Donnerstag, 02. Mai 2024

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Opposition zu Brennpunktschulen
"Die Ministerin hat von der Praxis keine Ahnung"

Margit Stumpp (Grüne) hat das von der GroKo erarbeitete Unterstützungsprogramm für Brennpunktschulen scharf kritisiert. Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) verstecke sich "hinter plakativen Aktionen, die den Schulen vor Ort in keinster Weise weiterhelfen", sagte die Oppositionspolitikerin im Dlf.

Margit Stumpp im Gespräch mit Lena Sterz | 23.10.2019
Sicherheitsleute kontrollieren die Schülerausweise von Schülern der Otto-Hahn-Schule in Berlin-Neukölln.
Statt in personelle Resourcen zu investieren, lasse die Bildungsministerin nur noch einmal evaluieren, welche Probleme es an Brennpunktschulen gebe, kritisierte Margit Stumpp im Dlf (dpa picture alliance/ Rainer Jensen)
Lena Sterz: Die Große Koalition will Schulen in Brennpunkten stärker unterstützen, und uns interessiert natürlich, was die Opposition von diesen Plänen hält. Ich habe die bildungspolitische Sprecherin der Grünen, Margit Stumpp, gefragt, ob die Meldung über mehr Geld für Brennpunkt-Schulen für sie eine gute Nachricht ist.
Margit Stumpp: Also das hört sich plakativ zunächst mal gut an, aber man muss etwas mehr lesen als die Überschrift, dann erkennt man ganz schnell, dass die Unterstützung darin besteht, dass man noch etwas mehr forschen und evaluieren möchte, und Forschung und Evaluierung, zu diesem Punkt haben wir eigentlich genug. Die Bundesbildungsministerin möchte endlich Geld in die Hand nehmen und ein Programm erarbeiten, um die Schulen konkret vor Ort tatsächlich unterstützen zu können.
"Das Geld kommt bei den Schulen überhaupt gar nicht an"
Sterz: Ja, sie nimmt ja jetzt 25 Millionen pro Jahr in die Hand. Das ist doch gar nicht so wenig, oder?
Stumpp: Das kommt bei den Schulen überhaupt gar nicht an. Wir haben gemeinsam, die Fraktion und ich, schon im letzten Jahr einen Haushaltsantrag gestellt, dass man mindestens 500 Millionen in den nächsten Haushalt einstellen muss, aufwachsend auf eine Milliarde, um tatsächlich die Schulen vor Ort mit Ressourcen zu unterstützen. Diese 25 Millionen sollen ja nur wieder in Forschung und Evaluation fließen.
Also da kommt bei den Schulen kein Euro an, der irgendwie zur Verbesserung der Situation, die reichlich erforscht und evaluiert ist, beiträgt. Und wir haben ja das Grundgesetz geändert, wir haben im 104c Möglichkeiten aufgemacht, dass die Ministerin ein Programm auflegen kann, dass sie vor allem auch personelle Ressourcen mit unterstützen kann. Diese Möglichkeit nutzt sie nicht, sondern sie versteckt sich wieder hinter plakativen Aktionen, die den Schulen vor Ort in keinster Weise weiterhelfen.
Sterz: In dem Programm ist auch die Rede davon, dass Disziplinprobleme und Unterrichtsstörungen ein großes Problem seien von Lehrern in diesen schwierigen Vierteln und schwierigen Lagen. Das klingt ja erst mal so, als sei man da wirklich nah dran an den Problemen der Praxis und versuche, die wirklich zu lösen. Aber Sie meinen, dass man, wenn man sich erst mal anschaut, was die Schulen genau benötigen, dass das die gar nicht weiterbringt?
Stumpp: Wir haben Kinder, die mit unterschiedlichsten Belastungen vielleicht auch aus überforderten Familien in die Schulen kommen, und da hilft Schulsozialarbeit, da hilft Begleitung, da hilft die Entlastung von Lehrkräften, von Administrative, und diese begleitenden Aufgaben, sich noch mal um die Familien zu kümmern, noch mal hinterherzulaufen, das können interdisziplinäre Teams gut machen, wo Schulsozialarbeit, wo Erzieherinnen und Erzieher vernetzt sind, die sich dann um die Problemlagen der Schülerinnen und Schüler kümmern.
Das sind aber Maßnahmen, die muss man angehen und die kosten Geld. Nur noch mal draufzuschauen und nur noch mal zu analysieren, dass es hier verschärfte Problemlagen gibt, das nützt dem Lehrer und der Schülerin, die in der Klasse zusammen weiterkommen wollen, nichts.
"Pleiten, Pech und Pannen"
Sterz: Bundesbildungsministerin Anja Kaliczek hat das das Ganze sogar Neuland für die Bildungsrepublik Deutschland genannt. Ist es das Ihrer Meinung nach oder was denken Sie, wenn Sie das hören?
Stumpp: Also da muss ich sagen, die Ministerin hat von der Praxis keine Ahnung. Diese Aussage, die würde ich dann schon in die Abteilung Pleiten, Pech und Pannen eingruppieren. Das ist kein Neuland, das ist Alltag, und ich habe über 25 Jahre lang unterrichtet an einer beruflichen Schule, das ist eine Problemlage, die wir alle, die aus der Praxis kommen, schon sehr lange kennen. Wenn das Neuland ist für die Ministerin, dann hat das die gleiche Qualität wie wenn Internet Neuland ist, und die gleiche Qualität der Breitbandversorgung an Milchkannen, dann kann ich das nur als weitere verbale Pleite bezeichnen. Das wäre dann doch gut, wenn sie sich mal in der Praxis kundig machen würde.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.