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Oper „Alp Arslan“
Ein Requiem für Aleppo

In seiner Oper „Alp Arslan“ schlägt Komponist Richard van Schoor eine Brücke zwischen dem Aleppo des 12. Jahrhunderts und der Gegenwart. Erzählt wird die Geschichte eines grausamen Sultans und eines Eunuchen, der sich nach dessen Zuneigung sehnt. Auch die heutigen Kriegsopfer von Syrien bekommen eine Stimme.

Von Franziska Stürz | 06.05.2019
    Die Darsteller Daniel Arnaldos und Denis Lakey (v.l.) in der Oper Arp Arslan von Richard van Schoor
    Denis Lakey (rechts) ist der Eunuch Lou-Lou in der Gießener Uraufführung (Staatstheater Gießen / Rolf K. Wegst)
    "Im Jahr 2000 habe ich eine große Reise gemacht in den Orient, das war Libanon, Syrien und Osttürkei. Ich wollte diese Gegend mal besuchen, diese Orte der Kreuzzüge zu sehen. Aleppo habe ich bis zum Ende der Reise aufbewahrt, diese UNESCO geschützte Stadt, die jetzt leider nicht mehr ganz ist.
    Allgemein kann ich sagen, dass ich ein Interesse in diese Kultur des Orients habe, und ich habe nicht sehr lange danach ein Buch gelesen von Amin Maalouf, das ist ein libanesischer Schriftsteller, der in Paris lebt, und der die Kreuzzüge beschrieben hat aus der Sicht des Ostens. Er erzählt in seinem Buch eine kleine Geschichte über Alp Arslan in Aleppo mit einem Eunuchen Lou-Lou und der Konstellation Vater, Mutter Großmutter. Die hat mich sehr fasziniert und das ist letztendlich das Libretto geworden," sagt Librettist Willem Bruls.
    Richard van Schoor, der in seinen Kompositionen gerne philosophische Themen reflektiert, und auch die bewusste Auseinandersetzung mit der Zeitgeschichte sucht, war schnell begeistert von diesem Stoff, und so schlägt die Oper Alp Arslan eine erzählerische und auch musikalische Brücke zwischen dem 12. Jahrhundert und heute, zwischen Orient und Okzident.
    Viele syrische Komponenten sind hinzugekommen
    Neben dem von Jan Hoffmann souverän und einfühlsam geleiteten großen Philharmonischen Orchester Gießen, dem Chor und Extrachor des Stadttheaters, sind auch vier syrische Musiker mit ihren orientalischen Instrumenten, und ein syrischer Sänger in dieser spektakulären Uraufführung zu erleben. Ein derart starke musikalische Präsenz war ursprünglich von Richard van Schoor für das Werk gar nicht geplant, gesteht der Komponist:
    "Ich konnte einfach aus seiner Geschichte spüren, dass ich es sehr, sehr durchsichtig halten möchte, und sehr textlastig. Text soll einfach das Wichtigste sein und die Musik eigentlich an zweiter Stelle. Das hat sich natürlich jetzt im Laufe der Arbeit verändert dadurch, dass wir tatsächlich syrische Komponenten hineingenommen haben. Ich bin von diesem Minimalistischen eher weggekommen und bin in eine Richtung gegangen, wo ich eher symphonisch gearbeitet habe, damit es eine Sprache wird von Anfang bis Ende.
    Die etwa 100-minütige Oper besteht aus einem Prolog und Epilog, die drei Bilder dramaturgisch einrahmen. Sie zeigen kurze Szenen aus dem Leben des grausamen, emotional gestörten jungen Sultans Alp Arslan. Der Eunuch Lou-Lou, der sich nach der Zuneigung des Sultans sehnt, gestaltet Prolog und Epilog alleine auf der Bühne. Die Rolle ist für Countertenor geschrieben, und eigentlich die Hauptpartie, meint Richard van Schoor:
    "Die Impulse kommen hauptsächlich von Lou-Lou, das ist seine Geschichte. Die Rolle ist wirklich sehr groß und ich glaube sehr anspruchsvoll. Das kennt man so aus dem Countertenorbereich nicht, dass man einen ganzen Abend so dermaßen tragen muss. Wir haben da ein Charakterfach geschaffen für Countertenor, dass wirklich massiv ist, und zumindest kenne ich nichts Vergleichbares."
    Eine verlassene Straße im Aleppo der Nachkriegszeit. Eine Katze sitzt zwischen Müllresten.
    Auch den syrischen Opfern von Gewalt und Krieg wird in der Oper "Alp Aleppo" eine Stimme verliehen (Michael Alaeddin/Sputnik/dpa)
    Denis Lakey ist der Eunuch Lou-Lou in der Gießener Uraufführung, die auch durch seine stimmliche wie darstellerische Präsenz zu einem fesselnden Erlebnis wird. In einem grandiosen Bühnen- und Videoprojektionsraum von Marc Jungreithmeier schafft es Regisseurin Cathérine Miville, die wie aus Mosaiksteinchen sich zusammensetzende Handlung voller menschlicher Grausamkeiten in verschiedenen zeitlichen und emotionalen Ebenen prägnant und berührend darzustellen.
    Eine Stimme für die heutigen Opfer in Syrien
    Auf die schräge Drehbühne des Gießener Stadttheaters sind unterschiedlich hohe weiße Quader montiert, die Dank der opulenten Videoprojektionen zur prächtigen Kulisse des alten Aleppo werden können, sich aber auch in einem Wimpernschlag zur Sandwüste, zum orientalischen Teppich, oder zum Glasfenster einer orthodoxen Kirche verwandeln.
    Im Prolog steckt Lou-Lou eingegraben in der glühend heißen Wüste. Wir erfahren allmählich die Geschichte seiner Kastration. Willem Bruls Texte sind wie Gedankenblitze zu schwer auszusprechenden tiefliegenden seelischen Wunden, die sich erst allmählich zu einem klaren Bild fügen. Im Epilog leiht Denis Lakey als bereits gestorbener Lou-Lou den heutigen syrischen Opfern von Gewalt seine bis zum fast tonlosen Wimmern fähige Stimme.
    Der Sänger Denis Lakey in einer virtuellen Wüstenlandschaft
    Denis Lakey singt den Eunuchen Lou-Lou (Stadttheater Gießen / Rolf K. Wegst)
    Auch Daniel Arnaldos als schöner, junger, doch ungeliebter Alp Arslan gestaltet seine komplexe Partie hoch intensiv und mit makellosem Tenor. Rena Kleifeld als Großmutter zelebriert mit ihrem faszinierend profunden Alt einen berührenden Klagegesang auf die bedrohte Stadt, die nicht sterben kann, weil sie zu alt ist.
    Ja, diese neue Oper Alp Arslan ist auch ein Requiem. In ihr klingt der Wunsch nach Liebe und Versöhnung, die Verzweiflung angesichts menschlicher Grausamkeit und auch ein Hilferuf an Gott. In der kulturübergreifenden Musiksprache von Richard van Schoor kann man einen antwortenden Götterfunken hören. Die fantastische szenische Umsetzung krönt "Alp Arslan" in Gießen zum absolut sehenswerten Theaterereignis.