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Olympia in Rio de Janeiro
Kultur adé

Kurz vor den Olympischen Spielen in Rio schrauben die Gastnationen an den Themenhäusern, in denen sie sich präsentieren. Für das britische Exemplar an einem der schönsten öffentlichen Orte in Rio wurde mal eben die dort ansässige Kunsthochschule ausquartiert: Nicht der einzige Fall, in der die Kultur dem Spektakel weicht.

Von Carsten Upadek |
    Park Lage in Rio de Janeiro
    Im Park "Lage" in Rio de Janeiro soll das britische Themenhaus für Olympia entstehen - die eigentlich dort arbeitenden Studenten müssen sich nun einen anderen Ort zum Studieren suchen. (Deutschlandfunk/Carsten Upadek)
    Den Park "Lage" im Süden von Rio de Janeiro beschreiben Besucher als wunderschönen und magischen Ort. Üppiger tropischer Regenwald umgibt eine Villa im Kolonialstil, deren zentraler Innenhof mit Pool von einem Säulengang umschlossen ist. Eigentlich sitzen Besucher hier in einem Café und sehen den Studenten der Hochschule für Visuelle Kunst beim Unterricht zu oder schauen deren Ausstellungsstücke an.
    Allerdings ist die Villa ab nächster Woche geschlossen. Großbritannien dekoriert sie als olympisches Themenhaus für Olympia um, in dem das Land für angemeldete Gäste Veranstaltungen und Partys ausrichtet. Die brasilianischen Studenten wurden vor zwei Wochen ausgeschlossen. Sie empörten sich per Facebook - das sei "absurd und traurig." Schulleiterin Lisette Lagnado versteht sie:
    "Das sind Studenten, die uns bezahlen. Sie sind wütend. Wenn wir die Kurse in einer Favela anbieten ist klar, dass da eine bestimmter Teil der Künstler und Studenten nicht hingehen will."
    Rios finanzielle Krise
    Lisette Lagnado verbringt ihre Tage nun damit, Orte in Rio zu finden, in denen Unterricht kostenlos möglich ist, solange die Briten den Parque Lage übernommen haben. Die bezahlen für die zweimonatige Nutzung nach Informationen des DLF zwar umgerechnet etwas über eine halbe Million Euro. Davon hat Lisette Lagnado jedoch nichts. Denn das britische Geld geht an den Staat Rio, der durch eine schwere finanzielle Krise geht. Im Dezember hörte er auf, den künstlerischen Verwaltern von Schule und Park, "Oca Lage", Geld zu überweisen. Im März kündigte er den Vertrag mit der gemeinnützigen Organisation. Der damalige Präsident Marcio Botner musste seine Mitarbeiter entlassen.
    "Wir haben zahlreiche unglaubliche Projekte mit der Einrichtung realisiert. Aber der Staat Rio und das Land sind kollabiert und haben das Projekt von jetzt auf gleich gestoppt - nach zwei Jahren, ein Projekt von fünf - mit unterschriebenen Verträgen, Stipendien, Künstlern. Ich sehe das mit sehr viel Trauer. In was für einem Land ist so etwas möglich? Wie, wie?"
    Basar für die Olympische Familie
    Bis jetzt haben die Mitarbeiter keine Abfindung erhalten - einen Teil soll die Vermietung an das britische Olympia-Team decken. Ähnliches gilt für das französisch-brasilianische Haus, ein bedeutendes Kulturzentrum in Rio. Statt Ausstellungen zu zeigen, lässt dort nun die finnische Delegation für knapp 400.000 Euro den Weihnachtsmann auftreten. Und noch ein Beispiel einer privaten Stiftung, in der statt Kunst Landeswerbung gezeigt wird: das Casa Daros. Wo bis Ende letzten Jahres die "Daros Lateinamerika Kollektion" wichtige Werke zeitgenössischer Kunst ausstellte, baut nun Fußball-WM-Gastgeber Katar einen Basar nach, um Geschichte, Musik und Gastronomie des Landes vorzustellen.
    Dabei gehe es nur ums Geschäft, kritisiert Professor Carlos Vainer von der Bundesuniversität Rio de Janeiro. Er vermisst bei Briten, Finnen, Katarern und vielen anderen die Absicht, durch Olympia echte Momente des internationalen Austauschs zu schaffen:
    "So wie Casa Daros und Parque Lage werden wir kleine Enklaven internationaler Aussteller haben, die aber alle Fake sind, Fälschungen. Nicht die Bevölkerung von Katar wird mit den Einwohnern von Rio sprechen, sondern die Marketing-Leute von Katar. Die ganze Stadt wird in einen großen Basar verwandelt – aber nur für einige ausgewählte Käufer, die Olympische Familie. Öffentliche Orte werden abgezäunt und abgesperrt, die Bevölkerung wird ausgeschlossen, damit das für den Konsum produzierte Spektakel verwirklicht werden kann."
    Nach Olympia droht Bibliothek das Aus
    Im Norden von Rio de Janeiro liegt das Armenviertel Manguinhos. 65.000 Menschen leben hier. Kaum ein Olympia-Besucher wird sich hierher verirren. Rivalisierende Drogenbanden bekämpfen sich gegenseitig. Vor sechs Jahren hat der Staat mitten in der Favela eine öffentliche Bibliothek aufgemacht. Für das Viertel sei sie enorm wichtig, sagt Leiterin Isabela Leal:
    "Es gibt sonst keinerlei Kulturangebot hier in Manguinhos. Deshalb haben wir hier jeden Monat um die 7.000 Menschen im Haus. Wir bieten Musik-Unterricht, Tanz-Unterricht, Sprachen, Nachhilfe etc."

    Ballettunterricht in einem Armenviertel in Rio de Janeiro.
    Auch dem "Ballet Manguinhos" droht das Aus, sollte die Bibliothek in der Favela im Norden Rios schließen. (Deutschlandfunk/Carsten Upadek)
    Und natürlich Bücher. Im großen Lesesaal zeigt die Ballet-Koordinatorin Daiana Ferreira auf die Panorama-Fenster: "Normalerweise habenwir keine großen Fenster aus Glas und ohne Gitter in dieser Gegend. Denn es gibt immer die Gefahr von Diebstahl, Plünderung und Schusswechseln. Aber nicht hier. Denn dieser Ort gehört der ganzen Bevölkerung, sie passt auf ihn auf, sie liebt ihn."
    Durch die finanzielle Krise stellte der Staat Rio Ende 2015 auch hier und für drei weitere Bibliotheken in Armenvierteln die Zahlungen ein. In Manguinhos besetzten Anwohner das Gebäude, protestierten gegen die drohende Schließung. Die Stadtverwaltung sprang mit umgerechnet 400.000 Euro ein und garantierte so den Betrieb aller vier öffentlichen Bibliotheken bis Ende 2016 - vermutlich um im Olympiajahr weitere schlechte Nachrichten zu vermeiden. Was aber nach den Spielen passiert, weiß niemand.
    Delegation der Ausgeschlossenen
    "Schließt die Bibliothek, schließen auch alle Projekte", sagt Daiana Ferreira. "Als Ballet existieren wir, weil wir diesen Ort haben. Wir unterrichten 200 Kinder- und Jugendliche, darunter sechs Jungen, die im Einstiegsalter der Drogenbanden sind. Wir sozialisieren hier, schaffen einen Sinn dafür, was Kultur ist, Gesellschaft, Staatsbürgerschaft. Ich habe Angst um Rio de Janeiro, Angst davor, dass nach Olympia alles aufgegeben wird."
    Mit dieser Angst ist die Balletleiterin Daiana aus der Favela nicht allein. Im Zentrum von Rio de Janeiro haben Kunstschaffende eine Etage des Ministeriums für Kultur besetzt. Es sei ein S.O.S.-Signal, sagt Ana Lucia Pardo, ehemalige Mitarbeiterin des Ministeriums. "Welche dringenden Sachen hier in Rio hätten mit dem Geld erledigt werden können?", fragt sie - und meint die offiziell knapp elf Milliarden Euro Kosten der Sommerspiele im August. Während Olympia wollen die Besetzer des Kulturministeriums ein Alternativprogramm mit Diskussionen, Märschen und Theater anbieten - als eigene selbst ernannte Olympiadelegation: der Delegation der Ausgeschlossenen.