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Opera megalomania

Der chinesische Regisseur Zhang Yimou, bekannt durch aufwändige Kostümfilme wie "Hero" oder "House of the Flying Daggers", hat im riesigen Pariser Stade de France Puccinis "Turandot"-Oper inszeniert und dabei die Bühnenbauer zu sportiven Höchstleistungen animiert. Yimous Interpretation des Werkes über die verbotene Stadt Peking kommt auch daher wie ein Kostümfilm, verlässt sich jedoch zu sehr auf die dekorative Oberfläche.

Von Frieder Reininghaus |
    Zhang Yimou griff also durchaus auf eine aktuell virulente Geschichte zurück, als er vor acht Jahren in Florenz mit Zubin Mehta sich erstmals mit Giacomo Puccinis "Turandot" befasste und die Inszenierung in seine Heimat brachte, das Konzept dann 2002 ins Olympiastadion von Seoul promovierte.

    Nun ließ Zhang von Gao Guangjian und Zeng Li die Nordkurve des Stade de France an der Porte de Paris mit einer gigantischen Chinoiserie überbauen: Der Eingang zu Pekings "Verbotener Stadt", in Echtgröße etwa 160 Meter breit. Über seitwärtigen Pylonen, in die große Projektionsflächen für Beamer eingelassen wurden, erheben sich die charakteristischen Dächer – der First der großen Halle liegt an die 20 Meter über der Rasenfläche des Stadions, die als Zuschauer-Parkett dient.

    An den Kostümen und der Maquillage wurde fürwahr nicht gespart. Zu jedem Akt-Beginn zieht ein glänzend uniformiertes Trommler-Corps in die monumentale Kulisse und kündet von der alten Pracht und Herrlichkeit des Reichs der Mitte: die scharf geschnittenen Gesichter der Vortrommler unter den imposanten goldenen Helmen erscheinen riesengroß auf den seitwärtigen Projektionsflächen.

    Auch zum weiteren Verlauf des Musikprogramms, das die Oper auf kinotaugliche 130 Minuten zusammenschnurren ließ, präsentieren Großaufnahmen den jeweilige Kern des Geschehens, der sich auf der monströsen Freitreppe und den Gebäude-Eingängen nur in Ameisengröße zeigt. Zu sehen ist, wie der Prinz von Persien, der Turandots Rätsel nicht zu lösen vermochte, zur Hinrichtung geführt wird (authentisch: die Halskrause und das an ihr befestigte Schild). Nahe rückt, wie der incognito unter den Schaulustigen weilende Prinz Calaf Feuer fängt beim ersten Anblick der eisig-eisernen Jungfrau – Viktor Lusiuks Stentorstimme beschwört eine Sänger-Tradition, die man zeitweise für weithin ausgestorben hielt. Aber auf seine Weise macht er seine Sache gut.

    Genau zu beobachten ist auch die artistische Anstrengung, mit der Irina Gordei die tödlichen oder erlösenden Fragen stellt: sie singt, als müsse sie für die 50.000 Menschen in der Arena ohne die ganzen Hilfsmittel der Technik intonieren - dabei könnte sie doch mühelos leicht und kalt bleiben – denn den Rest regeln die Schieber und Verstärker.

    Hautnah zu beobachten ist, wie Calaf angesichts der sphinxhaften und verquasten Andeutungen schwitzt, sie jedoch aufzulösen vermag, dann aber den theoretisch errungenen Sieg verspielt, indem er der sich der neuerlichen Verweigerung Turandots und ihrer nachgeschobenen Bedingung beugt. All das zeigt Zhang auf die bewährte Art des Stadttheaters und zugleich als Kostümfilm – ohne Blut und Wunden, nur mit schmerzerfüllten und vom Glücksverlangen unerfüllten Gesichtern. Zhang Yimou hat vor allem die Ortsangaben des Librettos ernst genommen, nicht jedoch den Text, der so viel mehr in sich hat als dekorative Oberfläche.

    Wie gut oder auch nicht das Orchester und der Chor aus Salerno ihre Sache machen, wenn ihnen weder Mikrophone noch Mischpult assistieren, lässt sich gelegentlich hören, wenn der Dirigent János Ács nachfassen muss, um das Zusammenwirken über die großen Distanzen hinweg punktgenau zu koordinieren. Das süditalienische B-Orchester leistet insgesamt solide Arbeit. Doch die Größe und die Differenzierungen der Musik werden aus den zu laut ausgesteuerten Boxen nicht vernehmlich – ausgeschlafene Sound-Designer könnten über eine Klangästhetik jenseits des Breitwand-Kinotons ernsthaft nachdenken.

    Die Hoffnung, dass die Ästhetik Hollywoods und der Filmstudios von Shanghai mit der guten alten opera italiana eine heiße Liaison eingeht, erweis sich als trügerisch. Schade. Man hätte den Veranstaltern wie ihrem riesigen Publikum einen "großen Sprung nach vorn" gegönnt.