Freitag, 29. März 2024

Archiv


Opfer des "deutschen Geistes"

Der Psychiater und Philosoph Karl Jaspers unterrichtete seit 1916 an der Universität Heidelberg, wo er zu den renommiertesten Gelehrten einer Alma Mater gehörte, die nicht zuletzt wegen ihres liberalen und demokratischen Geistes gerühmt wurde. 1933, mit Beginn der Kanzlerschaft Adolf Hitlers, wurde alles anders.

Von Hans Martin Lohmann | 03.07.2012
    Hannah Arendt, die sowohl mit Martin Heidegger als auch mit Karl Jaspers jahrzehntelang befreundet war, hat über Letzteren und seine Rolle im Dritten Reich etwas gesagt, das sie über Heidegger, dessen Geliebte sie als junge Studentin war, niemals hätte sagen können:

    "Er hat immer ganz allein gestanden und war von anderen Gruppenbildungen unabhängig, auch von der deutschen Widerstandsbewegung. Es ist das Großartige an dieser Position, die nur von dem Gewicht der Person des Mannes selbst getragen ist, dass er, ohne irgendetwas zu repräsentieren als die eigene Existenz, die Gewähr dafür bieten konnte, dass auch in der Finsternis der Gewaltherrschaft, in der alles Gute, das es noch geben mag, schlechthin unsichtbar und daher unwirksam wird, die Vernunft vielleicht nur vernichtet werden kann, wenn wirklich und wortwörtlich alle Vernünftigen totgeschlagen sind."

    An der Heidelberger Ruperto Carola, die vor der "Machtergreifung" der Nationalsozialisten als eine der führenden deutschen Hochschulen galt, repräsentierte Karl Jaspers die Weltgeltung der deutschen Philosophie. Befreundet mit Heidegger, der wenige Jahre zuvor mit seinem Hauptwerk "Sein und Zeit" für Aufsehen in der Welt der Philosophen gesorgt hatte, stand Jaspers für einen Professorentypus, der für sich die strikte Trennung von Wissenschaft und Politik beanspruchte. Als Jaspers Anfang der dreißiger Jahre einmal von einem Studenten gefragt wurde:

    "Wenn das Haus brennt, werden Sie doch löschen?"

    antwortete dieser:

    "Nein, dann rufe ich die Feuerwehr!"

    Wenig später brannte das Haus lichterloh, aber es gab keine Feuerwehr mehr, die den Brand hätte löschen können. Denn von Anfang an machten die neuen Herren ernst mit der Säuberung der Hochschulen von allem, was nicht mit der nationalsozialistischen Weltanschauung kompatibel war. An der Heidelberger Universität wurde die Gleichschaltungs- und Selbstgleichschaltungspolitik besonders radikal praktiziert. Dutzende Professoren und Dozenten verloren ihre Stelle. Der von Friedrich Gundolf stammende Wahlspruch am Gebäude der Neuen Universität

    "Dem lebendigen Geist"

    wurde durch den geistlosen Spruch

    "Dem deutschen Geist"

    ersetzt. Auch Jaspers, keineswegs ein expliziter und auffälliger Gegner des Nationalsozialismus, sondern allenfalls ein unabhängiger und eigenwilliger Kopf, der sich nicht anbiedern mochte, geriet schließlich ins Visier der Meute. Am 3. Juli 1937 wurde er von seinen akademischen Aufgaben entbunden und in den vorläufigen Ruhestand versetzt, was am 30. September desselben Jahres durch Vollzug des Berufsbeamtengesetzes endgültig bestätigt wurde.

    Anders als viele seiner Kollegen, die aus politischen oder rassischen Gründen von der Universität vertrieben worden waren, genügte im Falle Jaspers' die bloße Tatsache, dass seine Frau Gertrud Jüdin war: Im Jargon der Nazis war der Philosoph "jüdisch versippt", also untragbar für eine "arische" Universität.

    Gertrud und Karl Jaspers durchstanden gemeinsam und solidarisch die Jahre der Isolation und Bedrohung, die für Karl Jaspers auch ein Publikationsverbot bedeuteten. Hannah Arendt hat das Verhältnis der Eheleute in einfühlsamer und anrührender Weise charakterisiert:

    "Zwischen zwei Menschen, wenn sie in der Bindung nicht der Illusion verfallen, eines oder einer zu werden, kann schon wieder eine Welt entstehen, und gerade für Jaspers ist wohl dies Glück, in das er seine und der Frau Herkunft hineinzunehmen und zu bewahren verstand, nie ein nur privates gewesen, sondern eine Welt en miniature."

    Zu den persönlichen Enttäuschungen, die Karl Jaspers in jenen Jahren erlebte, gehörte auch die Distanzierung des Freundes Martin Heidegger, der im Jahre 1933 mit den Nazis einen Teufelspakt geschlossen hatte. Nach dem Krieg schrieb Heidegger, er sei nicht deshalb nicht mehr ins Haus Jaspers gekommen, weil dort eine jüdische Frau wohnte, sondern weil er sich einfach geschämt habe. Ein durchsichtiges Entschuldungsmanöver in eigener Sache, das auch Arendt wenig überzeugte. Umso mehr war sie von Jaspers' Haltung überzeugt:

    "Was damals Jaspers, als er ganz allein war, repräsentierte, war nicht Deutschland, aber die Humanitas in Deutschland."