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Optimale Handhabbarkeit als Inbegriff der Perfektion

Am 20. Mai feiert der deutsche Designpionier Dieter Rams seinen 80. Geburtstag. Ohne ihn würde es den iPod und so manches andere Apple-Produkt in dieser Form nicht geben. Dabei hat Rams nie für Apple gearbeitet.

Die Designexpertin Sophie Lovell im Corso-Gespräch mit Tanja Runow | 18.05.2012
    Und auch das ist schon eine Weile her. 1955 kam er zum Unternehmen, als ausgebildeter Innenarchitekt, stieg dann auf zum "Chefdesigner” - ein Posten, der damals erst erfunden wurde – und entwarf Hi-Fi-Anlagen, Rasierer und Tischfeuerzeuge, bis er 1995 in den Ruhestand ging.

    Was diesen Mann und seine Entwürfe so prägend gemacht hat, dass sich jemand wie Apples Gestaltungschef Jonathan Ive noch Jahrzehnte später überschwänglich bei ihm bedankt, das möchten wir jetzt besprechen mit der Designexpertin Sophie Lovell. Sie ist Redakteurin der Zeitschrift "Wallpaper”, lebt in Berlin und hat 2011 ein viel beachtetes Buch über Dieter Rams geschrieben (zu dem Jonathan Ive das Vorwort beigesteuert hat).

    Tanja Runow: Was ist es, das uns an Braun und Dieter Rams denken lässt, wenn wir zum Beispiel den iPod anschauen?
    Sophie Lovell: Der Punkt ist, glaube ich, dass man beim iPod und den Produkten von Braun einen ähnlichen Grad an Reduktion und Liebe zum Detail erkennen kann: was die abgerundeten Ecken betrifft, die Positionierung der Knöpfe, die Ausgewogenheit des Ganzen. Wobei ihnen natürlich komplett verschiedene Technologien zugrunde liegen. Aber wenn man es auf Schlichtheit anlegt, auf Reduktion aufs Wesentliche, dann kommt man wahrscheinlich zu ähnlichen Lösungen.

    Runow: Könnte man Dieter Rams nicht auch als einen Pionier dessen bezeichnen, was man heute "Usability" nennt? Er hat ja damals schon versucht, verschiedene Unterhaltungsmedien in einem einzigen System unterzubringen - wie heute das iPhone oder das iPpad.
    Lovell: Ich würde sagen, das kam nicht von Dieter Rams. Die Ideen für den neuen Look der Braun-Produkte stammen aus einem Vortrag von Wilhelm Wagenfeld, den er 1954 in Darmstadt gehalten hat. Der junge Erwin Braun hatte gerade mit seinem Bruder die Firma übernommen und war inspiriert davon. Erstmal schaute er an der Hochschule für Gestaltung in Ulm nach Leuten, die solche Ideen umsetzen konnten.
    Dann hat Braun schließlich ein eigenes Design Team aufgestellt, um die Pendelei zwischen Ulm und Frankfurt zu beenden.
    Auch die Vorstellung von Möbeln, die dem Nutzer dienen sollen und flexibel sind, kommt aus dieser Zeit. Das hat auch mit dem Lebensgefühl nach dem Krieg zu tun, mit Vorstellungen von Demokratie und Freiheit.
    Rams hat ja auch Möbel entworfen. Zum Beispiel beliebig erweiterbare Regalsysteme, die wiederum zu den Geräten passten. Sein berühmtes Regal 606 war zum Beispiel genau auf die Proportionen der Braun-Hi-Fi-Systeme abgestimmt. Alles war aufeinander abgestimmt.

    Runow: Wie sieht es mit der intuitiven Bedienbarkeit aus, die ja die frühen Braun Produkte auszeichnet. War das ein Ansatz den Braun und Rams erstmals eingeführt haben?

    Lovell: Die einfache Bedienbarkeit ist Teil der "Usability”, die Braun angestrebt hat. Uns kommen diese alten Geräte ja ein bisschen angestaubt vor: die Audio Systeme, der Weltempfänger. Aber zu ihrer Zeit waren sie technische Wunderwerke, wie heute das iPad. Das verbindet Braun und Apple. Aber ich muss sagen: Ich habe sie beide getroffen, Jonathan Ive und Dieter Rams, und mich ausgiebig mit beiden unterhalten. Und sie sind sich einfach sehr ähnlich. Abgesehen davon, dass sie unterschiedlichen Generationen angehören natürlich. Sie sind beide sehr schüchtern, etwas unbeholfen, absolute Perfektionisten, besessen vom Detail. Und es macht Sinn, dass sie beide ähnlich denken, dass Perfektion für sie bedeutet: optimale Handhabbarkeit.

    Runow: Jonathan Ive erwähnt Dieter Rams ja auch bei jeder Gelegenheit und hat sich schon vielfach bei ihm bedankt. Aber was hält Dieter Rams von dieser Adaption seiner Design-Ideen durch Apple, findet er das in Ordnung oder fühlt er sich beklaut?
    Lovell: Nein, überhaupt nicht. Die beiden haben großen Respekt füreinander. Sie haben sich auch schon ein paar Mal getroffen. Im vergangenen Jahr etwa, als Dieter Rams seine Ausstellung im MoMA in San Francisco eröffnet hat, da hat er Jonathan Ive und sein Team besucht. Und normalerweise schafft es niemand ins Apple Design Labor. Niemals! Es war eine große Ehre. Und soweit ich gehört habe, waren sie beide extrem nervös vorher: der eine aus Ehrfurcht vor dem großen Meister, der andere aus Ehrfurcht vor, naja, dem größten Designer unserer Zeit. Und dann haben sie sich fantastisch verstanden.
    Dieter Rams ist überhaupt nicht böse, nein. Er ist froh darüber, dass eine andere Firma die Ideen aufgegriffen hat, für die sie damals bei Braun so hart gekämpft haben. Es war einzigartig, was sie dort damals gemacht haben, und bis heute knüpft kaum jemand daran an. Stellen Sie sich vor, es gäbe mehr Unternehmen, die auf Geräte setzen, die langlebig und leicht zu bedienen sind. Die Welt wäre ein besserer Ort!

    Runow: Wir sprechen heute mit Ihnen über all diese Dinge, weil Dieter Rams in den letzten Jahren zunehmend aus der Öffentlichkeit verschwunden ist. Früher hat er öfter mal Interviews gegeben. Haben Sie eine Erklärung für diesen Rückzug?

    Lovell: Sie müssen bedenken, er ist ein alter Mann. Er war viele Jahre als "Design-Botschafter” für Braun und Vitsoe unterwegs. Ich glaube, er hat einfach keine Lust mehr, immer wieder dieselben Fragen zu beantworten. Und wer könnte es ihm verübeln? Ein Thema, über das er immer noch gerne spricht, ist Nachhaltigkeit, die ökologischen Aspekte von Design. Er hat ja schon in den 80er Jahren zum Beispiel den Vorschlag geäußert, die Hersteller sollten ihre Produkte nur noch verleihen. Wenn sie kaputt gingen oder technisch überholt wären, könnte man sie dann einfach zurückschicken. Es gab ein paar Leute damals, die solche Ideen hatten. Aber stellen Sie sich, vor Jonathan Ive käme heute mit so einem Vorschlag!


    Runow: Und wenn wir noch mal von Apple auf Braun schauen, auf die aktuelle Produktpalette, was sehen sie da?

    Lovell: Meine persönliche Meinung: Ich sehe eine riesige verpasste Chance. Ich verstehe wirklich nicht, warum Braun sein Erbe nicht anerkennt, warum man nicht stolz darauf ist. Es geht nicht darum, zu Rams zurückzukehren, sondern in diesem Sinne weiterzumachen: schöne, langlebige Produkte in guter Qualität. In den letzten Jahren sind sie von dem Weg definitiv abgekommen.
    Also, Braun! Macht endlich wieder diese großartigen Dinge! Ihr habt es doch im Blut. – Daran sollten sie sich wirklich erinnern.

    Runow: Wann begann denn der Niedergang? Mit dem Verkauf der Firma an Gillette?

    Lovell: Schwer zu sagen, es passierte unbemerkt. Ich bin mit einem Braun-Wecker aufgewachsen, einer Braun-Kaffee-Maschine, einem Föhn – ohne dass ich mir dessen bewusst war. Erst als ich anfing, für mein Buch zu recherchieren, merkte ich plötzlich: Hey, das hatte ich auch! Und so geht es doch vielen. Vielen Leuten sagt der Name Dieter Rams erstmal nichts, aber die Produkte kennen sie trotzdem.
    Ab wann es abwärtsging, kann ich nicht genau rekonstruieren. Aber es war vielleicht eine allgemeine Stimmung: der Wahnsinn der 80er Jahre, von dem wir uns gerade erholen, wie von einer großen Party, mit einem ordentlichen Kater. Jetzt schauen wir uns die Dinge aus dieser Zeit an und denken, oh nein! Wie konnte ich nur! Es ist ein bisschen, als ob man sich im Urlaub ein Hawaii-Hemd gekauft hat. Wieder zuhause wundert man sich dann über sich selbst.
    Aber die Leute stehen immer noch auf die schnelle Lösung. Vielleicht müssen wir noch ein bisschen erwachsener werden und lernen, unsere Konsumgelüste etwas zu zügeln.

    Runow: Warum haben die Braun-Brüder die Firma überhaupt verkauft?

    Lovell: Erwin Braun und sein Bruder hatten das Unternehmen zu verwalten, nachdem ihr Vater recht früh und unerwartet gestorben war. Ich glaube nicht, dass sie das eigentlich vorhatten. Erwin wollte ursprünglich Arzt werden. Das konnte er dann nicht mehr und kümmerte sich stattdessen um das Wohlergehen der Mitarbeiter. Er gründete ein firmeneigenes Gesundheitszentrum mit eigenen Ärzten, es gab Fitnessprogramme, eine Kantine mit gesundem Essen. Die Firma lief gut und er hatte irgendwann genug. Er verkaufte, ging in die Schweiz und gründete dort sein Institut für Präventivmedizin. Sein Bruder Arthur blieb etwas länger, er war stärker in die Produktentwicklung eingebunden. Die restlichen Mitarbeiter waren ziemlich schockiert, dass sie verkauft haben, wo es doch so gut lief. Die Details kenne ich nicht, aber vielleicht hat Gillette ihnen ein unwiderstehliches Angebot gemacht.

    Runow: Haben Sie ein Lieblings-Braun-Produkt?
    Lovell: Ja, meinen Wecker, den kleinen Reisewecker mit diesem sehr prägnanten Sound. Ich muss herausfinden, ob es eine App oder sowas gibt, mit der ich ihn auf mein iPhone bekommen kann. Wenn ich reise, nehme ich ja nur noch mein Telefon mit. Ich liebe den Wecker! Er ist das Letzte, das ich am Abend anschaue, und das Erste am Morgen, seit ich 17 bin, glaube ich. Warum auch wechseln.