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Oratorium für die Heilige Dreifaltigkeit

Im Mittelpunkt steht heute Alessandro Scarlattis zweiteiliges "Oratorio per la Santissima Trinità" in einer bei Virgin Classics erschienenen Aufnahme mit dem Ensemble "Europa Galante" unter der Leitung von Fabio Biondi.

Von Christiane Lehnigk |
  • Musikbeispiel: Alessandro Scarlatti - Prima Parte: Sinfonia aus: Oratorio per la Santissima Trinità

    Mit dieser Sinfonia im "Concerto-grosso-Stil" beginnt Alessandro Scarlattis Oratorium für die Heilige Dreifaltigkeit. Nichts weist darauf hin, dass es sich im Inhalt des Werkes um einen trockenen, eher verworrenen theologischen Disput handelt und nicht um eine dramatische Vorlage aus dem Alten Testament oder eine Paraphrase aus dem Neuen Testament.

    Diese Gattung, die formal eher an die musikalischen Allegorien des 17. Jahrhunderts erinnert, war auch schon zu Scarlattis Zeiten aus der Mode gekommen. Im Mittelpunkt steht hier die Diskussion um das katholische Dogma der Dreifaltigkeit, die teilweise sehr heftig geführt wird.

    Da steht der Unglaube, "Infedeltà" auf der einen Seite, der Glaube - "Fede", die Gottesliebe - "Amor divino" und die Zeit - "Tempo" auf der anderen Seite und es gesellt sich auch noch die Theologie - "Teologia" hinzu. Zwar widersteht der Unglaube bis zur letzten Minute, doch schließlich siegt natürlich der Glaube, aber zurück bleibt dennoch die Frage:
    "Ist es möglich, das Mysterium der Dreifaltigkeit einem Menschen zu erklären, der nicht daran glaubt?"

    Das Duett zwischen Glaube und Theologie gleich zu Beginn zeigt, wie opernhaft-dramatisch Scarlatti diesen Gelehrtendisput umsetzt. Der Glaube wird gesungen von Roberta Invernizzi, Sopran, die Theologie von Vivica Genaux, Mezzosopran.

    Glaube:
    Nein, es ist nicht möglich
    ein zu hohes Geheimnis
    maßt du dir an zu verstehen;
    das Meer ohne Wellen
    kann man nicht sehen.


    Theologie:
    Doch, ich erhoffe es durch dich,
    einen so stolzen Geist
    gibt mir dein Licht,
    und am Meeresufer
    kann ich verstehen.


  • Musikbeispiel: Alessandro Scarlatti - Prima Parte: Duetto Fede/Teologia "No, possibil non è Fede" aus: "Oratorio per la Santissima Trinità"

    "Die Musik dieser wieder entdeckten Partitur", so Fabio Biondi, "zeugt von der Fähigkeit dieses Komponisten, aus einem Text von so geringem dramatischen Potential ein breites Panorama menschlicher Empfindungen zu entwickeln, wofür ihm ein hoher Rang innerhalb der barocken, italienischen Vokalmusik gebührt".

    Im gesamten "Oratorio per la Santissima Trinità" hat sich Alessandro Scarlatti um "Anmut" bemüht. Die Originalbesetzung umfasst das gesamte Spektrum der gängigen Stimmlagen : Sopran, Mezzo, Alt, Tenor und Bass. Es gibt vier Duette und ein finales Quintett, viele Arien stehen in Dur-Tonarten und haben schnelle Tempi, Siciliano- und Tarantella-Rhythmen sind ebenso zu finden wie ostinate Basslinien, ausgedehnte Chromatik und eine Vielzahl von Streicher-Soli.

    Dieses Oratorium gehört zu den letzten, die Scarlatti geschrieben hat, und wurde im Mai 1715 wahrscheinlich in Neapel uraufgeführt. Der gebürtige Sizilianer, der ein überaus umfangreiches Werk hinterließ - mit unter anderem 66 Opern, rund 40 Oratorien und 700 Solo-Kantaten - galt zu seiner Zeit vor allem als der führende Vertreter der neapolitanischen Opernschule. Und auch in diesem allegorischen Werk, dessen anonymes Libretto nur in einer "zensierten" Abschrift existiert, legt er seinen Schwerpunkt vor allem auf den "bel canto". Dabei ist der Gegenstand der Erörterung - das unergründliche Mysterium der Heiligen Dreifaltigkeit - kaum geeignet, leidenschaftliche Gefühle hervorzurufen. Der Text gehört wohl eher zu den pädagogischen Bestrebungen Roms und der Jesuiten, die gelehrtesten Inhalte in möglichst ansprechender, gefälliger Form zu vermitteln. Zwischen die beiden Teile konnte denn auch eine Predigt oder eine lateinische "Lektion" eingeschoben werden.

    Während die ersten drei Arien noch stark lehrhaften Charakter besitzen und sich darauf beschränken, die Hauptgedanken des Textes auszumalen, tritt mit der vierten Arie, einer Berceuse, das Gefühl an die Stelle der Belehrung.

    "Constante prestar fede":
    Das ständige Glauben eines Herzens
    an das, was man nicht sieht,
    ist Treue.
    Wer sich rühmt, nur das zu glauben,
    was man im Nu begreift,
    hat nicht das Verdienst des Glaubens.


  • Musikbeispiel: Alessandro Scarlatti - Prima Parte: "Costante prestar fede" aus: "Oratorio per la Santissima Trinità"

    Fabio Biondi hat für die Einspielung des "Oratorio per la Santissima Trinità" ein exquisites Solistenensemble zusammengestellt, versierte Spezialisten Alter Musik, die es vermögen, bei Biondis Tempo mitzuhalten und dem ganzen Werk Leichtigkeit und Dramatik zugleich zu verleihen. Da sind außer Roberta Invernizzi als Fede: Véronique Gens, Sopran - Amor divino, Vivica Genaux, Mezzosopran - Teologia, Paul Agnew, Tenor - Infedeltà und Roberto Abbondanza, Bass - Tempo.

    Das vielfach ausgezeichnete Ensemble "Europa Galante", das seit nunmehr 15 Jahren besteht, spielt hier in einer Besetzung von 20 Mitgliedern und erweist sich einmal mehr als eines der weltbesten Barockensembles.

    Hier das Duett von Fede und Amor divino zum Abschluss des 1. Teils und das Duett Fede und Infedeltà zu Beginn des 2. Teils. Der Glaube beneidet die Göttliche Liebe, die "immer selig" ist und der Unglaube bedroht den Glauben, da er doch "den Triumph gewöhnt sei".

  • Musikbeispiel: Alessandro Scarlatti - aus: "Oratorio per la Santissima Trinità"

    Das Wortgefecht zwischen dem Glauben, der Göttlichen Liebe, der Theologie, der Zeit und dem Unglauben auf der Gegenseite geht weiter und gewinnt immer mehr an Tempo, bis es zu einem regelrechten Gezänk ausartet. Der Unglaube bäumt sich noch einmal in einer regelrechten Wutarie auf: "Tutte le furie", "Alle Furien / die der Hades umschließt / werde ich gegen den Glauben / in Bewegung setzen./"

  • Musikbeispiel: Alessandro Scarlatti - Seconda Parte: Aria Infedeltà "Tutte le furie" aus: "Oratorio per la Santissima Trinità"

    Der Unglaube versucht sich bis zuletzt gegen den Glauben, die Zeit, die Theologie und die Göttliche Liebe durchzusetzen, aber vergeblich, schließlich erklärt er sich als "besiegt" und "verabscheut seinen Irrtum".

    Nun, wo der Glaube triumphiert
    soll die ganze Welt
    in drei Personen einen Gott anbeten.


    Dieses Finale des Oratoriums ist kein Quintett im eigentlichen Sinne des lieto fine sondern eher eine Art "Schlachtenmusik" im stile concitato mit einem verblüffenden Schluss, der den Triumph zugleich in Frage zu stellen scheint.

  • Musikbeispiel: Alessandro Scarlatti - aus: "Oratorio per la Santissima Trinità"

    Wir stellten Ihnen heute das "Oratorio per la Santissima Trinità" von Alessandro Scarlatti vor, eine bei Virgin Classics erschienene Neueinspielung mit dem Ensemble Europa Galante unter der Leitung des Geigers Fabio Biondi.

    Hier noch einmal die Gesangssolisten: Roberta Invernizzi und Véronique Gens, Sopran, Vivica Genaux, Mezzosopran, Paul Agnew, Tenor und Roberto Abbondanza, Bass.

    Titel: Alessandro Scarlatti - "Oratorio per la Santissima Trinità"
    div. Solisten
    Ensemble: Europa Galante
    Leitung: Fabio Biondi
    Label: Virgin Veritas EMI/Virgin
    Labelcode: LC 03098
    Bestell-Nr.: 7243 5 45666 2 2