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Oliver Stone
"Die NSA, das sind Kriminelle"

In seinem neuen Film "Snowden" erzählt Hollywood-Regisseur Oliver Stone die Geschichte von Whistleblower Edward Snowden als Thriller. Der Ex-Geheimdienstmitarbeiter sei für ihn ein größerer Patriot als "die Leute in der NSA, die Gesetze brechen und die ganze Welt überwachen", sagte Stone im DLF. "Das ist ein Überwachungsstaat."

Oliver Stone im Corso-Gespräch mit Sigrid Fischer | 21.09.2016
    Oliver Stone bei der Premiere des Kinofilms Snowden in New York
    Oliver Stone bei der Premiere des Kinofilms Snowden in New York (Imago)
    Sigrid Fischer: Oliver Stone, es gibt die Kampagne "Pardon Snowden", also "Begnadigt Snowden", die u.a. Amnesty International und Human Rights Watch lanciert haben. Sie haben auch unterschrieben. Gleichzeitig wird Snowden durch einen Bericht des zuständigen Kongressausschusses diskreditiert, er sei nur ein kleiner, unzufriedener NSA-Angestellter gewesen, seine Motive nicht ehrenhaft. Er sei ein Verräter. Wie läuft die Diskussion um Snowden gerade in den USA?
    Oliver Stone: Snowden bekommt schon auffällig viel Unterstützung der Bürger, aber die USA werden von Regierungsstatements dominiert, die dauernd wiederholt werden. Ich weiß, das ist nicht Ihre Frage, aber: Wenn dieser Ausschuss, der in seinem Bericht jetzt vieles, was Snowden betrifft, einfach leugnet, wenn der seinen Job gut gemacht hätte, dann gäbe es keinen Ed Snowden. Aber die stecken halt mit der Regierung unter einer Decke. Die USA haben sich total abgeschottet. Es ist sehr schwierig, an NSA-Geschichten heranzukommen. Investigativer Journalist zu sein, ist heute sehr schwer in Amerika, besonders wenn es um Geheimdienstangelegenheiten geht. Da muss man aufpassen, weil sie einen verfolgen werden.
    Fischer: Sie haben eng mit Snowden kooperiert, haben ihm das Drehbuch vorgelegt. Denken Sie nicht, dass man Ihren Film deshalb auch diskreditiert?
    Stone: Ja, damit rechne ich, das haben sie auch bei meinem Film "JFK" versucht. Ich meine, Snowden hätte doch nicht Zugang zur höchsten Sicherheitsstufe bekommen, wenn er nicht wirklich gut gewesen wäre in seinem Fach. Er hat für CIA und NSA gearbeitet. Und er hatte auch Einblick in Cyberkriegsführung und war sehr besorgt darüber, dass die USA das Cyberkriegsprogramm nicht defensiv, sondern offensiv anwenden. Im Iran, mit dem Stuxnet-Virus. Damit hat eine neue Zeitrechnung begonnen. Das ist sehr gefährlich. Das Programm ist da draußen unterwegs. Und keiner weiß, wer diesen Krieg anfangen wird. Und dann gehen die Gerüchte um: War es Russland oder China? Der Iran? Das ist sehr gefährlich!
    "Sie leugnen alles"
    Fischer: Alex Gibney hat ja darüber seine Dokumentation "Zero Days" gedreht und er sagt, es ist absurd, dass alle wissen, dass Stuxnet da draußen ist, aber es wird weiter geleugnet.
    Stone: Sie leugnen alles. Auch im Fall Snowden. Er war nur ein kleiner Angestellter? Aber wie soll er dann so viel Zugang zu geheimen Dokumenten gehabt haben?
    Fischer: Sie haben Edward Snowden mehrere Male in Moskau getroffen, wie haben Sie ihn erlebt? Was für ein Mensch ist Ihnen da begegnet?
    Stone: Ein sehr verantwortungsbewusster Mensch mit starken Überzeugungen, dabei sozial, freundlich, sehr höflich. Aber er sorgt sich eben um die Verfassung seines Landes. Er hat das Gefühl, dass die NSA sie verletzt. Und er hat Beweise dafür, wie Sie wissen. Die ja auch zu kleinen Reformansätzen geführt haben, und auch dazu, dass Unternehmen angefangen haben, die Verschlüsselung einzuführen, was sehr wichtig ist. Denn das ist vielleicht unsere einzige Möglichkeit, uns gegenüber der Regierung zu verteidigen. Und die Firmen machen das, weil sie ihre Kunden nicht verlieren wollen. Die wären sonst vielleicht zu einer deutschen Firma gegangen, die wirkliche Sicherheit bieten kann.
     Joseph Gordon-Levitt als Edward Snowden in einer undatierten Szene aus dem Film "Snowden".
    Joseph Gordon-Levitt als Edward Snowden (dpa / picture alliance / Universum Film)
    Fischer: Ist er immer noch Patriot?
    Stone: Mehr als die Leute in der NSA, die Gesetze brechen und die ganze Welt überwachen. Das ist ein Überwachungsstaat.
    Fischer: Welche Zukunft sehen Sie für ihn? Und fühlen Sie sich da irgendwie verantwortlich?
    Stone: Nein, aber ich denke, der Film kann Edward Snowden helfen. Der Film gibt ja einen Eindruck von ihm wieder, den ich hatte. Und der basiert ja nicht nur auf dem, was er uns unmittelbar erzählt hat, sondern wir haben ja auch, so gut wir konnten, alles überprüft, was er da an Informationen vorgelegt hat. Die NSA hätte ja in der Angelegenheit niemals kooperiert. Die verhalten sich sehr schlecht, das sind Kriminelle, eigentlich müssten die drei Verantwortlichen aus dem betreffenden Zeitraum von einem Präsidenten aus dem Amt entfernt werden, dem die Wahrheit wichtig ist. Sie handeln kriminell.
    "Sie sollten Ihr Obama-Bild mal überdenken"
    Fischer: Präsident Obama hat mit seiner Politik zwar viele enttäuscht, aber trotzdem hat er immer noch viele Sympathien, auch hier in Deutschland, das ist paradox.
    Stone: Sie sollten ihr Obama-Bild mal überdenken, Sie missverstehen ihn vollkommen. Er steht für die Fortsetzung des Überwachungsstaates genauso wie der Kriegsführung. Er hat alles für den Drohnenkrieg getan und das Programm von Bush sogar noch getoppt. Ich versteh gar nicht, wie Sie hier so ein falsches Bild von ihm haben können.
    Fischer: Oliver Stone, Sie konnten den Film "Snowden" in den USA nicht finanzieren, aus welchem Grund?
    Stone: Gründe nennen die Studios nicht. Aber ich glaube, das war Selbstzensur, Angst. Das sind ja sehr große, börsennotierte Unternehmen, und er ist ein heißes Eisen. Sie fürchten sicher auch, dass die Regierung vielleicht Gesetze erlassen könnte, die Fusionspläne verhindern, es gibt ja sehr viele, oder die Lizenzen verweigern könnten. Es gibt viele Wege, mit denen die Regierung ihnen schaden könnte.
    Fischer: Hat Edward Snowden den Film über sich gesehen und wenn ja, wie hat er reagiert?
    Stone: Ja, er mag ihn, er hat ihn zwei Mal gesehen. Er hat uns ja auch sehr gut in technischen Details beraten. Wir haben ja vieles im Film, was die Leute über die NSA gar nicht wissen: Dialoge, Arbeitsmethoden. Natürlich mussten wir zuspitzen, um es nachvollziehbar zu machen. Aber wir sind sehr nah dran an der Realität. In einem Interview mit der "Financial Times" hat er gesagt, die Geheimdienststrategien sind so real, wie es in einem Film nur möglich ist.
    Fischer: Er spricht ja am Ende Ihres Films selbst und sagt: ich hatte ein gutes Leben, jetzt habe ich ein anderes Leben.
    Stone: Er war selbst überrascht von sich, er hat seinen Ausstieg nie richtig geplant. Und er hätte nicht gedacht, dass er so weit gehen würde, er hat alle Informationen den Journalisten gegeben und sie bei sich selbst gelöscht. Er hatte nichts mehr bei sich, als er nach Russland gegangen ist.
    Fischer: Wenn er gesagt hätte, bitte Herr Stone, ich möchte keinen weiteren Film über mich, hätten Sie "Snowden" dann nicht gedreht?
    Stone: Er ist schlau genug, um zu wissen, wenn er nicht mit uns kooperiert hätte, dann hätte irgendjemand einen schlechten Film über ihn gedreht. Vielleicht im Fernsehen, mit ihm als Bösewicht. Als Verräter.
    "Vielleicht hat Obama eine Gehirnwäsche hinter sich"
    Fischer: Etwas haben Sie als junger Mann mit Ed Snowden gemeinsam: Sie haben auch Ihrem Land gedient im Vietnamkrieg und waren danach total desillusioniert. Und diese Erfahrung hat er auch gemacht.
    Stone: Ja, aber da war ich 29, und so einen Gesinnungswandel gab es bei mir damals nicht. Das passiert nicht so oft. Es gibt viel zu wenig Whistleblower. Wir brauchen sie. Obama hat acht von ihnen nach einem uralten Spionagegesetz bestraft. Das ist doch absurd. Und Obama soll ein Anwalt unserer Verfassung sein? Ich weiß nicht, was mit ihm passiert ist, vermutlich hat er eine Gehirnwäsche hinter sich.
    Fischer: Sie haben nach der Amtszeit von George Bush Junior, die wunderbare Satire "W" gedreht. Wie wäre es nächstes Jahr mit einem Film namens "O"?
    Stone: Ich möchte keinen Film über Obama drehen. (etwas sauer) Ich bin ein Dramatiker, ein Geschichtenerzähler. Warum legen mich alle immer fest auf diese Themen? Wissen Sie, wie lange es dauert, einen Film zu drehen? Ein Jahr, zwei Jahre. Das ist eine unglaublich anstrengende Sache. Man muss dabei sehr sorgsam sein. Und ein Film über jemanden, der seine Versprechen gebrochen hat, ist nicht unbedingt interessant für mich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.