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Oliver Schröm: Al Qaida - Akteure, Strukturen, Attentate

"Warum sollten Angst, Tod, Zerstörung, Vertreibung, Verwaisung und Verwitwung weiterhin unser Schicksal bleiben, während Sicherheit, Stabilität und Glück euer Schicksal sind. Es ist Zeit abzurechnen." Das war Osama bin Ladens Botschaft an die westliche Welt im Dezember 2002. Seit nunmehr zehn Jahren führen er und seine Anhänger einen erbitterten Kampf gegen die westliche Welt, gegen die USA im besonderen. Wie hat sich das Al Qaida-Netzwerk entwickelt? Welche Gefahr geht derzeit davon aus, wie organisieren sich die Terroristen weltweit? Diesen Fragen sind der deutsche Journalist Oliver Schröm und die US-amerikanische Terrorismus-Expertin Rita Katz nachgegangen und dabei zu ebenso erschreckenden wie lesenswerten Ergebnissen gekommen.

Rolf Clement |
    Aufgrund von Unzulänglichkeiten, Pannen und wohl auch Dilettantismus konnten Terroranschläge in den USA und gegen US-Einrichtungen nicht verhindert werden. Pannen, Dilettantismus und Unzulänglichkeiten haben aber auch verhindert, dass noch mehr Terroranschläge stattgefunden haben. Das ist die Erkenntnis, die die beiden Bücher "Die Terroristenjägerin" und "Al Qaida - Akteure, Strukturen, Attentate" verbindet. Sie beschreiben das Phänomen des fundamentalistisch-islamischen Terrorismus aus unterschiedlichen Perspektiven. Oliver Schröm hat Gerichtsakten, Dokumente und andere Quellen ausgewertet, und dabei detailgenau und spannend die Terror-Geschichte der Al Quaida nacherzählt. Rita Katz ist eine im Irak geborene Jüdin, die ihre Lebensgeschichte erzählt, die sie zur Terroristenjägerin werden ließ. Nachdem die Baath-Partei Saddam Husseins 1968 an die Macht kam, wurde ihr Vater unter dem Vorwurf, ein israelischer Spion zu sein, verhaftet und einige Zeit später hingerichtet. Die Familie wurde unter dramatischen Umständen nach Israel gebracht, wo Rita Katz dann weiter aufwuchs. Später ging sie mit ihrem Ehemann in die USA und geriet auf der Suche nach einem Job eher zufällig in ein wissenschaftliches Institut in New York, das sich mit der Politik des Nahen Ostens befasst. Rita Katz wird zur Expertin, weil sie in dem Institut zunächst als Selbstbeschäftigung alte Zeitungen und Schriften islamischer Organisationen las. Dabei stieß sie auf ein kompliziertes, verwirrendes und deswegen wohl so effektives Netzwerk humanitärer Organisationen und Terrororganisationen in der islamischen Welt, das sie über wiederkehrende Namen und Adressen entschlüsselte.

    In der Zeit vor dem 11. September waren religiöse oder wohltätige Einrichtungen für Regierungsagenten völlig tabu. In einer Moschee oder bei einer von religiösen oder "wohltätigen" Organisationen gesponserten Konferenz eine Razzia durchzuführen, hätte zu einem allgemeinen Aufschrei religiöser Gruppen und liberal gesinnter Kreise geführt. Außerdem hatten Behörden wie das FBI schon immer gezögert zu ermitteln, bevor tatsächlich ein Verbrechen begangen worden war.

    Rita Katz nahm in der Verkleidung einer Muslimin an Veranstaltungen solcher Organisationen teil, stets in der Gefahr, erkannt zu werden. Da sie arabisch sprechen kann, erkannte sie, dass z.B. eine von der US-Regierung steuerbegünstigte Gruppe vor dem Weißen Haus in Washington zum Terror gegen die USA aufrufen konnte. Dies ließ sie nicht ruhen, und so recherchierte sie in allgemein zugänglichen Quellen weiter. Eine Organisation namens Holy Land Foundation HLF war als Terrorunterstützer ausgemacht und stand auf einer entsprechenden Liste. Katz hatte bei der Lektüre des Mitteilungsblattes der HLF gestutzt:

    Die Organisation war stolz, mitteilen zu können, dass sie endlich Geld von der staatlichen amerikanischen Entwicklungshilfe-Organisation USAID bekommen sollte. Das State Department bewies wieder einmal seine Inkompetenz. Man hatte ihm eine Liste zusammengestellt, die HLF stand definitiv darauf, und ihr waren dennoch Geldmittel zugewiesen worden.

    Erst der Anruf der Wissenschaftlerin, so ihre Wahrnehmung, hat die Zusage rückgängig gemacht. Sie setzt zu einer Fundamentalkritik an, die, wenn man das Agieren der USA auf anderen Feldern der internationalen Politik betrachtet, berechtigt ist:

    Wenn man sich im Anti-Terrorkampf nur auf Geheimdienstinformationen und Tatsachen verlässt, die mit dem Verbrechen zu tun haben, wird man kaum an der Oberfläche des Problems kratzen. Hier komme ich ins Spiel. Regierungsbehörden versagten bei der Bekämpfung von al Qaida nicht nur deshalb in jeder Beziehung, weil die einzelnen Dienststellen nicht miteinander kooperierten und es versäumten, die reichlich vorhanden Warnungen zu beachten, sondern hauptsächlich, weil sie al Qaida nicht gründlich genug erforschten. Nachforschungen jedoch, bei denen die Regierung den Rat von Experten wie mir suchte, um ein in die Tiefe gehendes Verständnis für diese terroristische Bedrohung zu gewinnen, konnten häufig erfolgreich abgeschlossen werden.

    Mit nahöstlichem Temperament und in der Sicherheit, gewisse Erkenntnisse seien nur von ihr entdeckt worden, wird sie sehr ungehalten über vieles, was mit ihren Unterlagen geschieht – oder eben nicht geschieht. Zum Teil ist das verständlich, aber eben nur zum Teil. Rita Katz ist von sich und ihrer Arbeit sehr überzeugt, so sehr, dass es schwer fällt, ihrer Selbsteinschätzung ganz zu folgen. Anders Oliver Schröm. Er beschreibt mit der Distanz des Journalisten und der Fähigkeit eines Krimi-Autors die andere Seite der Medaille. Der Leser seines Buchs kommt unweigerlich zu der Frage, ob er die vielen Details, die Schröm bei der Schilderung von gelungenen und missglückten Anschlägen anführt, nicht erfunden hat – wer soll das alles herausbekommen haben? Doch der Autor überzeugt: Die Abläufe, die er schildert, sind oft so, dass man sie nicht erfinden kann. So bizarr kann nur die Realität sein. Als erste große Aktion der Al Qaida wird der Anschlag auf das World Trade Center in New York 1993 ausgemacht. Für die damalige Großzügigkeit der US-Behörden im Umgang mit möglichen Terroristen spricht das Beispiel des Attentäters Ajaj: Er wurde bei der Einreise wegen ungeschickt gefälschter Papiere festgenommen. Sein Kumpel Youssef trieb die Vorbereitungen voran.

    Das notwendige Detailwissen erhielt Youssef aus dem Gefängnis von Ajaj. Obwohl dieser wegen seiner gefälschten Einreisepapiere eine achtmonatige Strafe absitzen musste, war es ihm gelungen, einen Kontakt zu seinem Partner aufzubauen. Der geplante Bombenanschlag wurde mit "Studien" umschrieben, und die Ausführungspläne nannte er "Universitätsunterlagen". Am 29. Dezember konnte Ajaj sogar vermelden, dass das US-Bezirksgericht für den östlichen Distrikt von New York entschieden habe, die Behörden müssten alle bei Ajaj beschlagnahmten Sachen und Unterlagen an ihn zurückgeben, darunter auch die dringend benötigten Handbücher zum Bau von Bomben... Ajaj hatte das nie für möglich gehalten.

    Auch die Rekrutierung möglicher Terroristen in den USA beschreibt Schröm: Die US-amerikanische Lebensart gefiel einer Reihe arabischer Studenten so wenig, dass sie sich zu Gruppen zusammenfanden:

    In dieser engen Gemeinschaft gewannen auch konservative Religionsgruppen an Einfluss. Einzelne Appartements wurden zu Behelfsmoscheen umgewandelt, und lange Bärte prägten bald das Bild. Einige versuchten, strikt nach dem Koran zu leben, um so ihre Identität in der Fremde zu wahren. Sie predigten auch die Enthaltsamkeit von Alkohol, Drogen und Frauen. (...) Einmal im Netz der Islamisten, gerieten die jungen Männer in den Bann einer Art Sekte. Es war grotesk, aber die Radikalisierung fand in den 80er Jahren oft mehr im westlichen Ausland als in den arabischen Hochschulen selbst statt.

    Oliver Schröm arbeitet die Gründung der Al Quaida auf, ihren Aufbau und die Rolle Osama bin Ladens, der zunächst vor allem organisatorisches Wissen und Geld mitbrachte. Schröm berichtet von konkreten Versuchen der Al Quaida, an chemische und biologische Kampfstoffe zu gelangen:

    Al Qaida nahm über sein Gründungsmitglied Jamal al-Fadl Kontakt zur sudanesischen Armee auf und versuchte, über diese an Massenvernichtungswaffen heranzukommen. Zunächst ging es um chemische Kampfstoffe. Al Fadl zeigte jedoch bald auch Interesse am Erwerb von Uran.

    Das so eingefädelte Geschäft platzte, und Al Fadl lief dann als Kronzeuge zur CIA über. Recht aktuell ist ein weiterer Hinweis auf ein B- und C-Waffen-Programm, das im März nach der Verhaftung des Operationschefs der Al Quaida, Scheich Mohammed, gefunden wurde:

    Den Aufzeichnungen nach arbeitet Al Qaida verstärkt an der Entwicklung von biologischen und chemischen Kampfstoffen. Auf den Disketten finden die FBI-Beamten ausgefeilte Pläne zur Herstellung von biologischen Giften wie Botulinumbazillen. Dieses Lebensmittelgift kann ohne Schwierigkeiten in großen Mengen hergestellt werden und ist tödlich, wenn es über die Atemwege aufgenommen wird.

    Nach Auswertung der Unterlagen...

    ...müssen die US-Behörden feststellen, dass die Arbeiten von Al Qaida an einem B- und C-Waffenprogramm deutlich weiter fortgeschritten sind als bislang angenommen. Nachdem die Ermittler Scheich Mohammed mit ihren neuen Erkenntnissen konfrontieren, gibt er sogar zu, auch an Konzepten zur Herstellung von Milzbrandbakterien beteiligt gewesen zu sein.

    Was beide Bücher gemeinsam haben, ist die Aussage, dass nach der Zeitenwende vom 11. September 2001 die Behörden allesamt offener geworden sind für Erkenntnisse anderer, für Zusammenhänge, dass der Kampf gegen den Terror dann konsequenter geführt wurde – jedenfalls in der Tendenz. Noch immer gibt es eklatante Mängel, die im System der US-Behörden und in der Regel der Zusammenarbeit bestehen. Die Analyse lässt manch einen, der die mangelhafte Zusammenarbeit der Behörden in Deutschland beklagt, zu dem Schluss kommen, dass das deutsche Kompetenzgerangel durchaus noch zu übertreffen ist.

    Oliver Schröm. Al Qaida. Akteure, Strukturen, Attentate ist erschienen im Christoph Links Verlag Berlin. 224 Seiten kosten 14 Euro 90. Das Buch von Rita Katz ist im C. Bertelsmann Verlag erschienen. Der Titel: Die Terroristenjägerin. 416 Seiten kosten 22 Euro 90.