Dienstag, 30. April 2024

Archiv


"Opfer nicht dein Leben im Todesboot"

Die Hoffnung auf ein besseres Leben treibt viele Afrikaner dazu, mit unsicheren Booten den Weg nach Europa anzutreten. Die Flucht vor Hunger und Bürgerkrieg endet oft mit dem Tod. Im Senegal gibt es nun eine Initiative, die sich gegen die Migration und für das Überleben im eigenen Land einsetzt.

Von Axel Denecke | 28.03.2009
    "Ich bat meine Mutter um Geld und sie hat mir 400.000 CFA Francs gegeben, das sind 600 Euro. Soviel kostete die Überfahrt. Der Schlepper nahm mich an Bord seines Fischerbootes und wir brachen auf in Richtung Kanarische Inseln. Dann fielen die beiden Motoren aus. Zehn Tage trieben wir auf dem Meer, unser Proviant war alle und es gab Krankheiten. Einige von uns starben, wir warfen die Leichen einfach ins Meer. Ich musste meinen eigenen toten Bruder ins Meer werfen. Dann rettete uns ein Mauretanisches Fischerboot."

    Der 30-jährige Cheick Faye versuchte erstmals im Jahr 2000 wegzugehen aus Thiaroye sur Mer, einer der riesigen Vorstädte der senegalesischen Hauptstadt Dakar. Damals wollte er von Marokko aus nach Europa übersetzen, erlitt aber einen Unfall und musste die Reise abbrechen. Vier Jahre später startete Cheick erneut - zu der unglücklichen Reise auf der sein Bruder starb.

    Doch der Reiz des anderen Lebens in Europas war so groß, dass er sich zwei Jahre darauf noch einmal einer der Nussschalen anvertraute, um Spanien zu erreichen: wieder ohne Erfolg. Diesmal griff die senegalesische Küstenwache das Boot von Cheick Faye auf. Heute arbeitet er mit im Kollektiv gegen irreguläre Migration in Thiaroye sur Mer. Doch er weiß noch ganz genau, warum er sich damals all den Gefahren aussetzte, um nach Europa zu gelangen.
    "Als Arbeiter bist du hier nichts wert. Am Ende des Monats bekommst du gar nichts. Du willst deine Familie ernähren, hast aber nicht mal das Geld für den Weg zur Arbeit. Deswegen schmeißt du deine Ausbildung hin und gehst lieber auf das Meer."

    Offizielle Zahlen sprechen von fast 1000 Afrikanern, die im vergangenen Jahr ihr Leben ließen auf der waghalsigen Überfahrt über den Atlantik nach Spanien. Seit die Grenzen auch in Marokko und Mauretanien strenger bewacht werden, ist die Reise für die Bootsflüchtlinge noch länger und noch gefährlicher geworden. Von der Küste des Senegal aus dauert sie heute bis zu 14 Tage. Aminata Seek hat auf einer der Flüchtlingsboote ihren Sohn und ihren Bruder verloren.

    "Es fällt mir sehr schwer, darüber zu sprechen. Mein Sohn und mein Bruder wollten weggehen. Ich habe sogar mein Haus verkauft, um die Überfahrt zu bezahlen, genau wie meine Schwägerin alles verkauft hat für einen anderen Bruder. Aber wir haben sie alle nie wiedergesehen.""

    Seit zwei Jahren engagiert sich die 40-Jährige im Kollektiv gegen irreguläre Migration in Thiaroye sur Mer. Nach den schmerzhaften Erfahrungen ihrer Familie wirbt Aminata Seek eindringlich dafür, nicht den riskanten und oft tödlichen Weg nach Europa anzutreten. Sie will stattdessen vor Ort Perspektiven schaffen.

    Täglich treffen sich die Frauen in einem kleinen Büro an einer der sandigen Nebenstraßen von Thiaroye sur Mer. 350 Familien sind in dem Kollektiv zusammengeschlossen. Jede hat ein Opfer unter den Bootsflüchtlingen zu beklagen. Eine von ihnen ist Ave Bavati Diouf.

    "Ich habe meinen einzigen Sohn durch die irreguläre Auswanderung verloren - so wie alle Frauen hier einen oder zwei Söhne oder ihren Ehemann verloren haben. Wir sind aber eine polygame Gesellschaft. Das heißt, wenn ein Mann vier Frauen hat, sind vier Frauen Opfer, wenn er stirbt."

    Vor vielen Jahren war Thiaroye sur Mer noch ein Fischerort, der vom Reichtum des Meeres leben konnte. Seit ausländische Trawler vor der Küste des Senegal ihre Netze auswerfen, ist es schwierig geworden für die Fischer in Thiaroye. Entlang der Hauptstraße des Stadtteils erstreckt sich heute ein riesiger, bunter Markt: Hier schustern Mechaniker aus Europa stammende Gebrauchtwagen zusammen, nebenan zimmert eine Gruppe junger Leute Holzmöbel, in kleinen Läden beugen sich Schneider über ihre Nähmaschinen und verarbeiten bunte Stoffe zu prächtigen Gewändern. Hier fühlt sich Cheick Faye zu Hause und er möchte etwas bewegen im Stadtteil.

    "Sie machen mich traurig, die vielen Toten und Verschollenen. Die, die noch hier sind, versuche ich zu sensibilisieren. Ich spreche mit ihnen, mache kleine Festivals. Deswegen arbeite ich hier, auch um den Leuten zu helfen, etwas aufzubauen, womit sie ein wenig Geld verdienen können. Deswegen bin ich hier geblieben."

    An der Eingangstür des Kollektivs hängt ein Plakat mit einem Aufruf: "Opfere nicht dein Leben auf den Todesbooten! Lass uns unser Land gemeinsam aufbauen!” Einige der Frauen tragen T-Shirts mit dem Aufdruck: "Nein zur irregulären Migration!” Das Material wird von der Internationalen Organisation für Migration, IOM, zur Verfügung gestellt.

    Seit die Bilder von halb verdursteten Afrikanern an den Stränden Teneriffas die Öffentlichkeit aufschreckten, betreibt die IOM Kampagnen gegen die irreguläre Migration im Senegal. Dazu steuerte Spanien allein eine Million Euro bei. Abschreckende TV-Spots zeigen das trostlose Leben eines Migranten ohne Papiere in Europa oder zerborstene Boote und Leichen von Afrikanern am Strand. Jo-Lin Roberts, Pressesprecherin des IOM, sieht vor allem ein Ziel ihrer Arbeit im Senegal.

    "Grenzkontrollen sind politisch notwendig, aber wir müssen darüber hinaus gehen und den Mythos von Europa als Eldorado brechen. Für die meisten Migranten ohne Papiere stellt sich diese Erwartung als ganz falsch heraus."

    In diesem Jahr erreichen dennoch jeden Monat etwa 1000 Afrikaner allein die spanischen Küsten - mit nicht viel mehr als dem, was sie auf dem Leib tragen. Bisher gibt es faktisch keine legalen Möglichkeiten für Senegalesen, nach Europa zu gelangen. Nur Vermögende oder Studenten erhalten ein Visum. Dabei leben derzeit bereits über zwei Millionen Senegalesen im Ausland - und überweisen jährlich mehr als 500 Millionen Euro an ihre Familienangehörigen. Das ist mehr als die Entwicklungshilfe, die das Land erhält.

    Cheick Faye bastelt indes wieder an einem Fischerboot, an einem kleinen Modell, das er Touristen verkaufen will. Dies ist eine der neuen Einkommensquellen, die das Kollektiv schaffen will. Die Frauen stellen Stoffpuppen her.

    "All diese Puppen machen wir von Hand. Es gibt die ganz kleinen Babys, aber auch die jungen Mädchen, die Jugendlichen, und die großen Damen. Außerdem die Mütter und die Väter, so wie hier."

    15.000 Francs CFA etwa können die Frauen mit dem Verkauf der senegalesischen Miniaturfamilien im Monat dazu verdienen. Das sind etwa 20 Euro. Doch vielen Jungen aus Thiaroye sur Mer träumen nach wie vor lieber von einem Job als Tellerwäscher in Madrid, bei dem sie vielleicht 1000 Euro im Monat verdienen können. So vage diese Aussicht ist, ist sie doch attraktiv genug für viele, um - wie Cheick Faye - eines der wackeligen Fischerboote zu besteigen.