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Olympia 2016
Rios olympische Abwasser-Bucht

Schlagzeilen rund um die Bucht von Rio de Janeiro anderthalb Jahre vor Olympia: Wissenschaftler haben in einem Zufluss Bakterien gefunden, die gefährliche Enzyme bilden. In der Bucht werden 2016 die Surf- und Segelwettkämpfe ausgetragen. Das Problem in dem Olympia-Gewässer ist aber noch viel grundlegender.

Von Carsten Upadek | 28.12.2014
    Der Fundão-Kanal an einer der Haupt-Einfahrtsstraßen von Rio de Janeiro vom internationalen Flughafen
    Der Fundão-Kanal an einer der Haupt-Einfahrtsstraßen von Rio de Janeiro vom internationalen Flughafen (Privat / Mário Moscatelli)
    Es war ein berauschendes Jahr für das brasilianische Seglerinnen-Duo Martine Grael und Kahena Kunze. "Wir haben unser Ziel erreicht, die Weltmeisterschaften zu gewinnen und sind auch noch zu den besten Sportlern des Weltverbandes und zu den Sportlern des Jahres in Brasilien gewählt worden." Die Öffentlichkeit nutzten die beiden 23-Jährigen aber anders als viele erwarteten: Vor Weihnachten luden sie Politiker öffentlich ein, mit ihnen zu segeln. Die Verantwortlichen sollten sehen, was den beiden Sportlerinnen beim täglichen Training in der Bucht von Rio de Janeiro begegnet, sagt Martine Grael: "Wir sehen sehr, sehr viele tote Fische, viel Müll, sehr dreckiges Wasser. Das ist zu eklig, um reinzugehen." Die Guanabara-Bucht hat eine Fläche fast so groß wie Köln und ist geformt wie ein ausgebeulter Sack. Über die Zuflüsse landet in ihr täglich ein Großteil des Abwassers der Metropole Rio de Janeiro und 80 bis 100 Tonnen Müll.
    Das brasilianische Seglerinnen-Duo Kahena Kunze (li.) und Martine Grael
    Das Jahr 2014 war ein berauschendes für das brasilianische Seglerinnen-Duo Kahena Kunze (li.) und Martine Grael (Carsten Upadek)
    Das sei eine Politik der Abwasser-Entsorgung wie im 18. Jahrhundert, beklagt der Biologe Mário Moscatelli, der regelmäßig Luftaufnahmen macht. "Wenn ich heute über die Guanabara-Bucht fliege, sehe ich, dass von den 44 Hauptzuflüssen noch fünf zu retten sind. Der Rest sind Rinnen aus Müll und Abwasser!" Einer dieser toten Flüsse ist der Rio Carioca. Er führt durch zahlreiche Viertel von Rio de Janeiro und mündet in Sichtweite des Zuckerhuts in die Bucht. Unweit befinden sich ein Badestrand und das künftige Hauptquartier für die Segelwettbewerbe der Olympischen Spiele.
    "Superbakterien" im Rio Carioca
    An drei Stellen im Rio Carioca haben Wissenschaftler der staatliche Stiftung Oswaldo Cruz Antibiotika-resistente, so genannte "Superbakterien" gefunden. Sie schlugen medienwirksam Alarm und warnten vor einer Verbreitung. Das Bakterium kann bei Menschen mit geschwächtem Immunsystem zu Infektionen der Blutbahn, Harnwege oder Lungen führen. Doch die anderen staatlichen Stellen reagierten hinter den Kulissen ziemlich empört über die – wie es heißt – vorschnelle Veröffentlichung. Leonardo Silva ist beim staatlichen Umweltamt verantwortlich für die Wasserqualität. Er hält das Bakterium nur in Krankenhäusern für gefährlich: "In der Umwelt überlebt es nicht, es stirbt in Kontakt mit Salzwasser. Die Alarmglocken, die in den Medien läuten, verstehen wir Techniker nicht so richtig. Auf der ganzen Welt gibt es keine Studie, die einen Befall außerhalb des klinischen Bereiches beschreibt."
    Nachfragen zur Gefahr einer Übertragung wollte die Stiftung Oswaldo Cruz nicht beantworten. Bedenklich ist zudem der Fundort an der Mündung des Carioca. Denn davor befindet sich eine Wasseraufbereitungsanlage, die das Flusswasser eigentlich reinigen sollte, bevor es – unweit des Badestrandes Flamengo – in die Bucht mündet. Die Wasserqualität dort wird selbst von der Umweltbehörde im Jahresdurchschnitt seit 2000 immer als "schlecht" oder "furchtbar" bewertet. Biologe Mário Moscatelli: "Die Frage ist, ob die Regierung genug chemische Mittel zur Verfügung stellt, um das Wasser zu behandeln. Ohne diese Mittel ist eine Wasseraufbereitungsstation wie ein Auto ohne Benzin."
    Marina da Glória, Hauptquartier der Segel-Wettkämpfe der Olympischen Spiele 2016
    Zumindest in Marina da Glória an der Guanabara-Bucht, dem Hauptquartier der Segel-Wettkämpfe der Olympischen Spiele 2016, sollen die Abwässer bis August 2015 gestoppt werden. (Mário Moscatelli)
    "Behörden haben nichts unternommen"
    Dabei sollte Geld zum Tanken da sein: In die Säuberung der Guanabara-Bucht sind seit 1994 umgerechnet 1,5 Milliarden Euro geflossen – ohne sichtbare Wirkung. Dem Ganzen sollte zumindest die Olympiabewerbung 2007 einen neuen Schub geben: dem IOC versprachen die Verantwortlichen eine Säuberung der Bucht um mindestens 80 Prozent. Ein Schirm aus sieben Reinigungsanlagen in den Flüssen sollte den Müll stoppen und das Wasser aufbereiten, erzählt Mário Moscatelli. Doch die Gelder dafür wurden nie freigegeben. "Fakt ist, dass wir uns 17 Monate vor den Olympischen Spielen befinden und die brasilianischen Autoritäten so gut wie nichts unternommen haben! Nichts! Was sie gemacht haben, ist reine Makulatur, nichts, was dieses Umwelt-Monster stoppen würde."
    Das staatliche Umweltamt sieht das anders: Es habe Fortschritte bei der Reinigung gegeben. Die Wasserqualität in der Bucht sei ausreichend für die Spiele, sagt Leonardo Silva: "Wir beobachten kontinuierlich die Koli- und Fäkalbakterien in den Bereichen, wo die olympischen Disziplinen stattfinden. Die Werte befinden sich alle innerhalb der brasilianischen sowie internationalen Standards. Es gibt nicht das geringste Risiko für die Athleten."
    Doch eben die sind besorgt. Weltmeisterin Kahena Kunze: "Gleich nach der Nachricht mit den Superbakterien hat eine der italienischen Sportlerinnen eine Infektion bekommen. Ihrem Magen geht es sehr schlecht. Das kann mit dem Wasser zu tun haben. Es gibt sehr viele Bakterien."
    "Schönheit der Bucht muss bewahrt werden"
    Die brasilianischen Segler beendeten das Jahr letzte Woche mit der Finalrunde im Brasilien-Cup. Es war eines der Test-Events für Rio 2016. Kahena Kunze und Martine Grael haben das Olympia-Ticket schon. Ihr Trainer ist Segel-Legende Torben Grael, Martines Vater. Der fünfmalige Olympiasieger sorgt sich um den Müll in der Bucht auch aus sportlicher Sicht. Plastik-Beutel am Ruder eines Bootes könnten Medaillenhoffnungen zum Desaster werden lassen, sagt er. Mehr aber noch sieht er eine Verantwortung für das Postkartenmotiv Guanabara-Bucht: "Sie ist so schön, sie ist so wunderbar, so vielseitig, optimal für den Segel-Sport und für den Tourismus. Deshalb ist es unsere Pflicht, der Natur etwas zurückzugeben und die Schönheit der Bucht zu bewahren."
    Zwei Segelboote in der Bucht von Rio de Janeiro
    Zwei Segelboote in der Bucht von Rio de Janeiro (Carsten Upadek)