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Oliver Stones Doku-Reihe
Neuer Blick auf die Geschichte der USA

Mit seiner Doku-Reihe "Oliver Stone's Untold History of the United States" will der US-Regisseur mit in seiner Heimat weit verbreiteten Ansichten über die amerikanische Geschichte aufräumen. Im ersten Teil widmet er sich dem Zweiten Weltkrieg, dessen Sieg er nicht den USA zuschreibt.

Von Jörg Albrecht | 30.04.2014
    Oliver Stone, Portraitaufnahme
    Regisseur Oliver Stone bei einer Pressekonferenz zu seiner Doku-Reihe in Tokio. (dpa/picture alliance/Morio Taga)
    "Am Ende ist es erstaunlicherweise die Rote Armee selbst, die den Ausgang des Krieges maßgeblich beeinflusst. Die Kraft und Ausdauer der sowjetischen Männer und Frauen, die dies möglich gemacht haben, ist wirklich beeindruckend."
    Was sich wie der Text aus einem sowjetischen Propagandastreifen anhört, ist das im Brustton der Überzeugung vorgetragene Fazit von Oliver Stone über das Ende des Zweiten Weltkriegs. Es ist der Schlusspunkt des ersten Teils seiner "Untold History of the United States".
    "Die Welt befindet sich wieder im Krieg. - World War II has begun."
    Vorher hat der Filmemacher und selbsternannte Zeitgeschichtler die Ereignisse der Kriegsjahre derart rasant zusammengefasst, als ginge es darum, so viele Daten, Fakten und Bilder wie nur möglich in jeweils 43 Minuten zu platzieren.
    "Es herrscht weltweites Chaos."
    Gleichzeitig will Oliver Stone das Kunststück gelingen, die gebündelten Informationen in den großen Zusammenhang zu stellen, um wiederkehrende Muster auszumachen. Geschichte bedarf der Interpretation. Und Stone will sie neu interpretieren. Denn sonst wäre der Titel der zehnteiligen Dokumentation, in dem von der bislang nicht erzählten Geschichte der USA die Rede ist, schließlich Etikettenschwindel. Aber keine Sorge: Auf Oliver Stone ist Verlass.
    "Der Mythos, die Vereinigten Staaten hätten den Zweiten Weltkrieg gewonnen, besteht bis heute fort. Dabei sind sich die meisten Historiker inzwischen darin einig, dass diese Ehre eher der Sowjetunion unter der Führung des brutalen Diktators Josef Stalin gebührt."
    Antithese zur amerikanischen Rhetorik
    Immerhin unterschlägt Stone bei seiner Ehrerweisung gegenüber Stalin nicht, dass dieser ein Despot gewesen ist. Wird in der deutschen Übersetzung - vorsichtiger formuliert - von "den meisten Historikern" gesprochen, die dieser Ansicht sind, heißt es im Original wesentlich eindrücklicher:
    "Though the myth lives on, that the United States won World War II, serious historians agree ..."
    Es sind also - laut Stone, der im Original auch als Sprecher auftritt - die "ernst zu nehmenden Wissenschaftler", die der Rolle der USA beim Ausgang des Zweiten Weltkriegs weniger Bedeutung zumessen, als dies seit Jahren amerikanischen Schulkindern beigebracht wird.
    Die Heroisierung der eigenen Nation, ihre Arroganz und fehlende Selbstkritik haben Stone zu seinem Mammutprojekt veranlasst. Seine Geschichtslektion versteht er als Antithese zur amerikanischen Rhetorik. Stone könnte sie auch mit Voltaires Worten kommentieren: "Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat." Doch er schießt entweder bei seiner Beurteilung - wie im Fall Stalins - übers Ziel hinaus oder aber er wartet mit Erkenntnissen auf, die längst wissenschaftlicher Konsens und möglicherweise nur für einen Großteil seiner Landsleute neu sind.
    "Ganzen Generationen von amerikanischen Schülern wird nach Kriegsende beigebracht, dass die USA die Atombomben nur eingesetzt haben, um das Leben von Hunderttausenden jungen Soldaten zu retten, die durch eine Invasion in Japan sonst gestorben wären. Die wahre Geschichte ist allerdings wesentlich komplizierter."
    So kompliziert, dass sie Oliver Stone extrem vereinfacht wiedergibt. Von wiederkehrenden Mustern in der amerikanischen Politik berichtet er in der chronologischen Reihe, die sich vom Zweiten Weltkrieg über den Kalten Krieg und die Rolle John F. Kennedys bis hin zu den jüngsten US-Präsidenten Bush und Obama spannt. Wenn es um Amerika als imperiale Macht geht, wird der Geschichtsschreiber gern auch mal zum Prediger.
    "Wenn man auf das amerikanische Jahrhundert zurückblickt, muss man sich die Frage stellen, ob Amerika stets klug und human gegenüber dem Rest der Welt gehandelt hat. ... Hat eine Nation alleine das Recht, die globale Politik zu bestimmen? Ist nicht gegenseitiges Verständnis viel wichtiger für den Frieden? ..."
    Flut von Bildern und Tönen überfordert
    Eines muss man Oliver Stone trotz der einen oder anderen zu hinterfragenden Interpretation allerdings zugestehen: Er sorgt für Kurzweil mit seinen effektiven Geschichtshäppchen. Stone selbst über die gewählte Form:
    "Die Dokumentation ist auch bahnbrechend in dem Sinne, dass sie schnell ist. Die Bilder sind schnell geschnitten, die Musik ist etwas Besonderes. Wir arbeiten ohne die sogenannte Talking-Head-Methode, das heißt, wir unterbrechen nicht für Interviews. Wir treiben die Erzählung voran. Irgendjemand wird das natürlich kritisieren."
    "Oliver Stone's Untold History of the United States" ist eine 430-minütige Collage, die den Eindruck unterstreicht, dass es sich hier um eine Art "Best of" der jüngeren amerikanischen Geschichte handelt. Archivbilder, Wochenschaumaterial, Landkarten, Ausschnitte aus Spielfilmen und Originaltöne - zugekleistert mit fortwährendem, oft schlampig übersetztem Erzählertext und dräuenden Musiken. Während der geschichtskundige Zuschauer inhaltlich eher unterfordert sein dürfte, ist auf formaler Ebene das Gegenteil der Fall: Hier überfordert ihn Stone mit einer wahren Flut von Bildern und Tönen.