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Opfer und Heldin

Der Krieg im Irak könnte die USA nach eigenen Angaben in den kommenden zehn Jahren bis zu 406 Milliarden Dollar kosten. In diesem Budget spielt auch die medizinische Versorgung der US-Kriegsveteranen eine Rolle. Sie fällt teurer aus, weil viel mehr Menschen ihr Leben und ihre Gesundheit im Krieg ließen, als zuvor angenommen wurde.

Von Maja Dähne | 15.07.2006
    Ein Bombenanschlag in der Nähe von Bagdad. Mehrere verletzte US Soldaten. Schlagzeilen aus den Abendnachrichten. Dawn Halfaker starrt angespannt auf den Bildschirm. Für die 26-jährige rufen die Fernsehbilder sofort Erinnerungen wach.

    "Ich werde den Tag nie vergessen. Es war der 19. Juni 2004, meine Einheit war auf Patrouille. Ich saß im ersten Fahrzeug des Konvois und als wir um eine Ecke bogen, knallten Schüsse. Granaten schlugen vorne in den Wagen ein, rissen zuerst meinem Truppenführer den Arm ab, dann mir, und explodierten genau neben meinem Kopf."

    Ihre Militärpolizeieinheit schaffte es irgendwie, sich in Sicherheit zu bringen.

    "Ich sah einen grellen Blitz, roch den Rauch. Der Knall der Explosion war ohrenbetäubend. Ich verlor jede Kontrolle. Ich wusste nur dass irgendetwas verdammt schief ging. Ich konnte meinen Arm nicht bewegen und hatte wahnsinnige Schmerzen."

    Per Hubschrauber wurde Captain Halfaker in ein Lazarett nach Deutschland gebracht, und von dort aus ins Walter Reed Militärkrankenhaus nach Washington geflogen. 11 Tage später wachte sie aus einem Koma auf und erfuhr, dass die Ärzte ihr den völlig zertrümmerten rechten Arm amputiert hatten. "Ich hab das zuerst gar nicht richtig begriffen", sagt Dawn.

    "Erst als sie mich im Rollstuhl zur Therapieklinik gefahren haben, und ich die anderen Verwundeten gesehen habe, wurde mir klar, dass sich mein Leben radikal verändert hatte. Da waren Soldaten, die beide Beine und einen Arm verloren hatten. Das war schrecklich, aber gleichzeitig hat es mich auch aufgebaut. Wenn die das schaffen, schaffe ich das auch. Ich habe ja glücklicherweise nur einen Arm verloren."

    Mehr als 18.300 Soldaten sind seit Beginn des Irakkriegs verwundet worden - viele davon Frauen. Für sie waren die meisten Jobs im Militär vor dem ersten Golfkrieg 1991 noch tabu. Heute ist jeder siebte Soldat im Irak eine Frau. Sie stehen an der Spitze von Militärpolizei-Kompanien wie Dawn, sie fliegen "Apache"-Kampfhubschrauber, arbeiten als "Intelligence-Analysten" im Militär-Geheimdienst, und dienen sogar in einigen Artillerie-Einheiten. Lediglich an unmittelbaren Kampfeinsätzen an der Front dürfen Frauen nach wie vor nicht teilnehmen. Das schützt sie allerdings nicht davor, Opfer zu werden.

    Im Irak ist die Frontlinie überall und nirgends. "Du kannst keine Linie in den Sand malen und sagen: Hier ist die Front, da ist die Gefahr und dort bist Du sicher.", bestätigt Carole Turner, zuständig für die kriegsversehrten Soldatinnen im "Department of Veterans Affairs".

    "Dies ist ganz klar eine neue Art von Krieg. Wir haben noch nie vorher so viele Frauen mit so schweren Verwundungen gesehen."

    Zerschmetterte, oder durch Minenexplosionen abgerissene Arme und Beine. Großflächige Verbrennungen, von Schrapnellen zerfetzte Eingeweide, Hirnschäden oder Verletzungen des Rückenmarks. Chirurgen, die schwerstverwundete Soldaten auf dem Operationstisch gesehen haben, sagen, diese Verletzungen wären noch vor 10 Jahren tödlich gewesen. Aber Dank schneller medizinischer Versorgung vor Ort, und revolutionärer Technologien in der Behandlung, überleben immer mehr dieser Soldaten.

    Die Zahl der Todesopfer ist im Vergleich zum Golfkrieg 1991 um 22 Prozent niedriger. Die Schattenseite: Viele leiden ihr Leben lang an schwersten Behinderungen, sind so genannte "combat amputees", so wie Dawn, sagt Carole Turner im Ministerium:

    "Es ist noch eine sehr kleine Gruppe von Frauen, die betroffen ist: weniger als 12 landesweit. Die Behandlung dieser kriegsversehrten, amputierten Frauen - das ist für uns eine völlig neue Herausforderung. Sowohl die Betroffenen, als auch wir, müssen erst noch lernen, damit umzugehen."

    Auch Dawn musste lernen mit ihrer Behinderung umzugehen. Regelmäßiges Yoga hilft ihr, seelisch und körperlich im Gleichgewicht zu bleiben. Die medizinische Versorgung und psychologische Betreuung durch das US-Militär war erstklassig, sagt sie. Sie arbeitet inzwischen bei einem dem Pentagon untergeordneten Forschungsunternehmen. Sie bekam eine Abfindung, einen Orden und mehrere Prothesen.

    "Ich habe insgesamt drei Arme. Zwei davon sind mechanisch. Die Hand kann sich bewegen, und ich kann den Ellenbogen beugen. Das klingt toll, ist aber sehr unbequem und zerbrechlich. Die Dinger sind schwer, und da ich auch keine Schulter mehr habe, sind sie schwer zu befestigen und ziemlich nutzlos. Ich fühle mich behindert dadurch, und es sieht aus wie ein Roboterarm."

    Die Prothese, die sie am liebsten trägt, liegt neben ihr auf dem Sofa. Ein Silikonarm mit Acryl-Fingernägeln.

    "Es ist ein passiver Arm, er bewegt sich nicht. Man kann damit nichts machen, er hängt einfach nur an meiner Schulter. Aber er sieht verdammt echt aus. Ich hab jede Menge Sommersprossen und bin eher hellhäutig. Die haben das wirklich gut hingekriegt. Der Arm passt genau zu meiner Haut. Er sieht sehr weiblich aus. Doch, es ist ein cooler Arm. Ich mag ihn."

    Trotzdem gibt es Momente, in denen sich Dawn unzulänglich, hässlich und als Außenseiter fühlt. Beispielsweise bei ihrem täglichen Lauftraining, das die Absolventin der Elite- Militärakademie "West Point" grundsätzlich ohne ihren künstlichen Arm absolviert. Besonders Männer auf der Straße starren sie oft schockiert an.

    "Ich hab mir Sorgen gemacht um mein Äußeres, und wie ich auf andere Menschen wirke. Sicher haben auch männliche Soldaten damit zu kämpfen. Du hast Deinen Körper einfach nicht mehr unter Kontrolle. Dein Leben hat sich drastisch geändert. Aber von Frauen wird viel eher erwartet, dass sie einem Schönheitsideal gleichen. Damit muss ich mich auseinandersetzen."

    Nicht nur Veteraninnen wie Dawn, auch die amerikanische Öffentlichkeit muss sich erst noch an die neue Realität gewöhnen: An sichtbar - und unsichtbar - vom Krieg gezeichnete Frauen, sagt Carole Turner, "Department of Veterans Affairs". Dabei ist die Zahl nicht nur der aktiven Soldatinnen sondern auch der weiblichen Veteranen dramatisch angestiegen: 350.000 Frauen dienen derzeit beim Militär. Mehr als 1,6 Millionen Frauen sind Kriegsveteranen.

    "Bis vor kurzem war immer noch umstritten, ob Frauen beim Militär, an der Front, im Irak überhaupt etwas zu suchen haben oder nicht. Und dementsprechend ist man sich auch völlig unsicher darüber, wie man mit diesen nach Hause zurückkehrenden, verletzten Soldatinnen umgehen soll."

    Bilder von kriegsversehrten Männern sind im dritten Jahr des Irakkriegs dagegen längst Bestandteil der täglichen Fernsehnachrichten. Sogar Hollywood hat sich bereits mehrfach mit diesem Thema beschäftigt. Behinderte Veteranen spielten die Hauptrollen in Filmen wie "Geboren am 4. Juli" oder "Forrest Gump". Bilder von im Krieg schwerstverwundeten Frauen bleiben nach wie vor schockierend.

    Für die einen sind sie Kriegsheldinnen, für die anderen Opfer. Aber trotz des erlebten Horrors sind sich diese Frauen alle einig: Sie würden wieder Soldat werden und an der Front kämpfen.

    "Es ist natürlich hart - und ich würde alles tun, um meinen Arm wiederzubekommen - aber ich bereue nicht, dass ich zum Militär gegangen bin. Und ich würde meine Erfahrungen im Irak nicht eintauschen. Ich habe viel über mich selbst gelernt. Es war entsetzlich, was passiert ist, aber ich bin noch am Leben, und ich kann meine Erfahrungen nutzen, um etwas zu bewegen."