
Musik: Ravel, Shéhérazade, Anfang
"Fort möchte ich segeln mit dem Schiff, das sich heute Abend im Hafen wiegt, geheimnisvoll und einsam, und das endlich seine violetten Segel setzt wie ein riesiger Nachtvogel am goldenen Himmel." Mit einer farbprächtigen und bilderreichen Sprache beschwört der Schriftsteller Tristan Klingsor die magische Anziehungskraft des Orients, in seiner Gedichtsammlung mit dem Titel "Shéhérazade". Diese Sammlung hat den mit Klingsor befreundeten Komponisten Maurice Ravel begeistert und zu einem Meisterwerk inspiriert. 1903 vertonte Ravel drei der Gedichte von Tristan Klingsor in einem Zyklus für Sopran und Orchester und tauchte die Texte in einen exotischen Klangzauber. Den entfacht die Sopranistin Christiane Karg in ihrer neuen Aufnahme gemeinsam mit den Bamberger Symphonikern unter Leitung von David Afkham.
Musik: Ravel, Shéhérazade
Maurice Ravel hat sich die Shéhérazade-Gedichte von Tristan Klingsor immer wieder laut vorlesen lassen, um deren Melodien und Rhythmen förmlich aufzusaugen. Dieser sensible und ausgesprochen sinnliche Zugang zum Text prägt auch die Interpretationen von Christiane Karg. Die deutsche Sopranistin artikuliert nicht bloß exzellent, sie genießt die besonderen Resonanzen der französischen Sprache und kostet sie als vokale Gaumenfreuden aus.
Karg belebt die Erzählung der Shéhérazade mit feinen Nuancen im Klang, wenn sie etwa manche Töne haucht und geheimnisvoll flüstert oder gelegentlich einzelne Bilder durch stimmliche Farbtupfer hervorhebt. Als die Shéhérazade etwa von dickbäuchigen Mandarinen unter Sonnenschirmen fabuliert, deutet die Sopranistin eine Art chinesischen Tonfall an– aber nur sehr dezent und ganz kurz, passend zum fernöstlichen Kolorit des Orchesters.
Musik: Ravel, Shéhérazade
Wie ein musikalisches Chamäleon nimmt Christiane Karg mit ihrem Timbre die Farben der Umgebung an. Gemeinsam mit den Bamberger Symphonikern unter Leitung von David Afkham erkundet sie auf der neuen CD eine reizvolle und ganz eigene Klangwelt. Ravels Shéhérazade ist der Auftakt zu einem Programm mit französischen beziehungsweise französisch inspirierten Orchesterliedern, von Henri Duparc, Charles Koechlin, Benjamin Britten und Claude Debussy.
Der Titel des Albums, "Parfum", ist mehr als ein griffiges Schlagwort. Er trifft den Charakter der Musik, die tatsächlich oft einen besonderen Duft verströmt. Das gilt auch für die frühen Beaudelaire-Lieder von Claude Debussy, die der amerikanische Komponist John Adams für Sopran und Orchester arrangiert hat. David Afkham und die Bamberger Symphoniker kosten den satten Farbreichtum der Partitur aus, wahren aber trotz der üppigen Besetzung eine kammermusikalische Transparenz und ihre Wachsamkeit für die vielen kleinen Tempowechsel.
Musik: Debussy, La balcon
In den Beaudelaire-Liedern schimmert noch die Verehrung des jungen Debussy für Richard Wagner durch. Die erotischen Untertöne der Musik und der Texte sind in der Aufnahme mit Christiane Karg und den Bamberger Symphonikern fast mit Händen zu greifen – weil Sopran und Orchester sich so dicht aneinander schmiegen und die Klänge bisweilen so lustvoll miteinander verschmelzen, dass man eine geradezu körperliche Nähe zu spüren meint. Wie im vierten und letzten der Beaudelaire-Lieder, mit dem Titel "Recueillement".
Musik: Debussy, Recueillement
Auch in solchen schwelgerischen Momenten behält David Afkham die Balance mit der Sängerin im Blick. Christiane Karg nutzt den Freiraum, den ihr der Dirigent und das Orchester bieten, um ihren außergewöhnlichen Reichtum an klanglichen und dynamischen Facetten auszuschöpfen. Sie führt ihre Stimme geschmeidig und bruchlos durch alle Register, sie dosiert das Vibrato sparsam, um es dann mit dem Orchester aufblühen zu lassen und singt dabei immer sauber und kultiviert.
Das Timbre von Christiane Karg verströmt jetzt, mit Mitte 30, noch mehr Wärme und Leuchtkraft als früher. Und ihr Sinn für Details ist noch organischer in den großen Bogen integriert. Auf der CD findet sie eine ideale Mischung aus natürlichem Sprachfluss und sängerischem Legato. Beispielhaft zu erleben in dem Lied "Épiphanie" aus den Trois Mélodies von Charles Koechlin.
Musik: Koechlin, Epiphanie
Charles Koechlins "Épiphanie" gehört zu den größten Entdeckungen der CD – in einem Programm mit dem Titel "Parfum", das sich gut 70 Minuten lang zum französischen Ton bekennt. Mit ihrer Repertoireauswahl setzt Christiane Karg auf fließende Formen und weiche Konturen, sie verzichtet auf Brüche und schroffe Kontraste. Dieses durchaus mutige Konzept geht auf, wenn man sich ganz auf die Welt der Pastellfarben, der Andeutungen und flüchtigen Gesten einlässt und keine Konflikte oder dramatischen Zuspitzungen erwartet. Dann wird jede Farbschattierung plötzlich zu einer kleinen Sensation – auch in den "Quatre chansons françaises" von Benjamin Britten, in denen der damals 14-jährige britische Komponist Texte von Victor Hugo und Paul Verlaine vertonte und unüberhörbar auf den Spuren von Ravel und Debussy wandelte. Im zweiten Stück "Sagesse" formt David Afkham mit Streichern und Harfe einen idyllischen Pianissimo-Klang, als Abbild eines stillen blauen Himmels, bevor die Oboe als Vogelstimme hinzu tritt und ein trauriges Lied anstimmt.
Musik: Britten, Sagesse
Benjamin Brittens "Quatre chansons" sind 1927 entstanden und damit die jüngsten Stücke der CD. Die ältesten stammen von Henri Duparc – ein hierzulande kaum bekannter Komponist der französischen Spätromantik.
Drei seiner Lieder präsentiert Christiane Karg zum Abschluss ihres Programms. Im ersten, "L'invitation au voyage", vertont Duparc ein Gedicht von Charles Baudelaire, das die Vision einer Reise in ferne Länder mit der Sehnsucht nach dem Tod verknüpft. Ein zutiefst romantisches Motiv. Henri Duparc kleidet diesen Text in eine dunkel schmachtende Tonsprache, sie vereint Einflüsse von Richard Wagner mit französischem Klangsinn und fesselt den Hörer mit einer eigentümlich morbiden Stimmung.
Musik: Duparc, L'Invitation au voyage
Ein Ausschnitt aus "L'Invitation au voyage", "Die Einladung zur Reise" von Henri Duparc. Drei Lieder von Duparc beschließen die Aufnahme mit dem Titel "Parfum", die einmal mehr das herausragende sängerische und musikalische Niveau von Christiane Karg belegt. Ihre neue CD mit den Bamberger Symphonikern unter Leitung von David Afkham ist bei Berlin Classics erschienen.
CD-Infos:
"Parfum": Orchesterlieder von Maurice Ravel, Claude Debussy, Benjamin Britten, Charles Koechlin und Henri Duparc
Christiane Karg, Bamberger Symphoniker, David Afkham
Berlin Classics 0300832
"Parfum": Orchesterlieder von Maurice Ravel, Claude Debussy, Benjamin Britten, Charles Koechlin und Henri Duparc
Christiane Karg, Bamberger Symphoniker, David Afkham
Berlin Classics 0300832