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Open Access
Aufstand gegen 'Plan S'

Ab nächstem Jahr sollen in Europa wissenschaftliche Artikel, die mit öffentlichen Forschungsgeldern erarbeitet wurden, online frei zugänglich sein. So wollen es Europäische Kommission, Europäischer Forschungsrat und Forschungsorganisationen laut Plan S. Bei Wissenschaftlern regt sich Widerstand.

Von Frank Grotelüschen |
Eine Studentin der Universität Bayreuth (Bayern) sitzen am 21.01.2016 mit ihrem Notebook in der Zentralbibliothek der Universität (Aufnahme mit Zoomeffekt).
Plan S sieht vor, dass ab 2020 alle wissenschaftlichen Resultate, die mit öffentlichen Forschungsgeldern erarbeitet wurden, frei zugänglich im Internet veröffentlicht werden müssen (dpa / Nicoals Armer)
"Das ist ein ganz klarer technokratischer Akt, der letztlich die Publikationsfreiheit einschränkt. Ich glaube, das muss man so sagen." Andreas Buchleitner ist erbost. Er sieht die Freiheit der Wissenschaft in Gefahr – und zwar wenn ein Plan umgesetzt wird, den Europäische Kommission, Europäischer Forschungsrat und diverse Förderorganisationen gemeinsam ausgeheckt haben.
Plan S, so heißt er, sieht vor, dass ab 2020 alle wissenschaftlichen Resultate, die mit öffentlichen Forschungsgeldern erarbeitet wurden, frei zugänglich im Internet veröffentlicht werden müssen – im Fachjargon Open Access genannt.
Ein Ansatz, den viele im Prinzip gut finden – zum Beispiel Rüdiger Voss, Präsident der Europäischen Physikalischen Gesellschaft. "Das ist ein massiver Paradigmenwechsel, den wir grundsätzlich unterstützen und der, denke ich, auch mittelfristig irgendwann kommen wird und kommen muss."
Das Problem: Das hehre Ziel soll offenbar mit der Brechstange durchgesetzt werden. Schon am 1. Januar 2020 soll Plan S in Kraft treten, in gut neun Monaten. Und das sorgt bei vielen Wissenschaftlern für Aufruhr – etwa bei Dieter Meschede, Präsident der Deutschen Physikalischen Gesellschaft. "Aus meiner Sicht ist das noch nicht sehr ausgegoren. Wenn es in der im Moment angedachten Version tatsächlich umgesetzt wird, würde es zu großen Verwerfungen in der Publikations-Landschaft führen."
Spezifischer europäischer Fokus
Aus Sicht der Kritiker hat Plan S gleich mehrere Schwachstellen. Zum Beispiel: "Eines der vielen Probleme, die wir bei der Umsetzung von Plan S sehen ist, dass er so wie er im Moment aufgestellt ist, einen ziemlich spezifisch europäischen Fokus hat, während die wissenschaftliche Publikations-Industrie ein globales Geschäft ist", sagt Rüdiger Voss.
"Unter Plan S würde uns de facto der Zugang zu den meisten nichteuropäischen wissenschaftlichen Zeitschriften versperrt. Genauso wie die meisten nichteuropäischen Kollegen wahrscheinlich nicht die Mittel aufbringen könnten, um in europäischen Zeitschriften zu veröffentlichen."
Statt alle Artikel für alle frei zugänglich zu machen, drohe also eine Parzellierung der Publikations-Landschaft, so Voss. Ein zweites Problem: die Finanzierung eines Artikels. Bei traditionellen Fachmagazinen wie NATURE und SCIENCE zahlen Leser und Bibliotheken Geld für die Zeitschriften – das klassische Abo-Modell.
Anders beim Open Access: Hier zahlen die Wissenschaftler für die Veröffentlichung ihrer Artikel, die Leser bekommen kostenfrei Zugang. Und das kann für Ungerechtigkeiten sorgen, meint Dieter Meschede: "Zum Beispiel, wenn Industriebereiche sehr gerne lesen und wissenschaftliche Ergebnisse sich heraussuchen, aber gar nichts beitragen."
Das heißt: Die Industrie dürfte entlastet werden, während Wissenschaftler an Unis künftig womöglich mehr bezahlen müssen. Eine weitere Befürchtung: Für Forscher in ärmeren Ländern könnten die Publikationsgebühren von einigen tausend Euro, die seriöse Open-Access-Verlage pro Artikel verlangen, zu hoch sein. Dann könnten sie allzu leicht den sogenannten Raubjournalen auf den Leim gehen. Diese nehmen für eine Veröffentlichung zwar weniger Geld, bieten aber praktisch keinen Service, sagt Rüdiger Voss. "Das Prinzip ist, dass die Qualitätssicherung bei diesen Zeitschriften in aller Regel nur auf dem Papier existiert – und wenn dann nur sehr oberflächlich stattfindet."
Wissenschaftler fordern mehr Zeit
Doch was Wissenschaftler wie Andreas Buchleitner am meisten aufregt, ist etwas anderes: der Zwang, unbedingt in einem Open-Access-Journal veröffentlichen zu müssen und in konventionellen Magazinen nicht mehr veröffentlichen zu dürfen. "Es ist klar, dass der Zwang verstanden werden muss als Angriff auf Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes – das heißt Wissenschaftsfreiheit. Natürlich werde ich mir als Autor nie vorschreiben lassen, wo und wann ich was publiziere."
Ganz so klar ist die Sache allerdings nicht. Denn natürlich hatten und haben die Geldgeber durchaus das Recht, Vorgaben zu möglichen Publikationskanälen zu machen. Dennoch: Um die Bedenken zu formulieren, hat sich die Deutsche Physikalische Gesellschaft mit anderen Fachgesellschaften zusammengesetzt – den Chemikern, Biologen, Geowissenschaftlern und Mathematikern. Schnell war man sich über die Kritikpunkte an Plan S einig – und tat sie jüngst in einer gemeinsamen Presseerklärung kund.
"Wir votieren dafür, dass wir viel mehr Zeit brauchen. Eliminiere den Zwang, sich dieser Open-Access-Geschichte in der jetzt geforderten Form zu unterwerfen. Und dann sind wir auf einem besseren Weg", fasst DPG-Präsident Dieter Meschede zusammen. Bleibt abzuwarten, wie die Plan-S-Initiatoren auf diesen Forderungskatalog reagieren.