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"Open Op"

Berlin hat mit der Neuköllner Oper ein alternatives Privattheater, um die bürgerliche Gattung Oper auch in sogenannten "kulturfernen" "Problembezirken" zu spielen. Und alternativ ambitioniert ist die Neuköllner Oper auch heute noch - wie mit "Open Op", einem "Europäisches Festival für anderes Musiktheater".

Von Dieter David Scholz | 17.04.2010
    Mit der kleinsten Operngala der Welt begann das Open-Op-Festival der Neuköllner Oper. Das Gastspiel des Staatstheaters Oldenburg war ein gewitzter Auftakt mit drei Sängerinnen bzw. Bauchrednerinnen und Puppen der grandiosen Puppenmeisterin Suse Wächter mit verblüffend lebensechten Gesichtern, Puppen, die die Gäste der Gala waren: Luciano Pavarotti, der Kastrat Farinelli, Michael Jackson, aber auch so illustre Persönlichkeiten wie Siegmund Freud oder Elfriede Jelinek waren eingeladen.

    Mit den "New Babel-Sounds" des belgischen Muziektheater Transparant, einer Aktion für Sänger aus unterschiedlichen Ländern mit 80 Neuköllner Laien, ein Multi-Kulti-babylonisches Song-Spektakel, endet das breitgefächerte Festival morgen Abend nach 10 Tagen mit insgesamt 36 Veranstaltungen. Christian Römer, der Geschäftsführer der Neuköllner Oper:

    "Unser Thema ist ja Vielfältigkeit. Vielfältigkeit der Genres. Neuköllner Oper ist ein Überbegriff, aber vom Musical bis zum Kabarett, vom Schauspiel mit Musik bis zur Bearbeitung des klassischen Repertoires findet hier alles statt."

    Die Neuköllner Oper - die sich nicht nur in der deutschen Hauptstadt mit ihren schwerfälligen drei Groß-Opernhäusern - zunehmenden Publikumsinteresses erfreut, hat in den vergangenen Jahren in ganz Europa Gastspiele gegeben.

    "Dann haben wir gemerkt, das ist gut, diese Auswärtstätigkeit. Besser wäre jetzt noch, wenn wir diesen Netzwerkgedanken für das andere Musiktheater, das Musiktheater, das wir vertreten, das Musiktheater der kleinen Form, wenn wir da in Europa wirklich Partner finden können."

    Man hat sie gefunden. Die Neuköllner Oper hat zu ihrem "Open-Op"-Festival 13 geistesverwandte Ensembles aus Mazedonien, Estland, Belgien, Holland, Tschechien und Deutschland eingeladen. Man möchte bleibende Verbindungen herstellen, denn man ist einem gemeinsamen Kerngedanken verpflichtet:

    "Wir versuchen, über Musiktheater Welt zu spiegeln, mit meistens einem kleinen Orchester, mit einer kleineren Besetzung, und zeigen damit, dass Musik nicht des großen Apparates bedarf, das geht bei uns und auch völlig überraschenderweise in anderen europäischen Ländern."

    Ästhetische wie inhaltliche Vielfältigkeit ist denn auch das Markenzeichen dieser Form von Musiktheater, das die Neuköllner Oper in den eigenen Produktionen wie in ihrem Festival präsentiert. Wagners "Fliegender Holländer" als scherenschnittartige belgische Kurzoper in ausschließlicher Chor- und Bläserbesetzung, die Balkanshow "A Fistful of Love", eine Jugendoper "Stadt der Hunde", die das bunte Leben im Neuköllner Kiez aus der Perspektive der Vierbeiner veranschaulicht, eine Klimarevue von Rainald Grebe, eine eigenwillige Fassung der Zauberflöte des estnischen Theatermachers Peter Jalakas oder die Uraufführung des elektronischen Operntrips "Peer lügt" frei nach Ibsens Peer Gynt von Volker Schmidt und Hans Platzgumer deuten die enorme Spannbreite des Festivals an. Es ist ein im wahrsten Sinne des Wortes europäisches, es ist provokativ, was die Formen des Musiktheaters angeht, es ist thematisch nah am Puls der Zeit.

    Das Amsterdamer Tanztheaterstück "Gefesselt", von Susanne Marx, ein Stück über das Thema Liebe zwischen Abend- und Morgenland ist eine sehr freie, virtuos getanzte Paraphrase von Mozarts ""Entführung aus dem Serail", ein Mix aus Hip Hop, türkischer Musik, Rap und Klassik. Es ist einer der Höhepunkte des "Open Op"-Festivals gewesen, das in seinen drei attraktiven Neuköllner Spielstätten in nostalgischen Vergnügungs-Etablissements des späten 19. Jahrhunderts erstaunlich viel junges wie altes Publikum aus ganz Berlin in den Problemkiez zog.

    Drei Produktionen stehen heute und morgen noch an: die musikalische Gartenrevue "Schreberzone", das Stück "Lovesick", ein genreübergreifender musikalischer Liebestaumel und die "New Babel Sounds" des New Yorker Stimmkünstlers und Performers David Moss.
    Schon jetzt haben Publikumszustrom und Platz-Auslastung des von der Bundeskulturstiftung, der Heinrich-Böll-Stiftung und mehreren Goethe-Instituten mit insgesamt dreihunderttausend Euro großzügig geförderten Projekts alle Erwartungen übertroffen. Der Erfolg dieses alternativen Opern-Festivals spricht für sich. Und wenn alles gut geht, gibt es im kommenden Jahr die nächste Ausgabe des "Open-Op"-Festivals in Berlin-Neukölln.