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Olympische Spiele
Indio-Symbol am Maracanã in Ruinen

Direkt neben dem Maracanã-Stadion, wo die Olympischen Spiele eröffnet wurden, befindet sich ein verfallendes Gebäude, das eigentlich der ganze Stolz der indigenen Völker Brasiliens sein sollte – sogar per Dekret verordnet. Stattdessen aber steht dort eine abgesperrte Ruine. Um das Gebäude gibt es seit Jahren Streit.

Von Carsten Upadek | 07.08.2016
    Carlos Turkano steht mit verschränkten Armen vor dem Wohnblock.
    Carlos Tukano vor dem Sozialblock in dem er und ein Teil der indigenen ehemaligen Bewohner des Dorfes Maracana nun wohnen. (Deutschlandradio / Carsten Upadek)
    80.000 Menschen strömten am 5. August zur Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele ins Maracanã-Stadion. Kaum einer dürfte dem heruntergekommenen Feudalgebäude mehr als einen Blick gewürdigt haben, das direkt nebenan steht – abgesperrt mit Gitterzäunen und Brettern, sichtgeschützt von Bäumen. Eigentlich sollte die Ruine sich bis zu diesem Tag verwandelt haben – in das Kulturzentrum der indigenen Völker Brasiliens.
    "Auch wenn das Gebäude eine Ruine ist, es trägt eine gigantische Erinnerung, physisch, moralisch und geistlich", sagt Indio Carlos Tukano. Legenden ranken sich um das Grundstück, genannt "Dorf Maracanã". Und es ist umkämpft: Carlos Tukano ist der Führer einer Gruppe – unterstützt von den wichtigsten Stammesältesten Brasiliens. Urutau Guajajara führt die Andere. Letztere ist zwar viel kleiner, erzeugt aber deutlich mehr Aufmerksamkeit.
    Wichtigsten Indio-Museums Brasiliens besetzt
    Mitte Juli besetzte Guajajara mit einigen Anhängern in einem anderen Stadtteil das Indio-Museum Rio de Janeiro, das bedeutendste Brasiliens. "Wir wollen den Staat zwingen, mit uns über die Rückgabe des ‚Dorf Maracanã‘ zu verhandeln", begründete er. "Sie haben 2013 gelogen über den Umbau, die haben über die Olympischen Spiele gelogen und sie werden wieder lügen!"
    Männer klettern über einen Zaun vor den Museum.
    Eine Gruppe besetzt das Indio-Museum in Rio. (Deutschlandradio / Carsten Upadek)
    Guajajara wirft der Indio-Gruppe um Carlos Tukano vor, sich vom Staat habe kaufen zu lassen. Tukano sitzt auf der Couch auf seiner Sozialwohnung und antwortet:
    "Ich weiß auch nicht mehr, was die andere Seite will. Sie haben kein Projekt, das sie präsentieren. Sie wollen nur Krawall. Ich bin nicht gegen Demos, ich bin gegen Gewalt, Zerstörung das Bild, Indios als Opfer zu nutzen! Ich bin kein Opfer, ich will Zusammenarbeit, eine Partnerschaft. Ich will Gleichheit!"
    Symbol gegen Korruption
    Tukano und Guajajara gehörten beide einer Gruppe Indigener an, die 2006 das verfallene Gebäude neben dem Maracanã-Stadion besetzten. Sie sehen es als Symbol der indigenen Kultur. Anfang 2013 aber wollte es Rios damaliger Gouverneur Sergio Cabral abreißen lassen um Platz zu schaffen, für den Umbau des Maracanã für die Fußball-WM 2014. Carlos Tukano war damals Häuptling des Dorfes.
    "Warum wollte er das Gebäude unbedingt abreißen? Wegen Schmiergeldern! Ich bin mir sicher er hat den Platz versprochen für Shopping, Restaurants, Parkplatz. Deshalb hatte er so eine Wut auf uns!"
    Die Indigenen leisteten Widerstand bis März 2013. Dann räumten 200 Einsatzkräfte das Gelände. Aber da war das "Dorf Maracanã" bei den anschwellenden landesweiten Demonstrationen bis Juni 2013 schon zum Symbol gegen Korruption und Geldverschwendung geworden. Das beeindruckte dann auch Sergio Cabral.
    Kurzfristig angebrachte Banner sind Enttäuschung
    "Deshalb hat der Gouverneur ein Schutzdekret unterschrieben, das das Gebäude als Referenzzentrum der indigenen Völker ausweist", erzählt Alexandre Pimentel, Superintendent des staatlichen Kultursekretariats. Deren Mitarbeiter sollten das Projekt ab Dezember 2013 umsetzen – zusammen mit den Indios. Ein Teil der ehemalige Bewohner begann zu verhandeln. Darunter Carlos Tukano – er zeigt dem DLF Bauentwürfe, Nutzungskonzepte, Unterschriften. Aber trotz aller Pläne – nicht mal die Sofortmaßnahmen zur Erhaltung des Gebäudes sind bis heute eingeleitet. Kultur-Superintendent Pimentel:
    "Ich kann garantieren, dass das Referenzzentrum für uns eine bedeutende Marke und ein großer Wunsch wäre. Wir sind sehr frustriert, dass wir das immer noch nicht hinbekommen haben."
    Erst kam die Fußball-WM, dann Gouverneurs-Wahlen und dann eine finanzielle Krise, die den Staat Rio im Juni den Notstand ausrufen ließen. Nun kann das Kultur-Sekretariat kaum seine laufenden Rechnungen bezahlen. Tukanos indigener Verein forderte wenigstens zwei Banner auf dem Turm der Feudal-Ruine, die das Gebäude als zukünftiges indigenes Kulturzentrum ausweist.
    "Schon bei der Fußball-WM waren wir praktisch unsichtbar" klagt er. Mit viel bürokratischem Aufwand wurden die Banner am Dienstag dieser Woche schließlich angebracht – eines schief, das andere versteckt hinter Bäumen. Für die Indios eine Enttäuschung.
    Eigene Millionen-Interessen
    Guajajaras medienwirksame Besetzung des Indio-Museum im anderen Stadtteil Mitte Juli endete nach wenigen Tagen. Polizeieinheiten räumten das Gelände. Es gab Rangeleien, Beschimpfungen und Tränengas. Was Guajajaras den wartenden Journalisten aber nicht erzählte: er steht kurz vor einem Prozessabschluss. Vor einem Bundesgericht klagen er und sein Bruder auf Übertragung des "Dorfes Maracanã" an eine Organisation, der praktisch nur die beiden angehören. Alternativ verlangen sie eine Entschädigung über umgerechnet 17 Millionen Euro. Die Besetzung des Indio Museums sollte wohl zusätzlich Druck aufbauen.
    Wegen der entstandenen Schäden, bleibt das bedeutendste Museum Brasiliens indigener Kultur für den Rest der Olympischen Spiele voraussichtlich geschlossen.