Dienstag, 19. März 2024

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Opernfragment "Sardanapalo" uraufgeführt
Liszts Unvollendete

Vor einigen Jahren tauchte ein Opernfragment von Franz Liszt auf: "Sardanapalo". Darin geht es um den letzten König des antiken Assyriens. Die Entstehungsgeschichte der Oper ist geheimnisumwoben. Auch Richard Wagner hatte seine Finger im Spiel. Nun wurde das Werk von der Staatskapelle Weimar uraufgeführt.

Von Claus Fischer | 20.08.2018
    Portrait des ungarischen Komponisten Franz Liszt
    Franz Liszt vollendete seine Oper "Sardanapalo" nicht (dpa)
    David Trippett: "Das erste Mal, als ich die Handschrift gesehen habe, habe ich eine Arie für Sopran oder Tenor gesehen. Und ich war erstaunt: Es scheint völlig komplett! Wir haben Melodie, Harmonie, wunderbare Linien, Phrasen – alle Worte sind da! Und ich fragte mich: 'Warum hat niemand das vorher gemacht?' Und dann hab ich die Entscheidung getroffen: Die Welt braucht das!"
    "Es ist für mich wirklich ein Experiment! Und wenn jemand sich erlauben kann, dieses Experiment zu machen, dann ist es die Staatskapelle Weimar", betont deren Generalmusikdirektor Kirill Karabits.
    Zufällig hat er vor zwei Jahren im Radio einen Bericht über die Entdeckung durch David Trippett gehört. Er hat sich die Handschrift angesehen und sofort die Uraufführung des vergessenen Opernfragments auf den Spielplan gesetzt, publikumswirksam zur Saisoneröffnung der Weimarer Staatskapelle.
    111 Seiten umfasst das Manuskript von Liszt, den nahezu kompletten ersten Akt des "Sardanapalo" mit rund 45 Minuten Aufführungszeit. Notiert hat der Komponist die Musik als Klavierauszug, sein Schüler und Assistent Joachim Raff sollte die Orchestrierung übernehmen, zu der es aber nie gekommen ist. Die hat nun David Trippett besorgt. Die vermeintlichen Lücken in der Begleitung identifizierte er als typische rhythmische Muster aus dem Baukasten italienischer Belcanto-Komponisten."
    Es ist nicht schwer, diese zu entschlüsseln! In der italienischen Oper haben wir ganz oft 'Hm-ba-ba-ba-ba-ba' und so weiter."
    Giuseppe Verdi lässt grüßen
    Schon in den ersten Takten, dem Chor der Haremsdamen hat der geschulte Opernbesucher ein Aha-Erlebnis: Giuseppe Verdi lässt grüßen, und das ist kein Zufall. Womöglich, so David Trippett, lag die Partitur des "Nabucco" auf Liszts Komponierschreibtisch. In den reinen Orchesterpartien scheint dagegen häufiger Hector Berlioz durch. In den Arien, besonders in deren dramatischen Passagen hört man dagegen Richard Wagner. Auch kein Zufall, denn Liszt begann mit der Komposition ja wenige Monate nach der Weimarer Uraufführung des "Lohengrin" begonnen, die er selbst geleitet hatte.
    "Wir haben hier eine stilistische Mischung, die es nirgendwo anders gibt", betont Liszt-Forscher David Trippett und spricht von einer kongenialen Kopie. "Es ist eine "conocopia" im besten Sinne des Wortes!"
    Das Libretto von Liszts Opernfragment basiert auf einem Drama des englischen Dichters Lord Byron. Sardanapalus war der letzte König des antiken Assyriens. Er war Hedonist durch und durch, interessierte sich mehr für Wein, Frauen und Festgelage als für Politik und Kriege. Als ihm die militärische Niederlage droht, lässt sich Sardanapalus gemeinsam mit seiner Geliebten, einer Sklavin, bei lebendigem Leib inmitten von Düften und Gewürzen verbrennen - in einem großen flammenden Inferno! Diese Szene wäre wohl das Finale des dritten Aktes gewesen. Doch wie gesagt, lediglich den ersten Akt hat Liszt komponiert.
    Geheimnisvolle Entstehungsgeschichte
    Die Entstehungsgeschichte des "Sardanapalo" ist geheimnisumwoben. Liszt hatte das italienische Libretto über die Fürstin Cristina Belgiojoso, mit der er befreundet war, bestellt. Und zwar bei einem Autor, der in Italien der Zensur unterworfen war und deshalb anonym bleiben wollte. Man nimmt an, dass auch Liszt den Namen dieses Dichters nicht kannte. Den Text des ersten Aktes hat er bekommen, bearbeitet durch die Fürstin, die Akte zwei und drei aber nicht mehr. Und damit, so David Trippett, hatte sich das Projekt für Liszt erledigt.
    "Ich glaube, wenn er diese zwei Akte gehabt hätte, dann hätte er die Partitur beendet."
    Der Komponist hat das Manuskript des ersten Aktes verwahrt, vielleicht im Gedanken, dass es die Nachwelt doch einmal wertschätzt. Die Uraufführung des Fragments gestern in Weimar stand leider zunächst auch unter keinem guten Stern: Der US-amerikanische Tenor Charles Castronovo, der die Titelpartie übernehmen sollte, war kurzfristig erkrankt. So sprang sein spanischer Kollege Airam Hernández kurzfristig ein. In nur zwei Tagen erarbeite er sich die zwar kurze, doch sehr anspruchsvolle Partie.
    "Man braucht eine flexible Stimme und selbstverständlich eine große Stimme. Die Lage ist sehr hoch. Aber es ist eine absolute Ehre für mich, dieses Stück hier in Weimar vor dem Vergessen zu retten. Denn hier gehört es her."
    Wagner ermunterte den Freund und Kollegen
    Airam Hernandez überzeugte absolut gestern Abend in der Weimarhalle, ebenso die kanadische Sopranistin Joyce El-Khoury in der Partie der Sklavin und Geliebten des Königs. Der ukrainische Bass Oleksander Pushniak gestaltete die Partie des Priesters, der den Titelhelden ermahnt und vom Suizid abzubringen versucht, mit großem Volumen und Ausdruck. Dirigent Kirill Karabits, der gekonnt die Fäden in der Hand hielt, kann sich gut vorstellen, dass sich Liszts Opernfragment zumindest im Konzertsaal durchsetzen wird.
    "Ich hoffe sehr."
    Interessant ist übrigens, dass Richard Wagner an der Komposition des Sardanapalo regen Anteil genommen hat, obwohl er von der italienischen Oper bekanntermaßen nicht allzu viel hielt. Mit den Worten "Nun aber zeige uns volends den ganzen löwen!" ermunterte er den Kollegen und Freund. Leider hat es aber, um im Bilde zu bleiben, eben nur zum eindrucksvollen Kopf des Raubtiers gereicht.