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Operation "Baytown" und die Befreiung vom Faschismus

An der Küste Kalabriens erreichten am 3. September 1943 die alliierten Truppen das italienische Festland. Diese Operation unter dem Codenamen "Baytown" markierte den Beginn des Vormarsches und damit auch die Befreiung Italiens vom Faschismus.

Von Bernd Ulrich | 03.09.2013
    "In diesem Augenblick wird hier in Kalabrien ein englischer Landungsversuch abgeschlagen. Dem Engländer ist es gelungen, in den Morgenstunden um 5:20 hier in der Bucht von Euphemia zu landen und mit einer unerhörten Anzahl von Booten, die hier unten im Hafen vor uns liegen, ranzukommen."

    Der deutsche Kriegsberichterstatter schilderte den Beginn der ersten alliierten Landeoperation auf dem italienischen Festland am 3. September 1943 – Codename: Operation "Baytown". Am frühen Morgen war eine britische Flotte leichter Landungsboote, gedeckt von Seestreitkräften und unterstützt durch Flugzeuge der Air Force, südlich vom sizilianischen Messina in See gestochen. Ihr Ziel: die nur wenige Seemeilen entfernte Küste Kalabriens, die Reggio Calabria mit ihrer gleichnamigen Hauptstadt.

    Das Hauptziel des alliierten Angriffs auf Italien lag indessen in der Nähe Neapels. Nach der Eroberung Siziliens im Sommer 1943 bildete die am 9. September durchgeführte Landung im Golf von Salerno den zweiten und entscheidenden Schritt zur Eroberung der "Festung Europa". Wie eine Lawine sollten die alliierten Truppen aus den Landeköpfen im Golf von Salerno ausbrechen und die Verfolgung der Deutschen aufnehmen. Vor diesem Hintergrund stellte die Operation "Baytown" sechs Tage zuvor ein blutiges Ablenkungsmanöver dar. Man hoffte, so der Militärhistoriker Gerhard Schreiber, ...

    "... dass die Landung in Kalabrien den Abzug deutscher Truppen aus dem Landegebiet bei Neapel zur Folge haben würde. Sollten die Deutschen aber nach Süden vorstoßen, wollte man sie durch den Hauptangriff bei Salerno von ihren Nord-Verbindungen abschneiden."

    Nach der Entmachtung und Verhaftung Mussolinis durch den "Faschistischen Großrat" am 25. Juli und der bald darauf von den Nachfolgern des Duce eingeleiteten und am 8. September verkündeten Kapitulation der italienischen Streitkräfte begann das Land im Chaos zu versinken. Gewiss, die Befreiung hatte begonnen – und doch fühlten sich viele täglich bedroht von den mit Unterstützung der Partisanenbewegung vorrückenden Alliierten – ihren Bomberverbänden zumal. Zu schweigen von der Wehrmacht, deren stetiger Rückzug Zerstörung und Tod hinterließ. Die Folgen hatte die Bevölkerung zu tragen. Hans Woller, Historiker des Münchener Instituts für Zeitgeschichte:

    "Italien hungerte. Wenn man sich Fotos anschaut aus Italien 1944/45, so sieht man ausgemergelte, ausgezehrte Gestalten mit erloschenen Augen."

    Die Lage verschärfte sich, als Wehrmacht, SS und Polizei noch am Tag der italienischen Kapitulation am 8. September 1943 damit begannen, die italienischen Streitkräfte überall dort, wo sie im deutschen Herrschaftsbereich standen, zu entwaffnen. Auf Befehl Hitlers als Militärinternierte deklariert, genossen die Gefangenen nicht den Schutz der Genfer Konvention. Über eine halbe Million italienische Soldaten mussten fortan als rechtlose Zwangsarbeiter in der deutschen Kriegswirtschaft schuften.

    Überdies kam es auf dem deutschen Rückzug, etwa in der Toskana, immer wieder zu sogenannten Vergeltungsaktionen und Massakern, verübt von SS-Einsatzgruppen, aber auch von Wehrmachtseinheiten. Der italienische Historiker Ivano Tognarini über die Strategie des deutschen Oberbefehlshabers Albert Kesselring:

    "Die Massaker in der Toskana fanden alle zu einem Zeitpunkt statt, als es für die Deutschen zunehmend schwierig wurde. Der langsame Rückzug hatte eingesetzt. Rom war gefallen, ebenso Monte Cassino. Und sie bauten an der Goten-Linie. Vor diesem Hintergrund entschied sich Kesselring für die Strategie eines aggressiven Rückzugs. Anders gesagt: Die Soldaten sollten keine Skrupel haben und den Vorstoß der Alliierten mit allen Mitteln aufhalten."

    Was mit der Operation "Baytown" am 3. September 1943 begann, war die Befreiung vom Faschismus. Aber er tauchte das Land auch in einen Nebel des Hasses. Kaum jemand hat ihn so präzise beschrieben wie der italienische Schriftsteller Curzio Malparte in seinem Roman "Die Haut":

    "Es war der Drang, etwas Lebendes, etwas Warmes, etwas Menschliches zu hassen, etwas, was unser war, was dem gleichen Vaterland wie wir selbst angehörte, dem Leben; nicht diese Fremden, die in Europa eingefallen waren und reglos, kalt, fahl, mit leeren Augenhöhlen seit fünf Jahren unser Vaterland, das Leben, bedrückten, unsere Freiheit, unsere Menschenwürde, die Liebe, die Hoffnung, die Jugend unter dem Gewicht ihres eiskalten Fleisches erstickten."