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Olympiabewerber in Lausanne

In Lausanne trifft sich ab Montag das IOC-Exekutivkomitee. Es berät unter anderem über die Aufnahme neuer Sportarten ins Olympische Programm. Mitte der Woche kommt es dann zu einem Novum in der Geschichte des IOC: Erstmals wird den Olympiabewerbern gestattet, sich einige Monate vor der Entscheidung der IOC-Session - im Oktober in Kopenhagen - vor den IOC-Mitgliedern zu präsentieren.

Von Jens Weinreich |
    Für Chicago, Tokio, Madrid und Rio de Janeiro - die verbliebenen Kandidaten für die Sommerspiele 2016 - hat der Besuch in Lausanne den Rang einer Staatsaffäre. Derartige Präsentationen sind neu, IOC-Präsident Jacques Rogge hat sich dafür entschieden, weil sich etliche IOC-Mitglieder darüber beschwert hatten, dass sie die Bewerberstädte nicht mehr besuchen und deshalb angeblich nicht professionell entscheiden könnten.

    Die Einladungen von Olympiabewerbern waren im IOC-Krisenjahr 1999 nach dem Bestechungsskandal um Salt Lake City und andere Städte verboten worden. Schon immer hatte es Widerstand gegen diese Mehrheitsentscheidung gegeben, die unter dem Druck der Weltöffentlichkeit getroffen wurde. Das deutsche Mitglied Walther Tröger etwa war immer dagegen und argumentierte: Wer nicht bestechlich sei, dem könne man auch nicht verbieten, Kandidatenstädte zu besuchen.

    Schaut man genauer hin, dann wurde die Regel allerdings nie energisch durchgesetzt. Denn Rio de Janeiro hat beispielsweise in den vergangenen Jahren - schon im Range einer Bewerber- und später einer offiziellen "Candidate City" - zahlreiche Weltmeisterschaften ausgerichtet. Vor allem aber: Die Panamerikanischen Spiele fanden vor zwei Jahren in Rio statt, eine Art olympischer Testlauf. Geschätzte zwei Drittel aller IOC-Mitglieder haben Rio in diesem Zeitraum aufgesucht - in zahlreichen anderen Funktionen. Denn das ist ja leicht in dieser Branche der Multifunktionäre.

    Nun dürfen sich die Bewerber am Mittwoch je 90 Minuten im Olympischen Museum vor den IOC-Mitgliedern präsentieren, inklusive einer Fragerunde. Am Donnerstag gibt es weitere - nichtöffentliche - Präsentationen im IOC-Nobelhotel Palace.

    Von Anfang April bis Anfang Mai hatte die so genannte Evaluierungskommission des IOC, geleitet von der Marokkanerin Nawal El Moutawakel, alle Bewerber eine knappe Woche lang besucht. Der Bericht dieser Kommission soll wie immer als Entscheidungsgrundlage dienen. Historischer olympischer Fakt ist allerdings, dass zuletzt 1995 eine Stadt gewann, die in der Evaluierung Bestnoten erhalten hatte: Das war ausgerechnet Salt Lake City.

    Das IOC-Exekutivkomitee wird in Lausanne zudem den Bericht der olympischen Programmkommission diskutieren, die vom Italiener Franco Carraro geleitet wird. Hier geht es um die Aufnahme neuer Sportarten für die Sommerspiele 2016. Für London 2012 waren vor vier Jahren Baseball und Softball aus dem Programm gestrichen worden, so dass derzeit nur 26 Sommersportarten olympisch sind. Neben Baseball und Softball bewerben sich auch Golf, Rugby, Squash, Karate und Inlineskating um einen Platz für 2016. Sie alle dürfen sich vor der Exekutive präsentieren und sind mit prominenten Vertretern angereist. Vor allem Golf und Squash investieren enorme Summen in die olympische Lobbyarbeit.

    Die Exekutive wird auf ihrer nächsten Sitzung Mitte August in Berlin einen Vorschlag für die IOC-Session im Oktober in Kopenhagen unterbreiten. Einige andere Programm-Entscheidungen kann die Exekutive allein fällen, dazu braucht es das Votum der Vollversammlung nicht. Dazu zählt beispielsweise die Aufnahme von Frauen-Boxen, woran kaum noch Zweifel bestehen. IOC-Präsident Rogge hat sich am Wochenende in einem Interview entsprechend geäußert.

    Ching-Kuo Wu, IOC-Mitglied aus Taiwan und Präsident des Box-Weltverbandes AIBA, hatte sich vor Wochen im Deutschlandfunk bereits optimistisch gezeigt. Sein Hauptargument: Boxen ist derzeit die einzige olympische Sportart ohne Frauen-Wettbewerbe. Frauen-Boxen habe sich inzwischen weltweit etabliert. Ein Argument, das vom IOC vor allem goutiert werden dürfte, ist dass die Boxer keine weiteren Startplätze verlangen. Denn die Teilnahme an Sommerspielen ist insgesamt auf rund 10.500 Athleten begrenzt. C.K. Wu:

    "Wir wollen unser Kontingent nicht aufstocken, wir wollen nicht mehr Sportler bei den Spielen. Wir reduzieren die Männer-Wettbewerbe von elf auf zehn. Wir wollen dafür fünf Frauen-Wettbewerbe mit jeweils acht Boxerinnen. Das sind dann insgesamt 40. Und damit erfüllen wir die wichtigste Anforderung des IOC. Ich denke, wir haben eine gute Chance, dass das IOC darauf eingeht."

    Die AIBA hat gute Karten, zumal Wu als Reformer gilt, der in dem korruptionsverseuchten Verband aufgeräumt hat. Einer Belohnung durch die Exekutive steht nichts im Wege.

    Diskutiert wird in diesen Tagen vor allem über die Pläne des Fußball-Weltverbandes FIFA, dessen Präsident Joseph Blatter, selbst IOC-Mitglied, künftig aus dem Olympiaturnier eine U21-Veranstaltung machen will. Diese Altersbegrenzung wird in der IOC-Exekutive mehrheitlich abgelehnt. Rogge kündigte eine baldige Klärung an - aber erst nach den Sitzungen in Lausanne.