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Oliver Schröm: Im Schatten des Schakals. Carlos und die Wegbereiter des internationalen Terrorismus.

Dass die Motivationen, die einen Menschen zum Terrorismus führen, nicht ausschließlich politische sein müssen, sondern auch ein krankhaft übersteigertes Geltungsbedürfnis dabei eine Rolle spielen kann, wissen wir in Deutschland spätestens seit Andreas Baader. Auch unsere nächste Neuerscheinung erzählt von einem solchen Terroristen, der unter dem Pseudonym Carlos Jahrzehnte lang auf allen westlichen Fahndungslisten stand. Zeitgleich mit der vielbeachteten Fernsehdokumentation hat der Berliner Links Verlag jetzt ein Buch über Carlos veröffentlicht. Und über die, die ihn jahrzehntelang finanzierten und deckten. Eine Rezension von Brigitte Baetz:

Brigitte Baetz |
    Dass die Motivationen, die einen Menschen zum Terrorismus führen, nicht ausschließlich politische sein müssen, sondern auch ein krankhaft übersteigertes Geltungsbedürfnis dabei eine Rolle spielen kann, wissen wir in Deutschland spätestens seit Andreas Baader. Auch unsere nächste Neuerscheinung erzählt von einem solchen Terroristen, der unter dem Pseudonym Carlos Jahrzehnte lang auf allen westlichen Fahndungslisten stand. Zeitgleich mit der vielbeachteten Fernsehdokumentation hat der Berliner Links Verlag jetzt ein Buch über Carlos veröffentlicht. Und über die, die ihn jahrzehntelang finanzierten und deckten. Eine Rezension von Brigitte Baetz:

    Carlos; ja, ist halt dadurch aufgefallen, dass er anders aussah, ja, Anzug, Krawatte, Babyface und Gentleman gespielt hat. Ja; das ganze Gegenteil von uns, so. Wir waren ja wie Studenten angezogen, ja, also mit Clogs und mit Jeans und mit, ja; und er sah aus wie ein Bourgeois.

    Carlos, ein international tätiger Killer mit vorgeblich politischer Mission, und der deutsche Terrorismus: Oliver Schröm hat ein Buch geschrieben über einen aufgeblasenen Playboy und Gernegroß, der sich darin gefällt, dass sein Name Angst und Schrecken verbreitet, und über deutsche Idealisten, die zu Mördern werden. Als erstem Journalisten ist es ihm dabei gelungen, eine Frau zum Sprechen zu bringen, die sich sozusagen an der Schnittstelle aufgehalten hat: Magdalena Kopp, die deutsche Ehefrau von Carlos. Sie konnte er auch fürs deutsche Fernsehen interviewen.

    Wenn ich andere Leute kennen gelernt hätte, dann hätte es vielleicht auch eine andere Entwicklung gegeben. Also, dass ich da ganz ahnungslos reingerutscht bin, also das ist schon so. Es war etwas wie Reinrutsche, also, wenn die Leute nicht gewesen wären, dann wäre es wahrscheinlich ganz anders gekommen.

    Magdalena Kopp, ein lebenshungriges Mädchen aus der schwäbischen Provinz, kommt über Kontakte mit der Studentenbewegung zu den sogenannten Revolutionären Zellen, einer Gruppierung, deren Mitglieder nach außen ein normales bürgerliches Leben führen. Sie lehnen zunächst Gewalt gegen Menschen ab und beteiligen sich an Anschlägen gegen Gebäude internationaler Konzerne. Als "Feierabendterroristen" bezeichnet sie deshalb die deutsche Presse.

    Hannes war ein so lieber Mensch, das war kein Radikaler, der unbedingt... Er war auch nicht derjenige, der gesprochen hat, sondern so mehr der Mensch, der organisiert hat.

    Johannes Weinrich, der Freund Magdalena Kopps, in einem alternativen Verlag tätig, gehört zum harten Kern der Revolutionären Zellen. 1975 werden Mitglieder der Gruppe in den spektakulären Anschlag auf die Konferenz der Erdölminister der OPEC-Staaten in Wien verwickelt. Organisiert und durchgeführt wird die Geiselnahme und Entführung durch Carlos:

    Inspektor Tichler erkannte sofort, dass sie gegen diese bewaffnete Gruppe keine Chance hatten. Die Terroristen waren deutlich in der Überzahl. Er versuchte, unbemerkt zu entkommen und Verstärkung zu ordern. Möglichst unauffällig ging er auf den Aufzug zu. Dort stand bereits die Kaffeeserviererin Hette Czeczelitz in der geöffneten Fahrstuhltür und wartete auf ihn. Tichler hatte es fast geschafft. Gerade wollte er den Aufzug besteigen, als eine Frauenstimme ihn auf Englisch fragte: "Sind Sie Polizist?". Ohne sich umzudrehen, nickte Tichler mit dem Kopf und hob die Hände. In diesem Moment krachte auch schon ein Schuss. Die Kugel traf Tichler direkt unterhalb des Haaransatzes im Genick. Der Polizist fiel vornüber in den Aufzug. Er war auf der Stelle tot. Gabriele Kröcher-Tiedemann, die Todesschützin, zerrte die Kaffee-Serviererin aus dem Lift, schob die Leiche von Tichler hinein und drückte auf den Knopf. Der Aufzug fuhr ins Erdgeschoss, wo sich die Tür automatisch öffnete und die Leiche ein Stück hinausrollte. Die Dienstpistole von Tichler steckte noch im Halfter unter seiner Jacke. Er hatte erst gar nicht versucht, sich zu wehren.

    Der libysche Staatschef Gaddafi hatte den Auftrag zu dem Anschlag gegeben. Carlos sollte die Minister von Iran und Saudi-Arabien liquidieren. Doch während einer langen Odyssee der Entführer und ihrer Geiseln per Flugzeug wurde klar, dass Libyen sich nicht offen zu den Terroristen bekennen wollte. Die reichen Gefangenen kauften sich frei. Der Anschlag in Wien, bei dem Unschuldige sterben mussten und auch der Terrorist Hans-Joachim Klein fast verblutet wäre, füllte die Kasse von Carlos. Für Hans-Joachim Klein wurde die Brutalität des Terroraktes zum Damaskus-Erlebnis. Als erstes Mitglied der Revolutionären Zellen sollte er sich öffentlich vom Terrorismus lossagen – unter der Gefahr, von seinen ehemaligen Genossen umgebracht zu werden. Derweil sonnte sich Carlos, der eigentlich Ilich Ramírez Sánchez hieß und aus Venezuela stammte, in seinem Ruhm.

    Die Zeitungen waren voll mit Geschichten über ihn. Immer wieder wurden Parallelen gezogen zu dem kaltblütigen Auftragskiller aus dem Roman "Der Schakal" von Frederick Forsyth. Carlos wurde mehr und mehr zum Mythos. Manchmal wurde er an drei Orten gleichzeitig gesehen, dann wieder wurde er für tot erklärt, ermordet vom Mossad oder von seinen eigenen Leuten. Kurz nach Entebbe erschien auch das erste Buch über Carlos. Der britische Journalist Colin Smith hatte eine aufsehenerregende Biographie über den meistgesuchten Terroristen der Welt verfasst. Carlos platzte fast vor Stolz.

    Der Sohn eines kommunistischen Rechtsanwalts, der durch den Öl-Boom in Venezuela zu Geld gekommen war, und einer weitgereisten Lebedame, ist eher Abenteurer denn Revolutionär. Sein Lebensstil ist aufwändig, in seiner Jugend pendelte er zwischen dem Swinging London der 60er und der Lumumba-Universität von Moskau, in der ihn sein Vater eingeschrieben hatte. Dort fand er Kontakt zu Palästinensern und verschrieb sich zunächst ihrem Kampf dafür, die Welt auf das Leiden ihres Volkes aufmerksam zu machen. Der Weg hieß: Terrorismus. Mit der Zeit bildete sich ein Netzwerk heraus, das arabische und palästinensische wie deutsche Terroristen umfasste. Die Brutalisierung der Gruppen geht Hand in Hand mit der harten Gegenreaktion der betroffenen Staaten von Israel bis Deutschland. Die Motivation, die sich bei den Palästinensern mit der Erfahrung der Vertreibung erklären lässt, wird bei den deutschen Terroristen mit der Zeit immer unschärfer. Mit dem Leben in der Illegalität beginnt ein Leben mit ständig wechselnden Aufenthalten in immer neuen Ländern. Ein Leben im permanenten Ausnahmezustand – wenn auch auf hohem materiellen Niveau. Magdalena Kopp, die selber keine Anschläge zu verantworten hat, aber als Geliebte sowohl von Johannes Weinrich als auch bald von Carlos ebenfalls untergetaucht ist, genießt durchaus den Aufenthalt in den unterschiedlichen Ländern. Auch im Ostblock leben deutsche Terroristen wie Jet-Set-Reisende:

    Irgendwann bin ich weich geworden und hab gesagt: Ja, gut. Und ich hab ja auch gesehen, wie der gelebt hat im Intercontinental: First Class, fünf Sterne. Also, es war dann nicht so schlimm, dass man dachte, man ist im Untergrund, muss sich vor der Polizei verstecken und ist dauernd auf der Flucht. So war’s ja nicht, sondern es war angenehm.

    Die Staaten des Ostblocks gewähren den Terroristen immer nur so lange Aufenthalt, wie es den Beziehungen zum Westen nicht schadet. Gleichzeitig haben die zuständigen Sicherheitskräfte durchaus Angst vor ihren Gästen, die sie als unberechenbar einstufen. Und das nicht ohne Grund, denn die Gruppe um Carlos entwickelt sich immer mehr von einer Terrororganisation zugunsten palästinensischer Interessen zu einer Gruppe von Lohnkillern für Regierungen und Einzelpersonen. Auch Magdalena Kopp gerät ins Fadenkreuz der Ermittler und wird in Paris festgenommen. Versuche von Carlos, sie mit Bombenattentaten freizupressen, scheitern. Nach ihrer Freilassung erkennt sie, wie sehr Johannes Weinrich, der inzwischen in der Bundesrepublik als gefährlichster deutscher Terrorist gilt, durch das Leben in der Illegalität den Kontakt zur Wirklichkeit verloren hat.

    Er sah regelrecht mitgenommen aus, war hager geworden, schien zu trinken und rauchte nervös eine Zigarette nach der anderen. Trotzdem freute sie sich riesig, ihn endlich wiederzusehen. (...) Als sie eines Tages mit Weinrich mal allein spazieren ging, bot sich endlich die Gelegenheit, ihn nach den Ereignissen der letzten Jahre zu fragen. Weinrich erzählte ihr bereitwillig von all den Anschlägen, die er entweder organisiert oder selbst durchgeführt hatte, wobei ein Großteil davon dazu gedacht war, sie aus dem Gefängnis zu holen. Er sparte dabei auch nicht mit Details. Plötzlich blieb er stehen und schaute sie an. Völlig unvermittelt brach es aus ihm heraus: "Wir sind total verrückt geworden, das hat nichts mehr mit Politik zu tun, was wir gemacht haben...

    Doch diese Selbsterkenntnis kommt zu spät. Die westlichen Geheimdienste sind den Terroristen auf der Spur. Durch Carlos abgelenkt, erkennen sie nicht, dass der islamische Fundamentalismus völlig neue Terrorgruppierungen hervor bringt. Schließlich wird der Sudan Carlos an Frankreich ausliefern, derselbe Staat, von dessen Boden aus und mit dessen Wissen Al Quaida zu operieren beginnt. Oliver Schröm hat mit seinem Buch eine präzise und spannende Dokumentation des Terrorismus der 70er und 80er Jahre vorgelegt – deren einziges Manko eine manchmal zu große Detailverliebtheit ist. Ein Buch, das erschreckt durch die Darstellung dessen, was Menschen sich selbst und anderen anzutun vermögen, wenn Idealismus und Brutalität eine fatale Ehe eingehen und die Täter Unterstützung erfahren durch interessierte Regime. Denn, so sein Fazit: Ohne die Rückendeckung ganzer Staaten hätte Carlos nicht so viel Angst und Schrecken verbreiten können.

    Brigitte Baetz über Oliver Schröm: Im Schatten des Schakals. Carlos und die Wegbereiter des internationalen Terrorismus. Erschienen im Christoph Links Verlag Berlin. Das Paperback umfasst 334 Seiten und kostet 17,90 Euro.