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Online-Petition in Bayern
Wunsch nach mehr Nähe in Altenheimen

In Bayern gibt es strenge Hygieneregeln in Alten- und Pflegeheimen, um die besonders gefährdete Personengruppe zu schützen. Drei Altenpflegerinnen haben nun eine Online-Petition gestartet. Das Ziel: Eine Lockerung der Abstandsregelungen, um der Vereinsamung der Heimbewohner entgegenzuwirken.

Von Michael Watzke | 22.10.2020
Besuch einer Angehörigen in einem Seniorenheim in Düsseldorf.
Die Initiatorinnen der Online-Petition glauben, dass beides möglich ist: Verwandtenbesuche und körperliche Nähe der Senioren untereinander (dpa/ Norbert Schmidt)
Gabriele Schier, Altenpflegerin aus Coburg in Oberfranken, stellt sich bei ihrer Arbeit in Corona-Zeiten häufig die Frage: "Was für einen Sinn macht es, wenn wir den Körper schützen, aber die Seele leidet? Was ist das denn für ein Leben, das wir schützen? Das hat doch überhaupt keinen Lebenswert mehr. So wie es momentan ist."
Die momentane Situation – damit spricht Schier die derzeit gültige "Allgemeinverfügung zum Infektions-Schutz in bayerischen Seniorenheimen" an. Speziell die Verpflichtung, "dass jeder Mensch in diesem Heim von jedem anderen einen Abstand von mindestens 1,50 Meter einhalten muss. Das betrifft auch die Bewohner untereinander, also auch die Bewohner, die in einem Wohnbereich wie in einem Zuhause zusammenleben. Auch diese Bewohner müssen voneinander 1,50 Meter Abstand halten."
Pflegerin: Durch Mangel an körperlicher Nähe bauen viele ab
In der täglichen Praxis bedeutet das, so die erfahrene Altenpflegerin: seit fast einem halben Jahr könnten Senioren in Bayern – anders als in anderen Bundesländern - keine körperliche Nähe untereinander mehr spüren.
"Sie können ja nicht mal mehr ihre Mahlzeiten gemeinsam einnehmen. Sie sitzen entweder allein am Tisch oder – wenn jemand anderes da sitzt – dann sitzt der auch 1,50 Meter entfernt. Das heißt, man kann sich nicht mal einen Salzstreuer reichen oder eine Kaffeekanne. Geschweige denn ein Gespräch führen oder miteinander kommunizieren. Diese Menschen haben niemanden mehr, mit dem sie Nähe erleben können."
Die fehlende körperliche Nähe führe zur Vereinsamung – und dadurch, so Gabriele Schier, bauten viele Altenheimbewohner merklich ab.
"Sie bauen körperlich ab, sie bauen psychisch ab, sie bauen kognitiv ab. Das merkt man ganz deutlich, wenn man mal ein paar Tage frei hatte und dann wieder auf die Arbeit kommt. Dann denkt man: meine Güte, was ist mit diesem Mann, dieser Frau passiert? Die erkenne ich ja nicht wieder. Vorher konnte sie noch selber das Besteck in die Hand nehmen – das geht jetzt nicht mehr. Was ist da passiert? Vorher konnte man sich noch mit ihr unterhalten – das geht jetzt nicht mehr."
Coronavirus
Übersicht zum Thema Coronavirus (imago / Rob Engelaar / Hollandse Hoogte)
Gesundheitsministerin Melanie Huml verteidigt die geltende Allgemeinverfügung
Deshalb hat Gabriele Schier zusammen mit zwei Arbeitskolleginnen eine Online-Petition gestartet. "Abstand heißt Einsamkeit", lautet der Titel. Noch bis Samstag sammeln die drei Altenpflegerinnen im Internet Unterstützer. Bisher sind es 3400 Unterschriften.
"Wir freuen uns über jede Unterstützung, die noch dazukommt. Denn diese Menschen, für die wir uns gerade einsetzen, die sind nicht selber in der Lage, für ihre Rechte und ihr Wohlergehen einzutreten. Deswegen ist es wichtig, dass uns ganz viele Menschen helfen, uns für die Bewohnerinnen und Bewohner in bayerischen Pflegeheimen einzusetzen."
Dann soll die Petition der bayerischen Gesundheitsministerin Melanie Huml präsentiert werden. Sie verteidigt die geltende Allgemeinverfügung. Es gehe darum, Leben zu schützen – und dafür gelte in Corona-Zeiten vor allem eine Regel: "Abstand halten. Das sind diese 1,50 Meter. Oder – wo das nicht geht – Maske tragen. Deshalb ist auch bei Bewohnern von Alten- und Seniorenheimen wichtig, dass man diesen Abstand einhält."
Nur durch das konsequente Einhalten dieser Abstands-Regel sei es möglich gewesen, in Bayern wieder Besuche von Angehörigen in Altenheimen zuzulassen, so die zuständige Ministerin Huml. "Dass es Auflagen dazu gibt, mag nicht schön sein – aber dadurch haben wir zumindest die Möglichkeit, Besuche zuzulassen. Es ist ja auch so, dass die Besucher nicht nur ins Besuchszimmer, sondern wirklich ins Zimmer der Bewohner gehen können. Das wollen wir auch weiter erbringen im Gesundheitsministerium."
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Körperliche Nähe der Senioren und Abstand - beides sei möglich
Doch die Initiatorinnen der Online-Petition glauben, dass beides möglich ist: Verwandtenbesuche und körperliche Nähe der Senioren untereinander in ihren Wohngruppen. Gabriele Schier betont, sie halte die meisten Corona-Beschränkungen für wichtig und richtig.
"Wir finden das gut, dass Mitarbeiter und Angehörige diesen Abstand einhalten müssen. Denn diese Personengruppen kommen alle von draußen in das Heim hinein. Also ist da eine ernstzunehmende Gefahr, dass diese Personen das Virus einschleppen können. Wir sind ja nicht leichtsinnig."
Für die Zukunft – auch und gerade in der zweiten Corona-Welle – wünscht sich Altenpflegerin Schier für ihre und andere Altenheimbewohner mehr Zeit für Zärtlichkeit:
"Sie sollen sich wieder berühren können, wenn sie das möchten. Sich trösten, in den Arm nehmen. Ein ganz normales Gespräch führen. Nebeneinander am Kaffeetisch sitzen. Sich unterhalten, sich anschauen. Sich den Kaffee reichen. Das, was wir daheim alle täglich machen, was bei uns Normalität ist – das soll den Heimbewohnern auch wieder ermöglicht werden."