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Olympische Kongresse - die Historie

Olympische Kongresse haben eine lange Tradition: Den ersten gab es bereits im Jahr 1894 in Paris. Die 13. Veranstaltung dieser Art findet in wenigen Wochen in Kopenhagen statt – und entscheidet über die Vergabe der Sommerspiele 2016.

Von Jens Weinreich |
    Der Kanadier Richard Pound, langjähriger IOC-Vizepräsident, hatte sich für den Kongress in Kopenhagen ein eigenes Thema zur Korruptionsbekämpfung gewünscht. Doch Pounds Meinung ist nicht mehr gefragt im IOC. Die Kongress-Themen heißen: "Athleten", "Olympische Spiele", "Struktur der Olympischen Bewegung", "Olympismus" sowie "Jugendliche und Digitale Revolution" – mit Ausnahme des letzten Themas geht es kaum unkonkreter.

    In der Korruptionsbekämpfung wird dieser Kongresss kaum Zeichen setzen. Im Gegenteil: Figuren wie der langjährige Samsung-Chef Kun Hee Lee, mehrfach wegen groß angelegter Korruption verurteilter Wirtschaftsboss, werden munter über Moral und Ethik palavern, ohne Folgen. Kun Hee Lee blieb trotz aller Vergehen Mitglied des IOC, wie andere, die wegen Korruption in ihrer Heimat verurteilt worden sind.

    Schließlich wird auch wieder jener Mann akkreditiert sein, der für den größten – und ungesühnten – Bestechungsskandal in der Geschichte des Weltsports verantwortlich ist: Jean-Marie Weber, langjähriger Manager der Vermarktungsfirma ISL, der mindestens 138 Millionen Schweizer Franken Schmiergeld an hohe Sportfunktionäre verteilt hat.

    Das ist die olympische Realität – in der Ära Rogge.

    Im Juli 2001 war Rogge als IOC-Präsident mit diesen Versprechen angetreten: gegen Gigantismus, gegen Doping, für die Jugend, gegen Korruption und für eine Neuordnung des Olympischen Programms.

    Es gehört zu seinen schweren Versäumnissen, nicht sofort einen Kongress einberufen zu haben.

    Die Programm-Fragen inklusive der Olympischen Jugendspiele und Fragen der Bezahlbarkeit Olympischer Spiele hätten wunderbare kompakte Kongresse ergeben. Doch was tat Rogge? Er ließ zwar Vorschläge für Einsparungen bei der Olympia-Organisation erarbeiten – doch kaum etwas wurde umgesetzt, die Spiele sind weiterhin von Gigantismus geprägt.

    Er scheiterte mehrfach beim Versuch, kosmetische Operationen am Olympia-Programm durchzuführen – und wird in Kopenhagen lediglich Rugby und Golf als neue Sportarten begrüßen können. Die Jugendspiele, seine Idee, peitschte er in Windeseile durch, ohne öffentliche Debatte über Sinn und Zweck dieser Veranstaltungen – es reichte, die IOC-Mitglieder zu überzeugen, dass dadurch der dringend benötigte Nachschub an Athleten und TV-Konsumenten für die richtigen Olympischen Spiele generiert werden kann.

    In Kopenhagen findet der 13. Olympische Kongress statt. Ein kleiner Rückblick:

    Den ersten gab es im Juni 1894 in der Pariser Sorbonne. Damals gründete sich auf Initiative des Franzosen Pierre de Coubertin das IOC und berief die ersten Spiele der Neuzeit ein: 1896 in Athen.

    Die ersten neun Kongresse fanden bis 1930 statt, dann folgte eine lange Pause – bis 1973 in Warna, wo vor allem der Versuch des Ostblocks verhindert wurde, aus dem IOC eine UNO des Sports zu machen, mit Sitz und Stimme für jedes Nationale Olympische Komitee. Die Auseinandersetzung der Blöcke und Systeme prägten jene Jahre, bis 1988 wurden alle Sommerspiele boykottiert.

    Epochal waren die Beschlüsse des Kongresses 1981 in Baden-Baden. Damals wurde das Ende des Amateurismus beschlossen, wurden die Spiele für den Profisport geöffnet und die Kommerzialisierung eingeleitet. Im Jahr zwei der Ära Samaranch wurde die Führungsrolle des IOC manifestiert. Und: mit der Finnin Häggman und der Venezolanerin Isava-Fonseca wurden die ersten Frauen ins IOC aufgenommen. Häggman, dies nur am Rande, trat 1999 im Zuge des Bestechungsskandals zurück.

    In Baden-Baden sagte übrigens Samaranchs Vorgänger, der Ire Lord Killanin:

    "Ich war der Überzeugung, dass der Posten des IOC-Präsidenten nicht käuflich sein sollte."

    Dies war auf Samaranch gemünzt, der unterstützt von Leuten wie dem Adidas-Chef Horst Dassler und zahlreichen dubiosen Figuren wie dem Schmiergeldboten André Guelfi eine Kultur des Geben und Nehmens etablierte, eine Kultur der Korruption, des Wegsehens, der Vorteilsnahme, der diskreten Privatgeschäfte.

    Der 12. Kongress 1994 in Paris sollte Weichen stellen für das neue Jahrtausend. Doch er war von eklatanter Inhaltsleere und Verlogenheit geprägt. Der so genannte Medical Code, den man verabschiedete, wurde nach der Tour de France 1998 zur Makulatur.

    Präzise betrachtet hat es in den 15 Jahren seit Paris doch Olympische Kongresse gegeben – auch wenn die anders hießen. Denn die Zusammensetzung der drei Welt-Anti-Doping-Konferenzen entsprach im Grunde jener Konstellation, die einst Coubertin für die Kongresse ersonnen hatte: Treffen von IOC, NOK und allen Weltverbänden – den drei Säulen der olympischen Bewegung – und dazu in nie dagewesener Zahl auch Regierungen und Sponsorenvertreter. Auf der ersten dieser Konferenzen wurde 1999 in Lausanne die Gründung der WADA beschlossen, auf der zweiten 2003 in Kopenhagen der erste Welt-Anti-Doping-Code verabschiedet, auf der dritten 2007 in Madrid der überarbeitete zweite Code.

    Wäre Jacques Rogge ein konsequenter IOC-Präsident, hätte spätestens der Olympische Kongress in Kopenhagen auch einen Welt-Anti-Korruptions-Code und eine Anti-Korruptions-Agentur beschließen bzw. gründen müssen. Doch diese Idee wurde nur von wenigen Branchengrößen wie Richard Pound vertreten. Es ist eine Außenseiter-Position.