Was ist der Unterschied zwischen Salzburg und Bayreuth? In Bayreuth beißt sich der Kollege auf die Zunge, der einem vor dem dritten Akt "Tristan" aus Versehen "viel Spaß" gewünscht hatte. In Salzburg und vor dem ebenfalls nicht lustigen Sterben der "Traviata" wäre das kein Problem. - In Bayreuth kämpft Wolfgang Wagner einen grimmigen Kampf gegen das Schwarzmarktwesen; in Salzburg werden die Preise nicht ohne Stolz in der Lokalpresse vermeldet: am Ende sollen 4000 Euro für die "Netrebko-Show" geboten worden sein. Drittens: Undenkbar, in einem Bayreuther Schaufenster das senffarbene Kostüm der Isolde zum Nachkaufen zu finden, oder Gurnemanz’ Steinzeitfell; in Salzburg kann man das "kleine Rote" der Violetta, auch Alfredos schicken Einreiher bei "Boss" kaufen. Das ist logisch, denn da kamen die Sachen auch her. Was man nicht kaufen kann: einen sensationellen Opernabend. Als solcher aber war die "Traviata" im Zeichen der russisch-mexikanischen Traum-Traumpaarung Anna Netrebko und Rolando Villazón annonciert worden. Dass es am Ende ein irdisches Ereignis blieb, ist vielleicht gerade der Vorab-Hysterisierung geschuldet. Der so genannte Medienrummel zeigt aber auch, wie groß die Sehnsucht ist, die Rolle einer schönen jungen Frau von einer schönen jungen Frau gesungen zu erleben. Deren Glamour-Tauglichkeit außerdem noch beweisen soll: dass Oper durchaus und heute wieder Teil der Popkultur sein kann.
Dem wollte Willy Deckers Inszenierung nicht durch intellektualistische Spitzfindigkeit im Wege stehen. Verdis knappste, schärfste Formulierung eines Frauenschicksals zwischen Hurenhaus und Himmel wird auf der Cinemascope-Bühne des Großen Festspielhauses gleißend aus- und eingeleuchtet. Alles geht hier auf, inklusive der korrekt ideologiekritischen Sicht auf die Männerphantasie einer himmelfahrenden Violetta Valery. Dass, wie Poe wusste, der Tod einer schönen Frau das "poetischste Thema der Welt" sein soll, das ist natürlich falsches Bewusstsein, 19. Jahrhundert. Konsequent tritt die "Gesellschaft", der Chor also, als kompakte Männerwelt auf. Und Vater Germont, der seinem Alfredo die unstandesgemäße Liebe zu einer (durch eben diese Männerwelt dazu gemachten) Prostituierten verbieten will, wird hier von Thomas Hampson eindrucksvoll und mit vokaler Charakterisierungskunst als kaltherziger Patriarch gezeichnet, kälter fast als Verdi erlaubt. Denn da ist der alte Germont doch recht hingerissen von der Entsagungsbereitschaft der Kamelien-Kurtisane. Das lässt Decker nur aufblitzen, skizziert vielmehr eine traurige, von Liebe, Gewalt und Hilflosigkeit bestimmte Vater-Sohn-Geschichte.
Für Rolando Villazón bleibt in dieser Konstellation bloß die undankbare Rolle des "guten Jungen", zwar ist auch er ein "Traviato", der vom rechten Weg abkommt, aber eben doch aus Liebe. Sein schlichtes Geständnis durchdringt alle Maskeraden der Salonschönheit und vermag die im Taumel einer rasenden Dauerparty fast verlorene Violetta zu rühren. Netrebko und Villazón gelingt da ein überzeugendes Zusammenspiel: so gehen wirkliche Menschen miteinander um, jenseits aller "Traumpaar"- Akrobatik. Dass es der Salzburger "Traviata" trotzdem an so etwas wie Poesie mangelt, liegt an Deckers denn doch zu plakativem Symbolgefuchtel. Türen-auf-und-zu, Kleid-an-und-aus, der Arzt als Todes-Allegorie, und vor allem zeigt uns eine große Uhr überdeutlich, worum sich hier alles immer schneller dreht und wie das gnadenlose Um-Tata der Musik eine Todes-Maschinerie antreibt. Als sich Alfredo und Violetta jenseits der Pariser Gesellschaft für einen Moment des Glücks haben dürfen, hängen sie das Zifferblatt ab, - nun gut.
Auch das weite Halbrund der Bühne verweist auf die Zirkel- oder Kugelgestalt der Zeit, Leben und Tod, dies und das. Vor allem aber schafft es Raum für La Netrebko. Und: hinreißend durchmisst sie ihn, das Rot steht ihr gut, rücklings auf dem Salonsofa wird da Erotik nicht nur behauptet. Dass Anna Netrebko anfangs Nerven zeigte, Intonationstrübungen, nicht aufs Ganze ging, dass es ihrer gleich bleibend schönen Stimme an Agilität fehlt: fast muss man sie gegen das Reklamegerede von der "neuen Callas" in Schutz nehmen. Aber auch gegen die Kritik an ihrer vermeintlichen Kälte. Denn die gehört hier zunächst zur Rolle. Im Angesicht des Todes nämlich findet die Netrebko, mezza voce, auch zu beseelteren Tönen.
Auch der Tod steht ihr gut. Gestorben aber wird allein, nicht etwa in den Armen des Geliebten. Rolando Villazón sang Alfredo differenziert und farbenreich und ohne falsche Sentimentalität. Mit kontrollierter Agogik, nicht immer kontrollierter Lautstärke auch die Wiener Philharmoniker, denen Carlo Rizzi nicht alle Finessen abgewann, mehr ein Mann des Handfesten, weniger der ätherischen Jenseitsmusik. Am Ende fast pflichtschuldige "standing ovations" für Netrebko. Das Salzburger "Traviata" - Wunder aber blieb aus. So ist das mit Wundern: sie kommen, wann sie wollen, nicht, wenn sie sollen.
Dem wollte Willy Deckers Inszenierung nicht durch intellektualistische Spitzfindigkeit im Wege stehen. Verdis knappste, schärfste Formulierung eines Frauenschicksals zwischen Hurenhaus und Himmel wird auf der Cinemascope-Bühne des Großen Festspielhauses gleißend aus- und eingeleuchtet. Alles geht hier auf, inklusive der korrekt ideologiekritischen Sicht auf die Männerphantasie einer himmelfahrenden Violetta Valery. Dass, wie Poe wusste, der Tod einer schönen Frau das "poetischste Thema der Welt" sein soll, das ist natürlich falsches Bewusstsein, 19. Jahrhundert. Konsequent tritt die "Gesellschaft", der Chor also, als kompakte Männerwelt auf. Und Vater Germont, der seinem Alfredo die unstandesgemäße Liebe zu einer (durch eben diese Männerwelt dazu gemachten) Prostituierten verbieten will, wird hier von Thomas Hampson eindrucksvoll und mit vokaler Charakterisierungskunst als kaltherziger Patriarch gezeichnet, kälter fast als Verdi erlaubt. Denn da ist der alte Germont doch recht hingerissen von der Entsagungsbereitschaft der Kamelien-Kurtisane. Das lässt Decker nur aufblitzen, skizziert vielmehr eine traurige, von Liebe, Gewalt und Hilflosigkeit bestimmte Vater-Sohn-Geschichte.
Für Rolando Villazón bleibt in dieser Konstellation bloß die undankbare Rolle des "guten Jungen", zwar ist auch er ein "Traviato", der vom rechten Weg abkommt, aber eben doch aus Liebe. Sein schlichtes Geständnis durchdringt alle Maskeraden der Salonschönheit und vermag die im Taumel einer rasenden Dauerparty fast verlorene Violetta zu rühren. Netrebko und Villazón gelingt da ein überzeugendes Zusammenspiel: so gehen wirkliche Menschen miteinander um, jenseits aller "Traumpaar"- Akrobatik. Dass es der Salzburger "Traviata" trotzdem an so etwas wie Poesie mangelt, liegt an Deckers denn doch zu plakativem Symbolgefuchtel. Türen-auf-und-zu, Kleid-an-und-aus, der Arzt als Todes-Allegorie, und vor allem zeigt uns eine große Uhr überdeutlich, worum sich hier alles immer schneller dreht und wie das gnadenlose Um-Tata der Musik eine Todes-Maschinerie antreibt. Als sich Alfredo und Violetta jenseits der Pariser Gesellschaft für einen Moment des Glücks haben dürfen, hängen sie das Zifferblatt ab, - nun gut.
Auch das weite Halbrund der Bühne verweist auf die Zirkel- oder Kugelgestalt der Zeit, Leben und Tod, dies und das. Vor allem aber schafft es Raum für La Netrebko. Und: hinreißend durchmisst sie ihn, das Rot steht ihr gut, rücklings auf dem Salonsofa wird da Erotik nicht nur behauptet. Dass Anna Netrebko anfangs Nerven zeigte, Intonationstrübungen, nicht aufs Ganze ging, dass es ihrer gleich bleibend schönen Stimme an Agilität fehlt: fast muss man sie gegen das Reklamegerede von der "neuen Callas" in Schutz nehmen. Aber auch gegen die Kritik an ihrer vermeintlichen Kälte. Denn die gehört hier zunächst zur Rolle. Im Angesicht des Todes nämlich findet die Netrebko, mezza voce, auch zu beseelteren Tönen.
Auch der Tod steht ihr gut. Gestorben aber wird allein, nicht etwa in den Armen des Geliebten. Rolando Villazón sang Alfredo differenziert und farbenreich und ohne falsche Sentimentalität. Mit kontrollierter Agogik, nicht immer kontrollierter Lautstärke auch die Wiener Philharmoniker, denen Carlo Rizzi nicht alle Finessen abgewann, mehr ein Mann des Handfesten, weniger der ätherischen Jenseitsmusik. Am Ende fast pflichtschuldige "standing ovations" für Netrebko. Das Salzburger "Traviata" - Wunder aber blieb aus. So ist das mit Wundern: sie kommen, wann sie wollen, nicht, wenn sie sollen.