Der menschliche Magen ist nicht kugelrund, er hat eher eine Bohnenform. Die äußere Krümmung ist dabei viel größer, als die Innere. Überraschender Weise verteilen sich die Magentumoren nicht gleichmäßig über die ganze Magenwand. Vier von fünf Krebsherden entstehen an der eigentlich kleineren, inneren Magenkurve. Professor Duan Chen von der Universität im norwegischen Trondheim vermutet, dass dafür ein Nerv verantwortlich ist. Der Nervus vagus regelt die Aktivität vieler Organe, unter anderem auch die Magenleerung und den Säureausstoß. Zwei Äste diese Nervs ziehen von der Speiseröhre Richtung Magen und dort vor allem an die innere Magenkurve. Vielleicht begünstigen die Nervenimpulse quasi als Nebenwirkung auch das Wachstum von Krebszellen. Ein Verdacht, den Duan Chen an genetisch veränderten Mäusen mit einer Neigung zu Magenkrebs untersuchte.
"In einem ersten Versuch haben wir den Vagusnerv durchtrennt. Das führte zu einer deutlichen Senkung der Tumorzahlen. Normalerweise bekommen etwa 80 Prozent dieser Mäuse einen Magenkrebs, bei den Tieren ohne Vagusnerv waren es nur noch um die 15 Prozent."
Weitere Versuche zeigen: die Impulse aus dem Vagusnerv begünstigen nicht nur die Entstehung von Tumoren, sie fördern auch deren Wachstum. Dabei kommt es nicht auf die elektrischen Impulse in den Nerven an, sondern auf die Botenstoffe, die sie an ihren Enden ausschütten. Einer davon, das Acetylcholin, gibt eigentlich den Startschuss für die Kontraktion der Magenmuskeln. Aber gleichzeitig regt Acetylcholin Stammzellen in der Magenwand zur vermehrten Teilung an. Das alles passt zu Beobachtungen aus Schweden. In den Siebzigern wurde dort der Vagus bei Patienten mit Magengeschwüren durchtrennt, um die Produktion der Magensäure zu drosseln.
"Über 1000 Patienten wurden weiter verfolgt. In den ersten zehn Jahren hat sich die Häufigkeit von Magenkrebs nicht geändert. Aber in der Zeit zwischen zehn und 20 Jahren nach der Operation entwickelten diese Patienten deutlich seltener Magenkrebs."
Botox hilft Mäusen gegen Magenkrebs
Der Vagus hat auch beim Menschen einen Einfluss auf den Magenkrebs. Um die potentiell gefährlichen Nervensignale zu unterbinden, muss man nicht unbedingt operieren. Es ist auch möglich den entscheidenden Botenstoff zu beeinflussen. Das Medikament Botox blockiert die Freisetzung von Acetylcholin. Deshalb können Mediziner und Kosmetiker mit seiner Hilfe verkrampfte Muskeln längerfristig entspannen. Und vielleicht eignet sich Botox auch zur Therapie des Magenkrebses. Als Duan Chen seinen Mäusen eine Injektion Botox in die Magenwand injizierte, erzielte er eine ähnlich positive Wirkung, wie mit der Durchtrennung des Vagusnervs. Gerade sind in Trondheim und in New York zwei Studien angelaufen, die dieses Konzept auch bei menschlichen Magenkrebspatienten erproben sollen.
"Wir haben bereits Patienten behandelt, deren Magenkrebs nicht zu operieren ist und der auch nicht auf die Chemotherapie anspricht. Mit einem Endoskop gehen wir durch den Mund in den Magen und injizieren dort Botox. Die Patienten konnten schon nach einer halben Stunde nach Hause."
Wenn sich in einigen Jahren bestätigen sollte, dass die Botox-Injektion das Wachstum des Magenkrebses wirklich bremst, dann könnte das Therapiekonzept breiter angewandt werden. Etwa zur Unterstützung der Chemotherapie oder auch zur Krebsvorbeugung bei Hochrisikopatienten. Davon sind auch die deutschen Kollegen von Duan Chen überzeugt. Aber wie gesagt, erst müssen die Studien zeigen, dass es sich tatsächlich lohnt, die Nervensignale in den Tumor zu unterbrechen.