißerisch alliterierenden Titel "Witwe im Wahn"? Weil, erklärt Oliver Hilmes, der Verfasser, ein Musikwissenschaftler, seine Vorgänger auf "lückenhafter Quellenbasis" gestanden hätten. Ihm sei das große Glück widerfahren, erstmals den unveröffentlichten Briefwechsel zwischen Alma und Oskar Kokoschka auswerten zu können nebst vielen anderen bisher unerschlossenen Briefen und Interviews aus Nachlässen anderer naher Zeitgenossen. Vor allem aber, und da wird Hilmes fast andächtig ausführlich, gelang ihm ein prächtiger Fund in der Van-Pelt-Library der University of Pennsylvania in Philadelphia. In den "Sarkophagen gleichen" 46 mangelhaft aufgelisteten Archivkästen des Alma-Mahler-Nachlasses fand er ein 380-seitiges Typoskript, das er als Abschrift der verschollenen Tagebücher identifizierte, datiert vom Juli 1902 bis Februar 1944, abgeschrieben von ihr selbst. Offensichtlich habe sie das Tagbuch aus seiner Lose-Blatt- und Zettel-Existenz retten und später wohl vernichten wollen. Privateste Aufzeichnungen also, deren Schonungslosigkeit, soweit von Hilmes angeführt, frappiert. Spontane Niederschriften aus Verletztheit, Wut, Ärger, Trotz, Hass. Zeugnisse deshalb von schonungsloser Herzlosigkeit, Selbstsucht, Intriganz und trotz aller Liebesrauschhaftigkeit Liebesunfähigkeit dieser Frau. Das Tagebuch als Ventil. Hätte sie es so veröffentlicht haben wollen? Mit Sicherheit nicht. Nicht umsonst bat sie, die Zeichen der Zeit erkennend, Willy Haas 1960 als Lektor ihrer Memoiren:

    "Lasse bitte die ganze Judenfrage in der Versenkung verschwinden. "

    Insofern fühlt man sich bei der spannenden Lektüre dieses Buchs oft in die ungute Rolle des Voyeurs gedrängt. Sicher hätte Alma nie die Nachwelt in Kenntnis haben wollen, dass sie, als sie mit Werfel in Gesellschaft von Heinrich und Golo Mann zu Fuß über die Pyrenäen nach Portbou floh und dabei wie selbstverständlich dem staunenden Varian Fry vom Emergency Resume Committee ihre zwölf Koffer per Zug über die Grenze schaffen ließ, niederschrieb:

    "Ich werde jetzt mit einem mir artfremden Volk bis ans Ende der Welt wandern müssen. Und ich gehöre nicht dazu. "

    Denn ihr Sinn stand anderswo:

    "Ich kann trotzdem nicht anders als mit größter Bewunderung diesem heldischen Menschen (Hitler) zuschauen, wie er sieghaft über die Menschheit schreitet. "

    Das inhaltliche Skandalon dieses akribisch recherchierten Buchs ist der atemberaubend schreckliche Antisemitismus dieser Wienerin. Vor allem dort, wo sie ihn nutzt, um ihre jüdischen Männer als minderwertig zu demütigen. Zemlinsky, Mahler, später Werfel:

    "Werfel ist ein O-beiniger fetter Jude mit wülstigen Lippen und schwimmenden Schlitzaugen."

    Eine Domina? Eher eine mit dem Leben unzufriedene, flatterhafte Hysterikerin, die herrschsüchtig und menschenverachtend um sich schlug. Hysterikerin auch in ihrem Drang zu Intrigen, zum Doppelspiel bis hin zum Verrat. Eine gefährliche Frau. Beim Dr. Faustus-Streit zwischen Arnold Schönberg und Thomas Mann um das geistige Eigentum der Zwölftonmusik notierte Thomas Mann: "Alma Mahler-Werfel als Zwischenträgerin." Der aus ihrem Tagebuch schlagende Antisemitismus macht noch einmal deutlich, wie stark Österreich da grundiert war. So stark, dass eine Mutter wie Alma Mahler-Werfel zeitweilig ihre Tochter Anna Mahler als "Mischling" ablehnte und die andere Tochter, Manon Gropius, als "arischen Engel" stirilisierte. Zeitgeschichtlich interessant ist auch die enge Verquickung der Mahler-Werfels mit dem austrofaschistischen Ständestaat. Man kannte Kanzler Schuschnigg, der sich lebhaft für Anna interessierte. Man fuhr zum Duce nach Rom. Alma konvertierte in diesem Klima zum Katholizismus, nicht ohne gleich eine Affäre mit einem politisch wichtigen Ordensmann einzufädeln. Sie soll ihn im heimlichen Liebesnest mit Kaviar und Champagner gefüttert haben.

    "Ich verehre diesen Menschen bis zum Niederknien. "

    Hemmungslos, schreibt sie, habe sie bei der Beichte geweint. Im Tagebuch steht, dass sie ihren Salon ein wenig ajudifizieren wollte. Stolz auf ihre Leistung, Ehemann Werfel stramm an sein Buch "Die vierzig Tage des Musa Dagh" gebracht zu haben, heißt es dort:

    "Und wieder bin ich ihm Ansporn zu seiner Arbeit – durch mein reines, gesundes Ariertum: Eine dunkle Jüdin hätte schon längst eine Abstraktion aus ihm gemacht. Er hat diese Gefahr in sich. "

    Welch Geistes und welcher Familie Kind sie war, zeigt das Ende von Stiefvater, Stiefschwester und Schwager. Sie erlebten den Untergang des Tausendjährigen Reichs als ihren eigenen und starben gemeinsam durch Gift. Und dennoch: Sie spielte wunderbar Klavier. Vor allem Bach. Später nur für Werfel. Nie für andere. Die lauschten vor der Tür. Und: Sie war eine geniale Gastgeberin, ob in Wien, ob in Deutsch-Kalifornien oder zuletzt in New York. Kaum auf der Landebrücke in New York im Exil angekommen, lässt sie Zuckmayer gleich wissen:

    "Kommt morgen nachmittag nicht später wie sechs in mein Hotelzimmer. Es sind ein paar wichtige Leute da, sehr wertvolle Beziehungen, aber nicht all den Juden sagen. "

    Die Bilanz? Trotz der monströsen Antisemitismen und überhaupt so manchem Monströsen in ihrem Charakter, gewinnt Alma Werfel dank Oliver Hilmes auch in diesem Buch. Wie sonst hätten sich alle zu ihrem siebzigsten Geburtstag eingefunden, begeistert, dankbar – mit Respekt. Sie schaffte es immer wieder, dennoch eine kleine Königin zu sein, "eine Menschennatur in Weibsgestalt, eine große Frau", sprach Thomas Mann bei diesem Anlass. Feuchtwanger, Zuckmayer, Strawinsky, Bruno Walter und mehr künstlerische Prominenz schlossen sich an. Auch Kokoschka und Gropius im fernen Europa. Arnold Schönberg komponierte ihr einen Geburtstagskanon.

    Ariana Thomalla über Oliver Hilmes, "Witwe im Wahn, Das Leben der Alma Mahler-Werfel". Die Biographie ist im Münchner Siedler Verlag erschienen, 477 Seiten, 24 Euro.