Bundespräsident Joachim Gaucks wird nicht zu den Olympischen Winterspielen im kommenden Jahr nach Sotschi reisen. Das bestätigte eine Sprecherin des Bundespräsidialamtes. Dies sei aber nicht als Boykott zu verstehen, sagte sie. 2010 habe auch der damalige Bundespräsident Horst Köhler auf die Reise zu den Winterspielen in Vancouver verzichtet. Nach Informationen des Nachrichtenmagazins "Der Spiegel" hat das Bundespräsidialamt der russischen Regierung bereits in der vergangenen Woche die Entscheidung mitgeteilt. Die Absage des 73-Jährigen sei eine Kritik an den "Menschenrechtsverletzungen und der Drangsalierung der Opposition" in Russland, heißt es.
Auch wenn Gaucks Absichten damit unklar bleiben, hat die Entscheidung bereits lebhafte Diskussionen hervorgerufen. Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth attestierte ihm eine starke Haltung, Vertreter von CDU und SPD reagierten skeptisch. Roth sagte der „Rheinischen Post“ aus Düsseldorf, einer Politik, die Homophobie zum Gesetz mache und die Opposition unterdrücke, dürfe nicht tatenlos zugesehen werden. Dass der Bundespräsident wisse, was das Leben in einer unfreien Gesellschaft bedeute, mache den Boykott so glaubwürdig.
"Die Winterspiele in Sotschi waren geplant als Zarenfestspiele"
Der Menschenrechtsbeauftragte Markus Löning nannte die Entscheidung des Präsidenten eine wunderbare Geste der Unterstützung für alle russischen Bürger, die sich für Meinungsfreiheit, Demokratie und Bürgerrechte einsetzen. „Die Winterspiele in Sotschi waren geplant als Zarenfestspiele“, sagte der FDP-Politiker der dpa. Diese Rechnung gehe jedoch nicht mehr auf.
Dagegen sagte der CDU-Bundestagsabgeordnete und Russland-Experte Andreas Schockenhoff der Zeitung "Die Welt", der Boykott entspreche zwar der konsequenten Haltung des Bundespräsidenten zu Menschenrechtsfragen. Einen generellen Boykottaufruf halte er aber trotzdem für falsch: "Man muss sich fragen, ob man damit nicht auch die Menschen im Land trifft."
"Ein Besuch hätte auch Möglichkeiten zu politischen Gesprächen geboten"
Der SPD-Bundestagsabgeordnete Lars Klingbeil, Vizevorsitzender der deutsch-russischen Parlamentariergruppe, sieht einen Boykott ebenfalls skeptisch. Ein Besuch der Olympischen Spiele hätte auch eine gute Möglichkeit geboten, um Gespräche mit Reformkräften in Russland zu führen und ihren Anliegen in der politischen Debatte mehr Aufmerksamkeit zu verschaffen, sagte Klingbeil.
Президент Германии Гаук ни разу не осудил убийство детей и женщин в Пакистане и Афганистанe. Но он так осуждает Россию, что не поедет в Сочи— Алексей Пушков (@Alexey_Pushkov) December 8, 2013
Aus Russland kamen ebenfalls Worte des Unverständnisses. Der Chef des Auswärtigen Ausschusses im russischen Parlament, Alexej Puschkow, schrieb auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: "Der deutsche Präsident Gauck kritisierte kein einziges Mal die Tötung von Kindern und Frauen in Pakistan und Afghanistan. Aber er verurteilt Russland so stark, dass er nicht einmal nach Sotschi reisen will."
Diskussionen auch unter Sportlern
Auch im deutschen Sport sorgte die Absage für Diskussionen: Mit einem Boykott habe dies nichts zu tun, sagte der Generaldirektor des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB), Michael Vesper, der Nachrichtenagentur dpa. "Wer nicht hinfährt, der boykottiert nicht gleich etwas. Es ist mit Sicherheit nicht gegen die deutsche Mannschaft gerichtet."
Bei den Sommerspielen und den Paralympics 2012 in London war Gauck vor Ort gewesen. Russland hat der ehemalige Pastor und DDR-Bürgerrechtler Gauck seit seinem Amtsantritt im März 2012 noch keinen offiziellen Besuch abgestattet.