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Oper
"Der Spieler" in Amsterdam

Sergej Prokofjew schrieb seine vieraktige Oper "Der Spieler" nach der Vorlage des gleichnamigen Romans von Fjodor Dostojewski. An der Niederländischen Staatsoper in Amsterdam ist nun eine Inszenierung des Stücks von Marc Albrecht und Andrea Breth zu sehen.

Von Frieder Reininghaus |
    Mit Klängen, die Errungenschaften der "Skytischen Suite" von 1916 fortschrieben, wurde das Leben reicher Exilrussen im südwestdeutschen Badeort Roulettenburg eingekleidet (man darf sich darunter getrost Baden-Baden vorstellen). Ein Tonsatz, in dem eine ansatzweise neoklassizistische Lineatur die Basis für eine virtuos komponierte Konversationsmusik stiftet, wurde mit Allegro barbaro und Anmutungen der Musik des Balkans oder des Kaukasus angereichert.
    In Prokofjews "Spieler“ geht es um ironisch gebrochene Schönheiten einer versunkenen demi-mondänen Welt, in der alter und neuer Adel respektabler Ränge (aber ohne historischen Rang) mit neureicher bürgerlicher Ambition die Langeweile des Lebens überbrückte und sich im günstigsten Fall dabei in seinen Weltanschauungen, Weltschmerzen und Weltekeln ernst nahm. Weltanschauinsland und Ekelwelt also in einem.
    Hauslehrer Alexej ist hinter Polina her
    Mit ironischen Anspielungen auf verschiedenste Etagen der Musikgeschichte und sogar neuesten bruitistischen Errungenschaften sekundierte Prokofjew einem kurzen Ausschnitt aus der Lebensgeschichte des sehr selbstbewussten Hauslehrers Alexej, der die Stieftochter eines zaristischen Ex-Generals belagert – erfolglos. Denn Polina hat Besseres mit sich vor, das heißt: will höher hinaus mit den Gaben, die in den Tiefen ihrer russischen Seele und ihres jungen Körpers schlummern.
    Sara Jakubiak lässt die Reize stimmlich aufflackern, mehr aber noch den Stolz der theoretisch gut erzogenen höheren Tochter, die sich vom rasch gewonnenen Geld des Spielers Alexej nicht kaufen lässt. John Daszak, der junge Glatzkopf, bestreitet die Titelpartie viril-attraktiv und zielgenau, beglaubigt das Sehnen und Verlangen wie Robustheit in den Intrigen und hemmungslose Suchtstrukturen mitsamt einer fast anrührenden Weichheit gegenüber der Härte des sogenannten "schwächeren" Geschlechts.
    Mehr als zwei Dutzend Hotel- und Spielbankgäste sorgen in Amsterdam für einen Konversationston, dem Marc Albrecht mit dem Residentie Orkest den dynamischen Takt, manchmal brillante Härte und würzige Schärfe unterzieht.
    Historische Verschiebung der Handlung
    Die frühere Burgtheaterdirektorin Andrea Breth unterwirft den "Spieler" und dessen Umfeld kleineren geografischen Verrückungen und einer größere historischen Verschiebung. Vom Park eines Hotels in der Zeit um 1865 rückt die Exposition der Handlung in das dunkel getäfelte und durch große Glasscheiben sich generös gebende Foyer eines noblen Etablissements, wie es um 1905, 1915 oder 1925 in einer x-beliebigen europäischen Stadt hätte auf Kundschaft warten können – ein Ort mit opulenten Zimmerpalmen, aber ohne die kleinste optische Eintrübung des schönen Scheins, die in der Wirklichkeit stets gegeben war, weil dann doch wenigstens ein Mülleimer irgendwo deplatziert herumstand oder eine gesprungen Glasscheibe noch nicht repariert war.
    Doch so weit reicht das auf "perfekte" Schönheit geeichte Kunstverständnis von Bühnenbildner Zehetgruber und der Regisseurin nicht; die Ungebrochenheit ihrer Installationen sucht auf eindeutlichste Weise Einverständnis mit den durch Hochglanzfotos konditionierten Augen der Zuschauerschaft. Mit dem unerwarteten Auftritt der schon fast tot geglaubten Erbtante, für deren Triumph über die verkommene Verwandtschaft Renate Behle extra schrill intoniert, und für die Verstrickung des Generals ins Strickzeug von deren Faktotum inszeniert Breth ansprechende Slapstick-Nummern. Und zur großen Spielhöllen-Szene bringt sie die zuvor szenisch immer wieder dahindümpelnde Inszenierung durch permanente Rotation der Spieltische und viel Hin- und Hergetrabe auf trapp.
    Amsterdam hat zur Adventszeit ein gediegen-klassizistisches Opernpräsent in edel-teurer Verpackung bekommen, das jeden Verdacht von sich weist, die von Dostojewski und Prokofjew ins Visier genommene Gesellschafts- und Suchtstruktur könnte irgendetwas mit hier und heute zu tun haben. Die Regisseurin hat ihren höheren Auftrag zur vollsten Befriedigung erfüllt.