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Operette "Ball im Savoy" in Nürnberg
Musikszenen einer Ehe

Ein Mann betrügt seine Frau, sie revanchiert sich und sagt ihm das vor aller Welt ins Gesicht. Paul Abrahams Operette "Ball im Savoy" ist eine wilde Revue rund um Liebe, Sex und mit jazziger Musik. Der Inszenierung in Nürnberg gelingt der Spagat zwischen Gefühlschaos und Slapstick scheinbar mühelos.

Von Stefan Frey | 21.01.2019
    "Ball im Savoy" am Staatstheater in Nürnberg
    Musikkabarett trifft bei der Inszenierung von "Ball im Savoy" in Nürnberg auf Staatstheater (Staatstheater Nürnberg / Bettina Stöß)
    "Sein Orchester ist wie eine Bar. Man kann die köstlichsten Getränke aus ihr schlürfen". Das schrieb der Kritiker Oscar Bie über die Uraufführung des "Ball im Savoy" im Jahr 1932. Damals swingte ganz Berlin - 87 Jahre später swingt das Opernhaus Nürnberg. Dessen Staatsphilharmonie verwandelt sich unter Volker Hiemeyers Händen in eine Bigband. Die Partitur dazu stammt von Kai Tietje. Er hat aus Abrahams Orchester einen ganz besonderen Klang-Cocktail gemixt.
    "Ich bin da relativ frei, weil das was uns vorliegt nicht Abraham persönlich instrumentiert hat, sondern er hat immer irgendwelchen Leuten gesagt: ‚Komm, mach du mal eben die Bläser, mach du das mal.‘ Es gibt keine Originalpartitur. Und deswegen fühle ich mich frei zu interpretieren. Den Swing, den es damals haben sollte, den hab ich etwas genauer hineingearbeitet."
    Und Tietje hat sein Arrangement auf das deutsch-schweizerisch-kroatische Musikkabarett-Trio Geschwister Pfister abgestimmt, für das er schon lange arbeitet.
    "Der kennt uns jetzt einfach schon so gut, dass er beim Arrangieren weiß, welche Stelle in welche Lage transponiert werden muss. Dann kommen die ganzen Modulationen, die gar nicht vorgesehen sind. Das macht er einfach meisterlich Und ich weiß, wenn Kai das Arrangement macht, da kann uns nichts passieren", sagt Christoph Marti von den Geschwistern Pfister.
    "Die Musik von Abraham kommt uns als Pfisters wahnsinnig entgegen, weil das alles wirklich vom Schlager kommt, und so einen Esprit und so eine Lebensfreude vermittelt. Ich stürz mich da drauf, mag das wahnsinnig gerne. Der Glamourfaktor ist extrem hoch, das kommt uns Pfisters entgegen."
    Figur der Madelaine steht im Mittelpunkt
    Die in Berlin ansässige Kult-Truppe prägt die Aufführung. Drei der fünf Hauptrollen sind mit ihnen besetzt. Dazu vom Nürnberger Staatstheater die wunderbar verruchte Andromahi Raptis als rotgewandeter Vamp Tangolita. Und Musicalstar Frederike Haas in der weiblichen Hauptrolle der Madelaine, die frisch verheiratet von ihrem Mann betrogen wird. Ihre Figur steht im Mittelpunkt der Handlung, geht es doch um die Frage: Wieso darf er und sie nicht?
    "Das ist schon für die damalige Zeit eine sehr moderne Frau Wir befinden uns ja im Jahr 32 und dass die das so einfordert, dieselben Rechte für die Frauen, wie das die Männer für sich in Anspruch nehmen, find ich schon ganz toll. Ich meine, sie behauptet das nur mit der Treue, mit dem Fremdgehen, mein ich."
    "Hat se nun oder hat se nicht? Das fragt sich der Gatte, fragt sich die Gesellschaft, fragt sich die Welt (natürlich nur in der Operette, uns ist es egal)," spöttelte 1932 der Mozart-Biograf Alfred Einstein.
    Frederike Haas und Tobias Bonn jedenfalls ist es nicht egal. Denn der Ball im Savoy stellt die junge Ehe ihrer Figuren auf die Probe. Immerhin "erlaubt er den Männern alles und verbietet den Frauen nichts."
    "Eine Boulevard-Komödie, die auch Tiefe hat"
    Wie in der Fledermaus von Johann Strauss geht es um einen Ehemann, der auf einen Ball verschwindet und eine Ehefrau, die ihm maskiert dorthin folgt. Er ist von ihr fasziniert, trifft sich aber mit seiner Verflossenen im Séparée. Und sie? Revanchiert sich und sagt ihm das vor aller Welt ins Gesicht. Dazu Tobias Bonn:
    "Das Stück wird wirklich eine Boulevard-Komödie, die auch Tiefe hat. Klar, ist die Geschichte auch irgendwo albern, wenn man sie so von heutiger Sicht aus betrachtet."
    Christoph Marti: "Nein, das find ich nicht, dass die Geschichte albern ist. Es gibt Albernheiten, aber das Thema, das da verhandelt wird, ist überhaupt nicht albern. Da kann jeder, der mal in einer Beziehung gelebt hat, die dann auseinandergegangen ist, sich sofort auseinandersetzen: Wieso darf er und sie nicht?"
    Spagat zwischen Gefühlchaos und Slapstick
    Und dieser Spagat zwischen echtem, sehr heutigem Gefühlschaos und hemmungslosem, ebenfalls sehr heutigem Slapstick gelingt Stefan Hubers Inszenierung scheinbar mühelos. Nicht nur beim Hauptpaar werden klassische Rollenbilder auf den Kopf gestellt, der eigentliche Clou ist die Überkreuz-Besetzung des komischen Paars mit zwei der Geschwister Pfister: Christoph Marti als Tanzsoubrette und Andreja, alias Fräulein, Schneider als Buffo. Während Marti in der Rolle der amerikanischen Jazzkomponistin Daisy seine ganze Grandezza als Travestiekünstler virtuos ausspielt, überrascht Fräulein Schneider mit einer saftigen Parodie des orientalischen Machos Mustafa Bey samt dessen ausgeprägtem Hang zu Vielweiberei und politischer Inkorrektheit:
    "Es geht gar nicht darum einen Mann zu spielen, sondern eine schöne Rolle zu spielen. Ich finde Mustafa Bey ist eine wirklich interessante Rolle, er ist ein chauvinistischer, schlimmer Kerl. Von einer Frau gespielt. Es mildert sich das Ganze und wird liebenswerter."
    Nonchalante Leichtigkeit und Eleganz
    Dieser Mustafa Bey ist in seiner kugeligen Körperlichkeit und verschrobenen Leidenschaft die Überraschung des Abends. Die ganze Aufführung hat eine so nonchalante Leichtigkeit und Eleganz, dass man selbst Barrie Koskys grandiose Inszenierung vergisst. Nur bei Danny Castellos Choreographien und dem etwas schleppenden Beginn mit einem doch sehr statischen Chortableau vermisst man gelegentlich dessen Dynamik. Das liegt zum Teil auch daran, dass das Orchester auf der Hinterbühne platziert und im ersten Akt hauptsächlich durch anfangs scheppernde Lautsprecher zu hören ist.
    Doch dann öffnet sich die Bühne von Timo Dentler und Okarina Peter zu einem pompösen Ballsaal mit geschickt verschiebbaren Säulen, die sowohl als Bar als auch als Séparée dienen. Hier kann sich der spielfreudige und von Heike Seidler in mondäne Roben gekleidete Chor austoben. Und als am Ende auch noch das Orchester sichtbar wird, entfaltet sich der ganze Zauber von Paul Abrahams betörendem Klang-Cocktail, dieser wilden Mischung von Tangoseufzern, Walzerträumen und grotesken Jazznummern. Ein packender Tanz auf dem Vulkan.