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Operation Abendrot

Nach der Abwahl von Jürgen Rüttgers als NRW-Ministerpräsident gibt es in der NRW-CDU einige Posten zu besetzen. Manche befürchten nun neue Grabenkämpfe in der Partei. Und auch Rüttgers selbst mag noch nicht ans Altenteil denken.

Von Barbara Schmidt-Mattern | 01.07.2010
    Guten Morgen, CDU-Familie!

    So hatte CDU-Generalsekretär Andreas Krautscheid wenige Wochen vor der Landtagswahl noch versucht, Zweckoptimismus zu verbreiten. Doch statt morgendlichem Elan heißt es nun: Operation Abendrot. Der selbsternannte Moderator des Machtwechsels, Jürgen Rüttgers, versorgt auf seine letzten Tage als Ministerpräsident noch die eigenen Leute. Ausgerechnet Boris Berger, Abteilungsleiter in der Staatskanzlei und ein enger Vertrauter von Rüttgers, erhält kurz vor Toresschluss einen unbefristeten Vertrag. Die SPD sieht wieder das sogenannte "System Rüttgers" am Werk und schäumt angesichts dieses Abschiedsgeschenks, war es doch Berger, der im Bundestagswahlkampf die Videoüberwachungs-Kampagne gegen Hannelore Kraft erdachte und die SPD-Vorsitzende zudem in internen Emails beschimpfte:

    Das geschieht der Alten recht. Immer auf die Omme!

    Auch die umstrittene Idee, Jürgen Rüttgers nach dem Vorbild von SPD-Urgestein Johannes Rau zu inszenieren, geht auf das Konto von Berger. Der Mann fürs Grobe wurde er in Düsseldorf lange genannt. Einer, der zu allem Übel auch noch ständig Partei- und Regierungsarbeit verquickt haben soll. Genützt hat es ihm und der Partei nichts. Stattdessen trägt Berger jetzt einen neuen Titel: "Rüttgers' Totengräber". Denn nach Ansicht der eigenen Parteibasis sitzen die Verantwortlichen für die Wahlschlappe in der Landesgeschäftsstelle, genau dort, wo auch Berger zwischenzeitlich wirkte. Dass er nun wegen der unbefristeten Verlängerung seines Arbeitsvertrags erneut in die Schlagzeilen gerät, wirkt wie Salz in den Wahlkampf-Wunden der Christdemokraten. Berger selbst heult auf, seine Kritiker wollten ihn vernichten. Für Generalsekretär Andreas Krautscheid zählen derweil jetzt ganz andere Dinge:

    "Wir haben im Wahlkampf zum Teil mit Positionen geworben, die wir überprüfen müssen: Sind sie noch mehrheitsfähig, sind sie up to date. Das bedeutet zum Teil auch schwierige, zum Teil auch schmerzliche Diskussionsprozesse innerhalb der CDU."

    Doch die Christdemokraten müssen nicht nur ihr historisch schlechtes Ergebnis aufarbeiten, sie müssen auch ihre inhaltlichen Standpunkte überdenken. Beispiel - das starre Festhalten am dreigliedrigen Schulsystem. Diese Haltung sei auf Dauer nicht mehr durchzuhalten, heißt es von führenden Unionsleuten – nur ist die Frage, ob ein Kurswechsel ohne Rüttgers in Zukunft leichter gelingt. Zumal die Partei weiß, dass sie Rüttgers auch einiges zu verdanken hat. Nach 39 Jahren SPD-Herrschaft eroberte der heute 59-Jährige 2005 für die CDU die Staatskanzlei – für fünf Jahre - zurück. Und noch etwas, sagt die stellvertretende Landesvorsitzende, Ursula Heinen, dankt ihm die Partei bis heute sehr:

    "Er steht dafür, dass die CDU in NRW zu einer nie gekannten Geschlossenheit geführt hat. Denn es war ja doch ein schwieriger Prozess, Rheinland und Westfalen zusammenzubringen. Und immer wieder gab es bestimmte Auseinandersetzungen, Kämpfe, und diese Zeit gehört, seitdem Rüttgers Landesvorsitzender ist, der Vergangenheit an."

    Doch trotz aller Anerkennung: Rüttgers' angekündigter Rückzug löste in der Partei einen Stoßseufzer der Erleichterung aus. So lautet die offizielle Version dieser Tage, dass Rüttgers nur noch den Übergang moderieren wolle. Viele nehmen dem gewieften Taktiker und Strippenzieher die neue Bescheidenheit allerdings nicht ab, auch wenn Rüttgers sich gerne so inszeniert. Erst kürzlich kündigte er an:

    " ... dass ich mich nicht vom Acker mache, dass ich in Nordrhein-Westfalen bleibe."

    Tatsächlich denkt Rüttgers nach vorn: Er wolle nun weder in Rente gehen noch seiner Frau auf die Nerven gehen, kokettiert er – das klingt nicht nach einem endgültigen Schlussstrich seiner politischen Laufbahn. Fürs erste nur streicht er jetzt die Segel - und bereitet seiner Partei neben aller Erleichterung auch eine Menge Probleme. Denn für all die neuen Herausforderungen – die Oppositionsrolle und vor allem der künftige Machterhalt des stärksten Landesverbandes im Bund hat Rüttgers keinen Nachfolger aufgebaut. Zu selbstsicher – manche sagen – zu arrogant – war er lange Zeit. Und glaubte nicht, dass jemand ihn vom Thron stoßen werde, der Wähler schon gar nicht. Jetzt ist der Schlamassel da. Rüttgers' Kronprinzen, die nie welche sein durften, liefern sich seit Wochen einen Schaukampf um die frei gewordenen Spitzenämter: Da ist der Fraktionssitz, um den Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann und Integrationsminister Armin Laschet konkurrieren. Letzterer steht für die urbane, moderne CDU, während der Sozialpolitiker Laumann das ländliche Milieu repräsentiert. Noch ist völlig offen, wer das Rennen macht. Besonders der ehrgeizige Laschet, der sich als einziger öffentlich äußert, traut sich jeden Posten zu.

    "Im Moment wäre ich lieber Trainer der deutschen Nationalmannschaft, aber das ist ja kein Wunschkonzert. Wir sind ja im Gespräch, der Kollege Karl-Josef Laumann und ich. In der Fraktion gibt es den Wunsch, wir brauchen eigentlich beide, weil es ganz unterschiedliche Profile sind. Da wir richtig befreundet sind, wir auch stündlich miteinander telefonieren und überlegen, was können wir am besten tun, braucht man Zeit. Das haben wir bis Dienstag geklärt."

    Um den Vorsitz der Landes-CDU, der spätestens im nächsten Frühjahr neu besetzt wird, konkurrieren Bundesumweltminister Norbert Röttgen und Landes-Generalsekretär Andreas Krautscheid. Schließlich wäre da noch der dritte freiwerdende Posten: der stellvertretende Bundesvorsitz, den Rüttgers im Herbst ebenfalls aufgibt. Ein vakanter Posten mehr, der die CDU zu einem Bekenntnis zwingt, wie sie sich langfristig aufstellen will. Drei der Genannten – Laschet, Krautscheid und Röttgen – gelten als Anhänger von Schwarz-Grün und als Vordenker für die Modernisierung der Partei. Doch auch die konservativen Kräfte vom Niederrhein, aus dem Sauer- und Münsterland haben eine große Hausmacht in der NRW-CDU, und die könnte noch wachsen, falls ihr Favorit Karl-Josef Laumann sich als Fraktionschef durchsetzt. Rüttgers hat die Partei einst geeint; dass er aber seine eigene Nachfolge nie regeln wollte, könnte sein Vermächtnis nachträglich beschädigen. Der Partei-Basis steht in Erinnerung an alte Flügelkämpfe jetzt schon der Angstschweiß auf der Stirn. Friedhelm Müller, Bezirksvorsitzenden der CDU-Mittelstandsvereinigung Ruhr:

    "Wir werden und wir dürfen uns jetzt hier als NRW-CDU natürlich nicht zerlegen."

    Eine selbstbewusste Partei klingt anders. Auch das ist das Vermächtnis des Machtmenschen Jürgen Rüttgers.

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