Disentis empfängt seine Besucher im alpinen Winterkleid: Mit dicken Schneehauben bepackte Häuser, die Wände teils ganz aus dunklem Holz, teils mit dem typischen graubündner Kratzputz, dem "sgraffito", verziert. In den Straßen wenig Verkehr, keine eleganten hochpreisigen Boutiquen, keine Auffahrten von Fünf-Sterne-Deluxe-Hotels, kein Schaulaufen hochgestylter "Adabeis". So ruhig, unspektakulär zeigt sich der Ort im Tal der Surselva, unterhalb der Pässe von Oberalp und Lukmanier.
Einzig das mit 1300 Jahren älteste Benediktinerkloster der Schweiz hebt sich ab. Von seinem erhöhten Platz aus beherrscht das weitläufige dreistöckige helle Gebäude mit den beiden Kirchtürmen klar das Ortsbild. Die mitunter recht aristokratisch auftretenden Klosterherren waren im Volk nicht immer gerne gelitten. Dennoch war es einer von ihnen, der Ende des 18. Jahrhunderts die alpinistische und touristische Entwicklung von Disentis in Gang brachte, erzählt Abt Daniel Schönbächler:
"Einer der berühmtesten Alpinisten in diesem Gebiet, das war ein Pater, Pater Placidus Spescha. Der hat die meisten Erstbesteigungen gemacht, wo kein Bauer auf die Berge ging – die Bauern gehen doch nicht auf die Berge, dort oben gibt’s kein Heu. Damals hatte das Kloster Pfarreien und er war sehr viel auf Pfarreien. Und dann hat er am Morgen die Messe gelesen und dann ward er nicht mehr gesehen bis am Abend oder, ich weiß nicht. Also jedenfalls hat er das ausgenutzt."
Dabei galt auch damals für die Mitglieder des Benediktinerordens die Regel "Ora et labora", "Bete und arbeite", worunter man sich doch eher eine karge, weltabgewandte, in sich gekehrte Lebensweise vorstellen möchte.
"Ja, beim Pater Placius Spescha jedenfalls nicht. Seine in sich gekehrten Mitbrüder haben freilich nicht so ganz Freude gehabt an ihm. Aber er ist zum Mythos geworden, die anderen sind unbekannt."
Der Pater hatte um das Jahr 1800 sogar den Bau eines Berghotels auf dem nahen Tödi vorgeschlagen. Noch heute erinnert am Disentiser Dorfplatz ein Brunnen mit seiner Statue an ihn.
Auch Abt Schönbächler selbst ist der Anziehungskraft der Berge um Disentis erlegen. Eigentlich ist er ein schweizer Flachländler aus Winterthur, für den als Jugendlicher Berge nur Orte waren, "wo man schwitzen muss". Mit dem Eintritt in das Disentiser Kloster änderte sich das. Er entdeckte das Bergwandern, das Klettern, machte eine Ausbildung zum Skitourenleiter und ging mit den Schülern des Kloster-Internats Ski fahren:
"Als ich da in die Schule ging, gab’s natürlich noch keinen Skilift, nirgends. Und wir haben Skirennen gemacht, da drüben. Da mussten alle einfach unten anstehen und seitwärts rauf tappen mit den Skiern und so eine Piste stampfen. Und dann, einmal präparieren, rauf und dann runter."
Die Berge gefielen Abt Schönbächler so sehr, dass er nicht zögerte, als die Disentiser Bergwacht anbot, ihm das Gleitschirmfliegen beizubringen.
"Wobei ich eher ein Angsthase bin. Aber der Mensch ist so: Wenn er etwas nicht kann, dann arbeitet er dran, bis er’s kann oder eben nicht. Aber das ist eine schöpferische Qualität, die Schwächen, die man hat, überwinden zu wollen. Bin auch nur zweimal mit Funk geflogen, der dritte war schon ohne Funk. Das war da unten schön, die Rhätische Bahn, die ist dann so wie eine Märklin Bahn. Das war ein ganz schönes Gefühl, nicht eben plötzlich ein Schreck: 1000 Meter Luft unter mir. Da unten ist swiss miniature."
So Natur zu erleben, sagt der Abt, das heißt zum einen, in der Schöpfung etwas von den Spuren Gottes zu erkennen. Zum anderen heißt es, mit sich selbst - durchaus auch meditativ - unterwegs zu sein. Überdies, betont er, ist der Berg ein uraltes Gottessymbol, in der Bibel geschehen die entscheidenden Dinge immer auf dem Berg.
Das ist das Stichwort für den nächsten Tag. Da hat Paul Berther, Einheimischer aus dem Nachbarort Sedrun, zu seiner Lieblings-Skitour eingeladen, von der Schlucht des ganz jungen Rheins unterhalb Sedruns hinauf auf den Tgom und weiter zum Piz Máler. Als Jugendlicher hat er sie kennengelernt, erzählt er mit kernigem rätoromanischen Akzent:
"Die jetzige Máler-Tour ist eine erstklassige, attraktive Tour. Da war ich schon mit 17 Jahren das erste Mal und heute bin ich 71 und laufe noch immer hinauf, immer mit großer Freude und Motivation. Also es ist die größte Erholung, einsam und ruhig. Da kann man wirklich träumen. Die ganze Tour kann man genießen von A bis Z. Traumhaft, traumhaft halt."
Schon vom Startpunkt auf etwa 1400 Metern entfaltet die Landschaft ihren winterlichen Reiz. Im Sommer lassen die Berghänge mit ihrer Vielfalt an Farben, Pflanzen und Formen das Auge nicht ruhen. Jetzt hat sich über dieses "Durcheinander" eine meterhohe, sanft gewellte Schneedecke gebreitet. Harmonisch lässt sie den Blick darüber gleiten, und als die Sonne die Schneekristalle zum Schimmern und Funkeln bringt, da lässt sich dankbare Freude spüren.
Berther erzählt, wie er, zweitjüngster unter acht Geschwistern, in den schulfreien Sommerwochen Geißen hütete, oben bei den Gletschern:
"Als Geißhirt, das war mein Spielplatz. Ich war da tageweise ganz allein bei den Gletscherspalten, konnte Steine hinein werfen, konnte unten in den Gletscher hinein steigen und wieder heraus, bis es ganz dunkel war. Und ja, manchmal rutschte ich aus und hinab bis in den Schutthang hinein. Das kam öfter vor, aber mehr als ein paar Kratzer hat das nicht gegeben. Für mich war das selbstverständlich, das war ein Platz wie im Dorf."
Viel gelernt hat er dabei, auch wenn er den flinken Tieren unzählige Male über Hang und Fels nacheilen musste, um sie zur Herde zurückzuholen.
Nach einer guten halben Stunde weist Berther rund 150 Höhenmeter unter uns auf den Weiler Surrein, dessen mehr als 100 Jahre alten dunklen Holzhäuser sich unter dem Schnee zu ducken scheinen. Den schönsten Platz, am Rand der Rheinschlucht, haben die tiefgläubigen Bergbauern, wie an allen anderen Orten und Weilern im Tal auch, der reinweiß gestrichenen Kapelle gegeben. Freilich auch in der Hoffnung, Gottessegen und -schutz zu erlangen:
"Die waren ziemlich abgelegen im Winter, abgeschlossen, weil es hatte nicht die neue Brücke da und die neue Straße. Die kam erst später, viel später. Die mussten über die ganze Schlucht hinab, bis zum tiefsten Punkt, und auf der anderen Seite hinauf wieder. Eine gefährliche Sache, vielmals wegen Lawinen noch und wegen Sturm. Die waren abgehärtet."
Nach nicht ganz zwei Stunden queren wir unter schlanken, hoch aufragenden Fichten die Nordseite des Bergs entlang. Bis 50 Grad fällt sie ab, und um den weichen Schnee nicht zu sehr zu belasten und eine Lawine auszulösen, halten wir rund 50 Meter Abstand voneinander. Bald schlüpfen wir unter tiefer hängenden Fichtenzweigen durch, wobei uns etwas Schnee in den Nacken rieselt, bald öffnet sich unversehens zwischen schneebeladenen Tannen ein Bilderrahmen-Blick auf die Dreitausender der Talseite gegenüber. Manchmal löst der Wind Schnee aus hohem Geäst, der beim Fallen in eine federleichte Wolke zerstäubt und unwirklich auf uns herab schwebt. Nach rund drei Stunden stehen wir auf dem freien Bergrücken des Tgom, und Berther zeigt auf den Anstieg Richtung Piz Máler vor uns. Nein, schüttelt er den Kopf, nach knapp der Hälfte der Tour, rund 650 Höhenmetern, müssen wir umkehren:
"Leider, leider hat’s zumTeil Lawinengefahr. Bis zum Gipfel ist es unmöglich. Es geht schon ziemlich steil rauf und das Strengste kommt erst jetzt."
Wer macht schon gerne auf halber Strecke kehrt? Doch verschwitzt, wie wir sind, ist es wiederum nicht allzu schlimm, zumal wir uns an die vielversprechende Abfahrt im knietiefen, weichen Pulverschnee machen. Eine halbe Stunde später sind wir begeistert zurück im Tal:
"Ja - war traumhaft. Der beste Schnee, den man sich vorstellen kann. Ich habe genossen von oben bis unten."
"So jetzt machen wir hier den Kontrolltest vom Lawinen-Verschütteten-Suchgerät. Ja, das sieht gut aus."
Am nächsten Tag prüft der Disentiser Skiguide Paul Degonda das technische Equipment für eine Skitour Richtung des 3.300 Meter hohen Oberalpstocks. Dank mehrerer Lifte kann er mit seiner Gruppe bequem auf 2.800 Metern unterhalb des Piz Ault starten. Von da aus wäre der Gipfel in rund drei Stunden erreichbar – herrschte nicht wieder Lawinengefahr. Paul will wenigstens den technischen Teil der Tour machen, und der kommt schon nach etwa 30 Minuten, am Ende der Querung eines steilen Hangs.
Dort werden die Skier auf den Rucksack geschnallt und die Gruppe steigt über Stahlklammern knapp 15 Meter auf eine Scharte hinauf. Dahinter geht es, wieder auf Skiern, im steilen Gelände hinunter zum Brunni-Gletscher. Stefan und Norbert aus dem Ruhrgebiet sind beeindruckt:
"Ein wunderbares, spannendes Erlebnis, über diesen ganz schmalen Grat dorthin zu fahren und dann halt die Leiter hoch. Das hat schon was Hochalpines und mit den Skiern drauf... Und mal rutscht man mit dem Skischuh auch ab, das kann schon gefährlich werden."
"Ist schon eine Herausforderung, ja, man ist schon durch das Hochlaufen ein bisschen zitterig, wenn man nicht richtig im Saft steht, und dann noch die Leiter... Ist schon sehr anspruchsvoll, find’ ich."
Über den Brunni-Gletscher ginge es nun kletterfrei bis zum Gipfel weiter, doch der Skiguide entschädigt mit einer herrlichen Abfahrt in unverspurtem Tiefschnee durch das Val Strem. Und weil Disentis besonders günstige Bedingungen bietet, führt Paul außerdem auf weitere Hänge in Val Acletta und Val Pintga:
"Wir haben sehr viel Vertikalmeter und sehr direkt immer die Bahnen hoch. Also es ist ein Strang: Die Gondel, die Sessellifte. Es geht relativ zügig wieder hoch, und man kommt sehr schnell eigentlich immer zur Bahn zurück."
Daher lassen sich an einem Tag bis zu 10.000 Höhenmeter abschwingen, und Stefan aus München schwärmt:
"Jeder zieht nach drei Stunden seine eigene Spur im Pulver. Besser geht’s nicht."
Einzig das mit 1300 Jahren älteste Benediktinerkloster der Schweiz hebt sich ab. Von seinem erhöhten Platz aus beherrscht das weitläufige dreistöckige helle Gebäude mit den beiden Kirchtürmen klar das Ortsbild. Die mitunter recht aristokratisch auftretenden Klosterherren waren im Volk nicht immer gerne gelitten. Dennoch war es einer von ihnen, der Ende des 18. Jahrhunderts die alpinistische und touristische Entwicklung von Disentis in Gang brachte, erzählt Abt Daniel Schönbächler:
"Einer der berühmtesten Alpinisten in diesem Gebiet, das war ein Pater, Pater Placidus Spescha. Der hat die meisten Erstbesteigungen gemacht, wo kein Bauer auf die Berge ging – die Bauern gehen doch nicht auf die Berge, dort oben gibt’s kein Heu. Damals hatte das Kloster Pfarreien und er war sehr viel auf Pfarreien. Und dann hat er am Morgen die Messe gelesen und dann ward er nicht mehr gesehen bis am Abend oder, ich weiß nicht. Also jedenfalls hat er das ausgenutzt."
Dabei galt auch damals für die Mitglieder des Benediktinerordens die Regel "Ora et labora", "Bete und arbeite", worunter man sich doch eher eine karge, weltabgewandte, in sich gekehrte Lebensweise vorstellen möchte.
"Ja, beim Pater Placius Spescha jedenfalls nicht. Seine in sich gekehrten Mitbrüder haben freilich nicht so ganz Freude gehabt an ihm. Aber er ist zum Mythos geworden, die anderen sind unbekannt."
Der Pater hatte um das Jahr 1800 sogar den Bau eines Berghotels auf dem nahen Tödi vorgeschlagen. Noch heute erinnert am Disentiser Dorfplatz ein Brunnen mit seiner Statue an ihn.
Auch Abt Schönbächler selbst ist der Anziehungskraft der Berge um Disentis erlegen. Eigentlich ist er ein schweizer Flachländler aus Winterthur, für den als Jugendlicher Berge nur Orte waren, "wo man schwitzen muss". Mit dem Eintritt in das Disentiser Kloster änderte sich das. Er entdeckte das Bergwandern, das Klettern, machte eine Ausbildung zum Skitourenleiter und ging mit den Schülern des Kloster-Internats Ski fahren:
"Als ich da in die Schule ging, gab’s natürlich noch keinen Skilift, nirgends. Und wir haben Skirennen gemacht, da drüben. Da mussten alle einfach unten anstehen und seitwärts rauf tappen mit den Skiern und so eine Piste stampfen. Und dann, einmal präparieren, rauf und dann runter."
Die Berge gefielen Abt Schönbächler so sehr, dass er nicht zögerte, als die Disentiser Bergwacht anbot, ihm das Gleitschirmfliegen beizubringen.
"Wobei ich eher ein Angsthase bin. Aber der Mensch ist so: Wenn er etwas nicht kann, dann arbeitet er dran, bis er’s kann oder eben nicht. Aber das ist eine schöpferische Qualität, die Schwächen, die man hat, überwinden zu wollen. Bin auch nur zweimal mit Funk geflogen, der dritte war schon ohne Funk. Das war da unten schön, die Rhätische Bahn, die ist dann so wie eine Märklin Bahn. Das war ein ganz schönes Gefühl, nicht eben plötzlich ein Schreck: 1000 Meter Luft unter mir. Da unten ist swiss miniature."
So Natur zu erleben, sagt der Abt, das heißt zum einen, in der Schöpfung etwas von den Spuren Gottes zu erkennen. Zum anderen heißt es, mit sich selbst - durchaus auch meditativ - unterwegs zu sein. Überdies, betont er, ist der Berg ein uraltes Gottessymbol, in der Bibel geschehen die entscheidenden Dinge immer auf dem Berg.
Das ist das Stichwort für den nächsten Tag. Da hat Paul Berther, Einheimischer aus dem Nachbarort Sedrun, zu seiner Lieblings-Skitour eingeladen, von der Schlucht des ganz jungen Rheins unterhalb Sedruns hinauf auf den Tgom und weiter zum Piz Máler. Als Jugendlicher hat er sie kennengelernt, erzählt er mit kernigem rätoromanischen Akzent:
"Die jetzige Máler-Tour ist eine erstklassige, attraktive Tour. Da war ich schon mit 17 Jahren das erste Mal und heute bin ich 71 und laufe noch immer hinauf, immer mit großer Freude und Motivation. Also es ist die größte Erholung, einsam und ruhig. Da kann man wirklich träumen. Die ganze Tour kann man genießen von A bis Z. Traumhaft, traumhaft halt."
Schon vom Startpunkt auf etwa 1400 Metern entfaltet die Landschaft ihren winterlichen Reiz. Im Sommer lassen die Berghänge mit ihrer Vielfalt an Farben, Pflanzen und Formen das Auge nicht ruhen. Jetzt hat sich über dieses "Durcheinander" eine meterhohe, sanft gewellte Schneedecke gebreitet. Harmonisch lässt sie den Blick darüber gleiten, und als die Sonne die Schneekristalle zum Schimmern und Funkeln bringt, da lässt sich dankbare Freude spüren.
Berther erzählt, wie er, zweitjüngster unter acht Geschwistern, in den schulfreien Sommerwochen Geißen hütete, oben bei den Gletschern:
"Als Geißhirt, das war mein Spielplatz. Ich war da tageweise ganz allein bei den Gletscherspalten, konnte Steine hinein werfen, konnte unten in den Gletscher hinein steigen und wieder heraus, bis es ganz dunkel war. Und ja, manchmal rutschte ich aus und hinab bis in den Schutthang hinein. Das kam öfter vor, aber mehr als ein paar Kratzer hat das nicht gegeben. Für mich war das selbstverständlich, das war ein Platz wie im Dorf."
Viel gelernt hat er dabei, auch wenn er den flinken Tieren unzählige Male über Hang und Fels nacheilen musste, um sie zur Herde zurückzuholen.
Nach einer guten halben Stunde weist Berther rund 150 Höhenmeter unter uns auf den Weiler Surrein, dessen mehr als 100 Jahre alten dunklen Holzhäuser sich unter dem Schnee zu ducken scheinen. Den schönsten Platz, am Rand der Rheinschlucht, haben die tiefgläubigen Bergbauern, wie an allen anderen Orten und Weilern im Tal auch, der reinweiß gestrichenen Kapelle gegeben. Freilich auch in der Hoffnung, Gottessegen und -schutz zu erlangen:
"Die waren ziemlich abgelegen im Winter, abgeschlossen, weil es hatte nicht die neue Brücke da und die neue Straße. Die kam erst später, viel später. Die mussten über die ganze Schlucht hinab, bis zum tiefsten Punkt, und auf der anderen Seite hinauf wieder. Eine gefährliche Sache, vielmals wegen Lawinen noch und wegen Sturm. Die waren abgehärtet."
Nach nicht ganz zwei Stunden queren wir unter schlanken, hoch aufragenden Fichten die Nordseite des Bergs entlang. Bis 50 Grad fällt sie ab, und um den weichen Schnee nicht zu sehr zu belasten und eine Lawine auszulösen, halten wir rund 50 Meter Abstand voneinander. Bald schlüpfen wir unter tiefer hängenden Fichtenzweigen durch, wobei uns etwas Schnee in den Nacken rieselt, bald öffnet sich unversehens zwischen schneebeladenen Tannen ein Bilderrahmen-Blick auf die Dreitausender der Talseite gegenüber. Manchmal löst der Wind Schnee aus hohem Geäst, der beim Fallen in eine federleichte Wolke zerstäubt und unwirklich auf uns herab schwebt. Nach rund drei Stunden stehen wir auf dem freien Bergrücken des Tgom, und Berther zeigt auf den Anstieg Richtung Piz Máler vor uns. Nein, schüttelt er den Kopf, nach knapp der Hälfte der Tour, rund 650 Höhenmetern, müssen wir umkehren:
"Leider, leider hat’s zumTeil Lawinengefahr. Bis zum Gipfel ist es unmöglich. Es geht schon ziemlich steil rauf und das Strengste kommt erst jetzt."
Wer macht schon gerne auf halber Strecke kehrt? Doch verschwitzt, wie wir sind, ist es wiederum nicht allzu schlimm, zumal wir uns an die vielversprechende Abfahrt im knietiefen, weichen Pulverschnee machen. Eine halbe Stunde später sind wir begeistert zurück im Tal:
"Ja - war traumhaft. Der beste Schnee, den man sich vorstellen kann. Ich habe genossen von oben bis unten."
"So jetzt machen wir hier den Kontrolltest vom Lawinen-Verschütteten-Suchgerät. Ja, das sieht gut aus."
Am nächsten Tag prüft der Disentiser Skiguide Paul Degonda das technische Equipment für eine Skitour Richtung des 3.300 Meter hohen Oberalpstocks. Dank mehrerer Lifte kann er mit seiner Gruppe bequem auf 2.800 Metern unterhalb des Piz Ault starten. Von da aus wäre der Gipfel in rund drei Stunden erreichbar – herrschte nicht wieder Lawinengefahr. Paul will wenigstens den technischen Teil der Tour machen, und der kommt schon nach etwa 30 Minuten, am Ende der Querung eines steilen Hangs.
Dort werden die Skier auf den Rucksack geschnallt und die Gruppe steigt über Stahlklammern knapp 15 Meter auf eine Scharte hinauf. Dahinter geht es, wieder auf Skiern, im steilen Gelände hinunter zum Brunni-Gletscher. Stefan und Norbert aus dem Ruhrgebiet sind beeindruckt:
"Ein wunderbares, spannendes Erlebnis, über diesen ganz schmalen Grat dorthin zu fahren und dann halt die Leiter hoch. Das hat schon was Hochalpines und mit den Skiern drauf... Und mal rutscht man mit dem Skischuh auch ab, das kann schon gefährlich werden."
"Ist schon eine Herausforderung, ja, man ist schon durch das Hochlaufen ein bisschen zitterig, wenn man nicht richtig im Saft steht, und dann noch die Leiter... Ist schon sehr anspruchsvoll, find’ ich."
Über den Brunni-Gletscher ginge es nun kletterfrei bis zum Gipfel weiter, doch der Skiguide entschädigt mit einer herrlichen Abfahrt in unverspurtem Tiefschnee durch das Val Strem. Und weil Disentis besonders günstige Bedingungen bietet, führt Paul außerdem auf weitere Hänge in Val Acletta und Val Pintga:
"Wir haben sehr viel Vertikalmeter und sehr direkt immer die Bahnen hoch. Also es ist ein Strang: Die Gondel, die Sessellifte. Es geht relativ zügig wieder hoch, und man kommt sehr schnell eigentlich immer zur Bahn zurück."
Daher lassen sich an einem Tag bis zu 10.000 Höhenmeter abschwingen, und Stefan aus München schwärmt:
"Jeder zieht nach drei Stunden seine eigene Spur im Pulver. Besser geht’s nicht."