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Oper Frankfurt
Das Leben ein Traum, ein trauriger Traum

Eva-Maria Höckmayr hat Frederick Delius' Oper "Romeo und Julia auf dem Dorfe" auf die Bühne gebracht. Gemeinsam mit Dirigent Paul Daniel und dem Frankfurter Opernorchester hat sie auf überzeugende Weise herausgearbeitet, wie schön das Stück ist. Es entsteht ein Imaginationsraum, der die Zeiten aufhebt.

Von Christoph Schmitz |
    Romeo und Julia auf dem Dorfe an der Oper Frankfurt.
    Eva-Maria Höckmayr inszeniert Frederick Delius' Oper "Romeo und Julia auf dem Dorfe" in Frankfurt. (Barbara Aumüller)
    Frederick Delius hat sechs Opern komponiert. Seine Vierte, "Romeo und Julia auf dem Dorfe", ist ihm wohl am besten gelungen. Und wie schön, wie besonders und eigenwillig sie ist, das haben der Dirigent Paul Daniel und das Frankfurter Opernorchester auf überzeugende Weise herausgearbeitet. So farbenreich klingt bei ihnen die Partitur, so transparent und zugleich intensiv, so luftig und dann auch wieder dramatisch, dass man gar nicht versteht, warum dieses Stück nicht häufiger gespielt wird.
    Vielleicht liegt es an dem riesigen Orchester auf und hinter der Bühne, vielleicht liegt es an den langen Orchesterstücken zwischen den sechs Bildern, wenn die Bühnenhandlung stagniert und es nicht leicht ist, diese vermeintlichen Leerräume szenisch aufzufüllen. Den Klangreichtum sinnfällig und das Atmosphärische sichtbar zu machen, ist bei Delius eine besondere Herausforderung, weswegen sich die Bühnen möglicherweise ebenfalls scheuen, diese Oper hin und wieder auf den Spielplan zu heben. Natürlich hört man bei Delius viel von Richard Wagner, aus dem "Tristan", aus dem "Parsifal".
    Ein stiller Zauberer
    Auch das unendliche Fortspinnen der Gesangslinien hat Delius von seinem großen deutschen Vorbild übernommen. Und doch setzt der Engländer das Riesenorchester nie pastos ein, nie will er mit suggestiver Wucht überreden und überwältigen. Delius hat Wagner gelichtet. Und zwar mit Claude Debussy. Deutsche Spätromantik und französischer Impressionismus gehen bei Delius eine Symbiose ein. Dennoch ist er kein Epigone, eher ein stiller Zauberer. Die Frankfurter Produktion macht seinen Zauber hörbar und sichtbar.
    "Wir scheiden niemals, wir bleiben zusammen. Mit dir harre ich des Frührots zärtlich Arm in Arm, mein Leben lang."
    Sali und Vreli - dieses Romeo-und-Julia- Paar aus der Schweiz - es wird in Frankfurt von Jussi Myllys und Amanda Majeski gesungen, lyrisch, liedhaft, in weiten spannungsvollen Bögen. Herausragend auch der Schwarze Geiger von Johannes Martin Kränzle. Er verfügt nicht nur über einen ebenso biegsamen wie kompakten Bariton, sondern auch über eine große schauspielerische Begabung.
    Tragische Liebesgeschichte, nur selten gespielt
    Zudem spielt er selbst wie ein Profi die Violine auf der Bühne. Warum die Oper "Romeo und Julia auf dem Dorfe" so gut wie nie gespielt wird, mag aber auch daran liegen, dass man eine tragische Liebesgeschichte unter Alpenbauern für überholt hält. Da ist was dran. Aber die Frankfurter Inszenierung unter Eva-Maria Höckmayr entlockt dem Dorfdrama existenzielle Dimensionen. Es geht bei ihr um die Sehnsucht des Menschen nach Glück, nach der großen Liebe und wie alles hinter den Erwartungen und Hoffnungen zurückbleibt oder sogar vollkommen scheitert.
    Marti: "Schamlose Hure! Die Schande fehlt uns noch! Dass dieses Pack uns bettelarm gemacht, ist nicht genug?"
    Die Zeiten vermischen sich
    Bei Eva-Maria Höckmayr ist das ganze Geschehen eine Traumgeschichte, ein Gedankenstrom, eine Erinnerungsarbeit einer jungen Frau, der Vreli, in weißem Kleid in weißem Raum.
    Die Zeiten ihres Lebens, Jugendzeit, Kindheit, hohes Alter vermischen sich auf der Drehbühne in ständig sich neu und ineinander und auseinander schiebenden Raumkulissen aus Küche, Treppenhaus, Hof und Feld. Vreli und ihr Freund Sali werden als Figuren verdoppelt, verdreifacht. Es entsteht ein Imaginationsraum, der die Zeiten aufhebt und Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft miteinander verquickt. Das Leben ein Traum, ein trauriger Traum vergeblicher Hoffnungen. Der dennoch Momente großer Schönheit und unaussprechlichen Glücks hervorbringt. Der Frankfurter Produktion gelingt Theater-Magie pur.