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Olympia 2024
Berliner wollen Spree-Athen erschaffen

Berliner Kulturschaffende denken derzeit darüber nach, wie die Szene die Olympischen Spiele 2024 begleiten könnte. Umweltverträglich, transparent, kurz "kiezig" soll es werden. Dafür gab es jetzt ein erstes Treffen, bei dem die Teilnehmer gleichermaßen schräge wie schöne Ideen vorschlugen.

Von Arno Orzessek |
    Ein als Bär verkleideter Mann streckt die Hände durch symbolische Olympische Ringe.
    Ein als Bär verkleideter Mann protestierte im August in Berlin gegen eine Olympia-Bewerbung. (dpa / Paul Zinken)
    Don Quichotes Kampf gegen die Windmühlen war imagemäßig bekanntlich ein toller Erfolg. Noch heute spricht man von seiner denkwürdigen Tat. Und nun treten Tim Renner und die Kreativen Berlins in Don Quichotes Fußstapfen. Wobei man sagen muss: Sie kämpfen nicht gegen die Olympischen Spiele, gegen das IOC, die Tradition, die Kommerz-Exzesse.
    Nein, sie kämpfen für neue, andere, bessere, für umweltverträglichere, kindergerechtere, barrierefreiere, transparentere, demokratischere, partizipativere, kulturellere, kiezigere, kurz: für echte Berliner Spiele, auszutragen 2024.
    "Wie könnte das sein - so was wie ein cooles Olympia? Wie könnte das überhaupt aussehen?", lautet Renners Preisfrage.
    Erste Antworten geronnen kürzlich zu einem Thesenpapierchen. Im Radialsystem erfolgte nun die kollektive intellektuelle Selbstertüchtigung der Olympia-Reformatoren ...
    Denen Renner alle Versagens-Ängste untersagte.
    "Hier gibt es in dem Papier sofort die Kritik: 'Ist ja alles schön - aber was ist, wenn das IOC das überhaupt nicht will?' Ja, dann ist das IOC halt zu uncool. Das ist dann aber im Zweifel nicht das Problem von Berlin."
    Und überhaupt: "Vielleicht kommt's ja gar nicht so weit. Vielleicht sagt vorher auch ein DOSB" - also ein Mitglied des Deutschen Olympischen Sportbunds: "'Eine Stadt, die so irre ist wie Berlin, hui, das ist uns zu heikel.'"
    Feiern in Spree-Athen
    Falls aber Spree-Athen doch Spiele-Platz wird, kann sich die Welt auf eins nun wirklich verlassen: "Wenn es darum geht, den Dabei-sein-ist-alles-Gedanken wieder nach vorne zu holen und zu sagen: 'Es geht darum, dass die Jugend der Welt sich trifft miteinander, miteinander redet, dass man zusammen feiert' - dann wissen wir Berliner ganz genau, wie's geht."
    Was sich im Weiteren an diversen Themen-Tischen ereignete, war kein wackeres Brainstorming, es war ein Gehirn-Zyklon - am wildesten tobend am Geschichtstisch, wo man kurzerhand das Zentralsymbol der Spiele auslöschte, um es durch ein lebensfroheres zu ersetzen.
    "Wir wollen die Olympische Flamme durch Wasser ersetzen. Gleich beim Eröffnungsfest werden die Fackeln gelöscht, für immer. Und die Olympische Flagge wird ab dem Moment dann zum Wasser."
    Damit längst nicht genug. "Wir wollen alle Dinge auf den Kopf stellen. Wir wollen eine Nazi-Parodie machen. Wir wollen ein Leni-Riefenstahl-Remake: Dieser berühmte Film 'Olympia', den Ihr alle kennt, der eben mit Teilnehmer der Paralympics gemacht wird."
    Außerdem: Regional- statt Nationalteams, Regional- statt Nationalhymnen - und Chorsingen für alle. "Der Slogan ist: Lieder statt 'leader'. Weil, den Führer hatten wir ja damals, der 'leader' auf Englisch. Das deutsche Lieder statt 'leader' - Ihr habt's verstanden?"
    Okay, verstanden! Und was sonst? "Dann wollen wir das Olympia-Stadion neu inszenieren. Komplett neues Licht inszenieren. Wir wollen die Heerstraße umbenennen. Wir wollen den Kaiser... Was wollen wir alles umbenennen? Wir wollen eigentlich alles umbenennen."
    Thesen und Fragen an die Spielverderber
    Wie gesagt: Kein Brainstorming, ein Gehirn-Zyklon war's. Und hier weitere wirbelnde Teilchen: "Jeder sollte ein Berliner werden. Wenn du was willst von der Stadt, in der Olympia stattfindet, werde Berliner." - "Die Eröffnungs-Veranstaltung und die End-Veranstaltung sollen eine Mischung sein zwischen Love Parade und Karneval der Kulturen." - "Olympia ohne zusätzliche Überwachungskameras in der Stadt. Keine Total-Überwachung. Und Scharfschützen und so weiter - wirklich fatal." - "Die Spiele nur nach unseren Regeln."
    Was nicht in Thesen passte, wurde in Fragen gestellt: "Bleibt Tegel nicht vielleicht offen, weil es Olympia gibt? Kommt Tempelhof wieder?" - "Gibt es so etwas Absurdes wie die nationale olympiadische Sprache zu diesem Zeitpunkt? Also eine einheitliche Sprache, in der wir alle Olympia sprechen?"
    Fest steht: Das nächste Papier folgt alsbald. Wozu angemerkt werden muss: "Das ist ein wahnsinnig konstruktiver Ansatz. Der macht auf jeden Fall schon mal sehr viel mehr Spaß, als immer sagen 'Ja, ja, das geht alles nicht.'" - "Meckern ist immer einfach. Idealismus gehört dazu, um Dinge zu bewegen."
    "Vielleicht finden wir dann aus den vielen guten Ideen, die wir jetzt einsammeln, so drei, vier, fünf Benchmarks, wo man sagt: 'Das wollen wir aber. Sonst spielen wir nicht mit.'" Ach, das wäre jammerschade, wenn ausgerechnet die Reformatoren der Olympischen Spiele deren Spielverderber würden.
    Vergebens aber wäre der kreative Aufwand der Hauptstadt-Kreativen auch dann nicht gewesen. Denn merke: "So wahnsinnig viel anders für Olympia in Berlin müssen wir gar nicht machen, als wir sowieso für Berlin machen müssten."