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Gefährliche Stilfragen

Der Jazzpianist Michael Wollny arbeitet gerne genreübergreifend. Die Unterscheidung zwischen U- und E-Musik findet er irritierend, spielt mutig, poetisch und unberechenbar. Und spontan, denn an der Musik, die er spiele, fühle er sich "in den besten Momenten gar nicht groß beteiligt."

Michael Wollny im Gespräch mit Thekla Jahn | 14.03.2014
    Thekla Jahn: "God is a DJ" – ein Titel von Pink, ist auf ihrem neuen Album zu finden, nicht im Original, sondern in der Version des Michael Wollny Trios. Michael Wollny, was hat ihnen das Stück angetan, dass sie sich als Jazzer mit der Rocknummer auseinandersetzen wollten…
    Michael Wollny: Das hat ganz viel zu tun mit dem Sänger, der ja auch auf der Aufnahme zu hören ist: Theo Bleckmann. Das war bei unserer ersten Begegnung damals anlässlich eines Festivals, der Jazz Baltica. Da haben wir uns getroffen und uns überlegt, welche Stück wir spielen wollen. Wir haben uns einfach verschiedene Songs vorgespielt, die wir im Kopf hatten und tatsächlich war Theo derjenige, der Pink mitgebracht hat. Pink war zunächst jemand, mit dem ich so gar nichts anfangen konnte, aber mit diesem Stück, da waren so bestimmte Elemente, also die Hooks oder bestimmte Melodien, von denen wir beide dachten, damit können wir bestimmt was machen. Und dann haben wir eigentlich nicht viel mehr vorbereitet, als so ein bisschen den Text aufzuschreiben und uns die Form anzuschauen und dann haben wir das Aufnahmegerät angemacht und einfach zu zweit in meinem Proberaum hier in Frankfurt in Hoechst drauflos improvisiert. Da ist ziemlich genau beim ersten Take die Version entstanden, die dann später auch Arrangement wurde.
    Jahn: Der Titel "God is a DJ" – zeigt ganz deutlich, dass Sie keine Berührungsängste haben, was Rock oder Pop angeht. Das ist doch eher untypisch für Jazzmusiker wie Sie?
    Wollny: Naja, ich denke, dass man als Jazzmusiker gerne auf etwas zurückgreift, was man kennt oder was gerade in der unmittelbaren Umgebung so auf einen einstürmt. Alles, was so hängen bleibt, und was einem das Gefühl gibt, damit will ich was machen, oder da kitzelt es gerade einen Bereich, ich will da was ausprobieren, alles das, ist mögliche Grundlage für Exkursionen.
    Jahn: Als Musiker verbringt man sehr viel Zeit mit der eigenen Musik. Wie viel Zeit bleibt Ihnen, Musik zu hören, sich mit dem zu beschäftigen - auch mit der Rock- oder Popmusik - was andere produzieren?
    Wollny: Also mir persönlich ist es sehr wichtig, dass ich sehr viel höre, dass ich nicht nur analytisch höre, sondern auch mit Genuss höre, also mich auch mal verzaubern lasse von irgendeiner Musik. Es gelingt nicht immer, weil man als Musiker dann doch -sobald man merkt - ah, da ist was Interessantes - versucht zu verstehen, was da genau passiert, bis hin zu den einzelnen Harmonien oder Produktionsdetails, die man versucht, irgendwie herauszufiltern. Aber letzten Endes habe ich schon großes Interesse daran, viel zu hören und mich auch weiter verzaubern zu lassen.
    Jahn: Was hören Sie gerne?
    Wollny: Unterschiedliches. Ich habe sehr viel "Get Well Soon" gehört. "The Notwist" hat ein Superalbum gemacht, das hab ich jetzt gerade zuletzt viel gehört und Nick Cave. Das ist es erst mal so aus diesem ganzen Independentbereich. Ich bin ein großer Fan von Jarvis Cocker, die ganzen Pulp-Sachen von früher höre ich nach wie vor rauf und runter, aber das ist nur eine Seite. Ich habe vor Kurzem aber auch ein ganz tolles Stück Musik von Fauré kennengelernt: sein "Requiem". Also ich höre wirklich querbeet und ich versuche, mir genau diese Offenheit auch zu bewahren, weil ich denke: Alles, was einen wirklich anspricht, da sollte man sich nicht grundlos selbst beschneiden und sagen, das ist aber das falsche Evangelium.
    Jahn: Auf ihrem neuen Album "Weltentraum" ist eine Menge Material zu finden: Da sind Alban Berg, der Meister der Zwölftonmusik, und Wolfgang Rihm, der Neue Musik komponiert, ebenso vertreten wie David Lynchs Filmmusik oder ein Titel der Indie-Rockband "The flaming lips" oder ein altes Volkslied "Mühlrad" - höchst unterschiedliche Vorlagen für ihre Bearbeitungen. Oder gibt es einen albumübergreifenden Zusammenhang?
    Wollny: Also die Grundidee für dieses Album war diesmal- nachdem es davor Alben gab, denen es ausschließlich um eigene Kompositionen oder um bestimmte experimentellere Konzepte wie zum Beispiel die Kombination von Tasteninstrumenten mit Klavier, Cembalo, Celesta und anderen ging - jetzt ein Album zu machen, das sich vor allem und hauptsächlich auf Songs bezieht. Das war die allererste Idee. Und davon ausgehend hab ich dann gemerkt, dass ich, wenn ich mich mit diesem Thema beschäftige, ziemlich schnell nicht nur bei den Standards bin, sondern eben auch bei Popsongs - und auf der anderen Seite auch in der klassischen Liedtradition von Schubert über Mahler bis hin zu Rihm.
    Jahn: Es scheint fast so, als suchen Sie in der gesamten Musiktradition der vergangenen Jahrhunderte und nehmen die ausgewählten Werke dann mit in ihre Transformationskammer. Was stellen sie dann mit ihnen an?
    Wollny: Ich denke erst einmal, ich bin es nicht alleine, es ist eine Band, eine Gruppe, die sich zusammen diesem Material nähert. Ansonsten versuche ich, mich den Stücken immer so zu nähern, dass ich gucke: Was ist eigentlich der Kern dessen, was mich da interessiert. Das kann musikalisches Material sein, das kann aber auch eine Textzeile sein. Beim "Mühlrad" zum Beispiel - es ist ja ein altes Volkslied, "In einem kühlen Grunde" kennt man vielleicht als Titel - da war es dann so, dass ich mir überlegt habe, was will ich da improvisieren. Und da es ja in diesem Text um das Mühlrad geht, an dem die verlassene Geliebte sitzt, die ihrem treulosen Verlobten hinterherweint, und sich dieses Mühlrad immer dreht und dreht und sie da auch gar nicht rauskommt aus ihrer Trauer, da war mir klar, dass ich so eine Struktur schaffen muss, die eine in sich kreisende Bewegungen ist: einfach ein Rad, um das man spielt.
    Jahn: Denken Sie denn beim Improvisieren die Noten, bevor ihre Hände den Gedanken ausführen, oder werden die Hände selbsttätig und die Gedanken geben nur noch grobe Marksteine vor?
    Wollny: Ich glaube, sobald man anfängt, zu denken beim Spiel, dass da eigentlich schon irgendwas nicht so rundläuft. Ich denke auf gar keinen Fall in irgendwelchen Noten oder harmonischen Konzepten. Das sind alles Dinge, die - glaube ich - in der Phase des Übens oder in der Probephase eine große Rolle spielen sollten, weil ich schon denke, dass man ein Wissen darum haben muss, was man da tut. Aber ich glaube, beim Spielen geht es letzten Endes darum, eine Energie zu spüren, sich darauf einzulassen, das zu tun, was der Moment von einem fordert. Das kann ich nur so beschreiben. Mein Bild ist, dass man Mittel ist. Man sitzt am Instrument und irgendwas spielt durch einen hindurch. Und ich denke, das ist, was viele Musiker kennen, dass man in den besten Momenten gar nicht groß beteiligt ist.
    Jahn: Auf der CD ist auch ein Stück aus dem Film “Eraserhead” von David Lynch. Das zynische Stück "In heaven". Den Refrain findet man noch mal, wenn man die CD-Hülle aufklappt und die Scheibe herausnimmt. Da steht dann: ”In heaven everything is fine, you´ve got your good things and I´ve got mine”. Weshalb haben Sie dieses Zitat so exponiert platziert, da scheint es für sie eine besondere, tiefere Bedeutung zu haben?
    Wollny: Also, ich bin erst einmal ein großer Unterstützer der Idee, dass man viele Dinge auf einmal präsentieren kann. Im Fall einer CD sind das Text, Cover und Musik. Damit gibt man auch dem Hörer, ohne es ihm genau aufzudröseln, warum man das gemacht hat, Futter und damit die Möglichkeit, die Musik noch mal anders zu hören. Ich denke einfach, bei diesen Zeilen spielt für mich eine Rolle, dass sie so wahnsinnig unterschiedlich lesbar sind. Das kann man ja wirklich ganz naiv, aber auch ganz zynisch oder ganz böse oder ganz voller Liebe lesen. Das Auge des Betrachters spielt da eine ganz große Rolle. Außerdem, ohne viel dazu zu sagen, ich finde auch das Wort "heaven", das musste auf dem Cover irgendwo erwähnt werden.
    Jahn: Haben Sie als Musiker und Komponist für sich ein langfristiges Ziel, eine musikalische Vision, die sich allmählich auf ihrem Weg herauskristallisiert?
    Wollny: Also, die schwammige Antwort würde jetzt lauten: "authenthisch" zu bleiben oder "bei mir zu bleiben". Das sagt man immer gern als Jazzmusiker, deswegen sage ich: die schwammige Antwort. Aber jetzt konkret: Es gibt diesen tollen Satz von Werner Herzog, den kann ich jetzt nur sinngemäß zitierten: Stil ist das, was nebenbei entsteht, während man sich auf das Wesentliche konzentriert. Also das heißt, über Stilfragen nachzudenken, das ist immer so ein bisschen gefährlich. Es geht eher darum, sein Interesse an neuen Inhalten zu bewahren; und wenn man das lange Zeit tun kann, dann glaube ich entstehen stilistische Besonderheiten. Der Weg dahin ist die Neugier, zu gucken, wo ist etwas, was ich noch nicht kenne und was mache ich damit.
    Jahn: Das Album "Weltentraum" haben Sie aufgenommen im Trio mit dem Kontrabassisten Tim Levebre und dem Schlagzeuger Eric Schäfer. Das ist eine neue Konstellation, denn ihre Gruppe EM macht gerade eine Babypause, die Bassistin ist Mutter geworden. Soll es ein einmaliges Projekt bleiben oder hat sich jetzt schon gezeigt, dass Sie mit dem Trio mehr machen wollen?
    Wollny: Ich sage mal, die Existenz des Albums allein zeigt schon, dass es mehr war, als wir ursprünglich gedacht hatten. Ursprünglich war Tim wirklich eine Schwangerschaftsvertretung – so würde man wahrscheinlich im Öffentlichen Dienst sagen - und das hat so gut funktioniert, dass klar war: Wir müssen das unbedingt dokumentieren. Ehrlich gesagt, viel mehr Plan gibt es bislang noch gar nicht, weil jetzt kommt erst einmal im März die Tour mit dem Album und dann werden wir im Sommer noch ein paar Festivals spielen. Dass wir miteinander Spaß haben, das ist völlig offensichtlich und dass es irgendwie weitergeht, das steht für mich außer Frage.
    Jahn: Also sind Sie immer zu Neuem bereit, aber doch auch treu?
    Wollny: Genau!