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Olympische Spiele in Rio
Meinungsfreiheit ja – aber nicht bei den Spielen

Auf den Zuschauerrängen der Arenen ist ein Streit ausgebrochen, ob politische Botschaften erlaubt sind oder nicht. Die Olympia-Organisatoren wollen „saubere Arenen“, haben politische Botschaften also verboten. Ein Bundesgericht urteilte aber, das sei nicht rechtens und erlaubte friedliche Proteste. Gestern nun kündigte das Organisationskomitee an, in Berufung zu gehen.

Von Carsten Upadek | 10.08.2016
    "Temer raus" steht - an den Übergangspräsidenten Michel Temer gerichtet - auf dem Plakat des Zuschauers beim Spiel Kolumbien gegen Japan in Manaus bei den Olympischen Sommerspielen.
    "Temer raus" steht - an den Übergangspräsidenten Michel Temer gerichtet - auf dem Plakat des Zuschauers beim Spiel Kolumbien gegen Japan in Manaus bei den Olympischen Sommerspielen. (imago sportfotodienst)
    Der Streit begann direkt am ersten Wettkampftag am Samstag beim Finale Bogenschießen. In einem im Internet zirkulierenden Video sind vier Soldaten der brasilianischen Nationalgarde zu sehen, die einen Zuschauer gewaltsam von seinem Sitzplatz ziehen. Der Mann hatte ein Protestschild hochgehalten gegen Brasiliens Übergangspräsidenten Michel Temer. Frei übersetzt stand auf dem Schild: "Verschwinde, Temer!"
    Demonstrant aus Stadion abgeführt
    Im Video hört man andere Zuschauer den Soldaten zurufen: "Ist das der olympische Geist?!" Dem filmenden Besucher versucht sich ein fünfter Soldat ins Bild zu verstellen, während die anderen Uniformierten den Demonstranten abführen, die Arme auf dem Rücken verdreht. Zahlreiche Menschen buhen und pfeifen. Den Arenen-Verweis begründete der Sprecher des Olympia-Organisationskomitees Mário Andrada damit, dass Plakate und Schilder mit politischen oder religiösen Botschaften verboten seien:
    "Das ist die etablierte Regel und die wird durch das olympische Gesetz geschützt. Visuelle Demonstrationen sind verboten, die anderen sind frei."
    Autoritäten ausbuhen geht, politische Botschaft aus Shirts nicht
    Autoritäten ausbuhen ist nach dieser Auslegung erlaubt – das Tragen eines T-Shirts mit einer politischen Botschaft aber nicht. Das Olympia-Gesetz war im Mai 2016 noch durch Präsidentin Dilma Rousseff unterschrieben wurden. Die soll ihre Haushaltszahlen manipuliert haben und wurde deshalb kurz darauf vom brasilianischen Senat suspendiert und durch Vize Michel Temer ersetzt. Rousseffs Anhänger sehen das als parlamentarischen Staatsstreich. Ob Rousseff ihres Amtes endgültig enthoben wird, will der Senat Ende August entscheiden. Die Meinungen der Brasilianer sind gespalten – auch darüber, ob man die Olympischen Spiele zum Protest nutzen sollte.
    "Ich bin im olympischen Geist. Bis zum Ende der Spiele will ich nichts hören von Lula oder Temer, sondern das olympische Klima leben. Das ist ein sportlicher, kein politischer Moment." Und diese Frau sagt: "Den Leuten fehlt der Respekt vor dem Sport und der Welt, die uns zusieht! Das ist ein internes Problem und hat nichts mit einem globalen Event zu tun!"
    Diese junge Frau sieht das anders: "Ich finde es absurd, Menschen auszusperren, weil sie ihre politische Position vertreten." Und dieser Mann: "Brasilien ist ein Land der demokratischen Rechte. Die Menschen sind frei, zu sagen, was sie denken."
    Heftige Diskussion um freie Meinungsäußerung
    In den letzten Tagen gab es in Presse und sozialen Netzwerken eine heftige Diskussion um das Recht auf freie Meinungsäußerung bei den Spielen. Ein Bundesrichter in Rio entschied am Montag, dass friedlicher Protest durch Plakate, T-Shirts und andere legale Mittel auch in Olympia-Wettkampfstätten erlaubt seien. Das Urteil droht dem Organisationskomitee mit finanzieller Strafe, sollte es seine "Macht weiter missbrauchen."
    Komitee-Sprecher Mário Andrada kündigte gestern an, in Berufung zu gehen. Bei der Fußball-WM 2014 habe es ja auch kein Recht auf politische Meinungsäußerung gegeben.
    "Wir respektieren die Entscheidung des Richters. Wir werden sie wie verordnet durchsetzen, aber die erforderlichen juristischen Maßnahmen ergreifen, weil wir glauben, dass diese Situation schon anders beurteilt wurde."
    Heißt: Meinungsfreiheit ja – aber nicht bei den Olympischen Spielen.