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Optik
Minimotor gegen den grauen Star

Wissenschaftler aus Karlsruhe forschen an einer künstlichen Linse, die Patienten mit grauem Star helfen soll. Dabei wird die verformbare Linse mit einer Art Minimotor kombiniert. Bis das komplexe System beim Menschen getestet wird, wird es allerdings noch einige Jahre dauern.

Von Christoph Kersting | 20.08.2014
    Das menschliche Auge ist ein hochkomplexes Gebilde: Damit wir zum Bespiel nah und fern scharf sehen können, muss das Zusammenspiel zwischen einem Minimuskel und der Linse im Auge funktionieren. Spannt sich der sogenannte Ziliarmuskel an, bewirkt dies eine Krümmung der Linse: Die Brechkraft erhöht sich, und das Auge sieht Objekte auch im Nahbereich scharf. Entspannt sich der Muskel wieder, flacht die Linse ab und wechselt dabei wieder in den "Fernsehmodus". Mit zunehmendem Alter jedoch versteift die Linse und verliert diese Fähigkeit zur Krümmung.
    Wer nicht sowieso schon eine Sehschwäche hat, greift jetzt zur Brille. Die nützt aber dann nichts mehr, wenn die Linse eintrübt: der sogenannte graue Star. Dann helfe nur noch eine Augen-OP, erklärt Ulrich Gengenbach vom Karlsruher Institut für Angewandte Informatik IAI:
    "In der Operation wird die Hornhaut geöffnet und wird die starre Linse entfernt und heutzutage durch eine starre Kunststofflinse ersetzt. Dann sieht man zwar wieder klar, aber nur noch in einer Objektentfernung, das heißt, man braucht danach eine Brille."
    Eine künstliche Linse, die die volle Sehkraft auch ohne Brille wieder herstellt -daran arbeiten die Karlsruher Forscher gemeinsam mit Medizinern der Uniklinik Rostock.
    "Wir wollen wieder eine veränderliche Linse herstellen, wie sie ursprünglich einmal war. Das ist eine künstliche Linse, die ins Auge implantiert werden soll, ähnlich wie die heutigen Graue-Star-Linsen, das sind starre Teile. Diese künstliche Linse ist ein Mikrosystem, das verstellbar ist und die Brechkraft-Änderung des Auges, die wir natürlicherweise haben, wieder herstellen soll."
    Diese verformbare künstliche Linse wird kombiniert mit einer Art Minimotor, bestehend aus einem Sensorsystem und einem sogenannten Aktor, der die Rolle des Ziliarmuskels im Auge übernimmt.
    "Das System besteht zunächst einmal aus einem Messsystem, mit dem bestimmt wird: Wohin schaut der Mensch? In welche Sehentfernung schaut der Mensch? Dann hat man ein Messsignal, man hat den Aktor, um die Brechkraft zu verstellen. Und man muss jetzt natürlich aus dem Messsignal die Aktorsteuerungsgröße ableiten, das heißt, man hat einen Mikrocontroller drin, einen kleinen Mikroprozessor, wie Sie ihn im Smartphone haben. Der wertet die Sensorsignale aus und berechnet die Regelgrößen für den Aktor. Man hat natürlich eine Batterie drin in dem System."
    Die soll bis zu 24 Stunden in Betrieb sein und wird drahtlos, nachts zum Beispiel, wieder aufgeladen. Und damit der Minimotor im Auge möglichst wenig Strom verbraucht, besteht der Aktor aus energiesparenden Piezokeramiken. Diese zur Gruppe der Smart Materials zählenden Werkstoffe arbeiten nach einem einfachen physikalischen Prinzip: Erhalten die in ihnen enthaltenen Piezokristalle einen elektrischen Impuls von außen, verändern sie ihre Form und geben diese Kraft an ihr Umfeld ab: Im Auge verändern sie so gezielt die Brechkraft der Linse.
    Das Wirkprinzip lasse sich durchaus mit einem Beispiel aus der Natur vergleichen, sagt Uwe Keitel von der Fraunhofer-Allianz Adaptronik:
    "Wenn man es mit einem Muskel vergleicht: Der Muskel bekommt ja auch einen Nervenimpuls, die Piezokeramik bekommt ein Spannungssignal und dehnt sich dann aus. Das ist erst mal gleich. Der Unterschied liegt im Weg, also der Muskel kann viel Weg machen, einen Zentimeter oder so. Der Piezo kann nur ganz minimale Bewegungen, unterhalb eines Millimeters."
    Im Maßstab 2:1 funktioniere die künstliche Linse mit Minimotor bereits in Laborversuchen, erklärt Informatiker Ulrich Gengenbach. Bis das System im menschlichen Auge getestet wird, würden allerdings noch einige Jahre ins Land gehen. Die künstliche adaptive Linse gegen den grauen Star soll dann einen Durchmesser von 9 Millimetern haben und 3,5 Millimeter dick sein.