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Orchideensterben im Elitedschungel

Vor einer Woche wurde die Uni Göttingen zur Elite-Uni gekürt - knapp 100 Millionen Euro sollen in den nächsten fünf Jahren die Elite fördern. Nicht enthalten in dem Förderplan sind viele sogenannte Orchideen-Fächer. So fürchten einige Fächer jetzt um ihre Existenz, wie beispielsweise die Altamerikanistik. Ohne Rücksprache mit dem - einzigen - Professor wurde der Studiengang aus dem Zulassungsverfahren für die neuen Master- und Bachelor- Studiengänge heraus genommen. Der Professor bleibt Professor - allerdings ohne Studenten. Noch zwölf Jahre sitzt er auf seiner Planstelle. Er will gerne lehren und einen Studiengang "Linguistische Anthropologie und Altamerikanistik" anbieten. Der wäre dann sogar einzigartig in Deutschland.

Von Elke Drewes | 02.11.2007
    Gordon Whittaker hat zwar einen Lehrstuhl, aber kaum noch Studierende. Der Grund: Sein Fach "Altamerikanistik" kann zwar belegt werden, aber es gibt keinen Abschluss. Aufgrund eines Zwistes am Ethnologischen Institut wurde der Schwerpunkt Altamerikanistik schon vor Jahren aus der Ethnologie gestrichen. Der Professor lehrt seitdem an der philosophischen Fakultät.

    "Mein Spezialgebiet ist: Indianerkulturen und Sprachen, aber auch Mexiko: die Sprache der Azteken und ihre Kultur, die Sprache der Sioux. Das ist die Vorzeigeindianergruppe Nordamerikas, die man auch kennt aus Filmen "Der mit dem Wolf tanzt". Die Ethnologie ist bereit meine Sprachkurse anzuerkennen, aber Gesamtheit der Amerikanistik hat nirgendwo ein Zuhause. Als würde man die Gesamtheit der Altamerikanistik zerstückeln."

    Wenn Studierende keine Scheine machen müssen, bleiben sie weg. Ebenso der wissenschaftliche Nachwuchs, bedauert Gordon Whittaker.

    "Wenn sie nicht bei mir eine Masterarbeit schreiben können. Dann ich keine Nachwuchswissenschaftler ausbilden. D.h. ich werde dann bis 2019 hier sitzen und meine Arbeit tun, aber niemand betreuen können. Und das ist ein Missbrauch öffentlicher Gelder."

    Die neuen BA- und Master- Studiengänge seien eine Möglichkeit, das seltene Fach anzubieten, sagt Gordon Whittaker. Er hatte ein Konzept für einen Master Studiengang erarbeitet. Aber kurz bevor die Gutachter von der Akkreditierungsbehörde die Uni besuchten, strich das Präsidium der Universität den Studiengang kurzerhand von der Akkreditierungsliste- obwohl die Unterlagen vollständig vorlagen, sagt der Dekan der Philosophischen Fakultät Günter Holthus:

    "Außerdem ist dargelegt worden seitens der Gutachter, dass diese Herausnahme doch sehr kritisch bewertet worden ist. Es wurde unter anderem gesagt, dass Göttingen neben Bonn der einzige Standort dieses Faches ist und dass wir hier doch einen wichtigen Beitrag zur Situation bedrohter Sprachen leisten."

    Das Fach Altamerikanistik wird auch an anderen Unis zusammengestrichen, z.B. in Hamburg und Berlin. Nur in Bonn und Frankfurt werden noch Teilbereiche angeboten: In Frankfurt die Nordamerikanistik, in Bonn die Mittelamerikanistik.

    Göttingen aber wäre also die einzige Universität, die Mittel- und Nordamerikanistik anbieten kann - noch dazu mit dem einzigartigen Schwerpunkt linguistische Anthropologie, sagt Gordon Whittaker. In einem Projekt der VW Stiftung dokumentiert er bedrohte Indianersprachen und bildet Studierende darin aus, bedrohte Sprachen zu archivieren.

    Das Präsidium der Universität will keinen Studiengang einrichten, weil ein Professor zu wenig sei, sagte eine Sprecherin. Für Gordon Whittaker ist das kein Grund.

    "Aus meinem Lehrdeputat kann ich den Studiengang leisten. Und aus Studienbeiträgen können zusätzliche Lehraufträge gewonnen werden."
    Die Nachfrage nach dem seltenen Fach wäre sogar Nachfrage groß, sagt Jürgen Friedrich. Der Student unterrichtet als Tutor die Sprache der Azteken.

    "Es gab schon Anfragen aus Hamburg, weil in Hamburg das Fach abgewickelt wird. Es wird mit Sicherheit auch Interessierte aus Berlin geben. D.h. man kann davon ausgehen, wenn nur noch in Göttingen als eigenes Fach wählbar sein wird, wir sicherlich viele Bewerber haben werden."

    Im Januar 2008 gibt es eine weitere Begutachtungsrunde für Studiengänge, die zur Akkreditierung für das WS 2008/2009 vorgeschlagen sind.

    Der Rat der Philosophischen Fakultät hat einstimmig eine Resolution verabschiedet. Darin bittet er das Präsidium, den Studiengang "Linguistische Anthropologie und Altamerikanistik" zur Akkreditierung einzureichen. Der Dekan der philosophischen Fakultät der Uni Göttingen Günter Holthus:

    "Denn wir haben auch in der Exzellenzinitiative damit punkten können, dass immer gesagt werden konnte, dass es insbesondere in den Geisteswissenschaften eine Vielzahl kleiner Fächer gibt. Man sollte zumindest die Chance, dieses wirklich bedeutsame einmalige Fach hier in Deutschland zu erhalten, diese Chance sollte man wahrnehmen."

    Die Entscheidung trifft allein das Präsidium der Stiftungsuniversität Göttingen. Und das lehnt einen eigenständigen Masterstudiengang "Linguistische Anthropologie und Altamerikanistik" nach wie vor ab. Unipräsident Kurt von Figura:

    "Der Studiengang Altamerikanistik wird nicht zur Akkreditierung eingereicht. Es gibt dafür nicht die personelle Basis. Wenn wir jetzt einen Studiengang für Altamerikanistik eröffnen würden, müssten wir ihn in drei Jahren wieder schließen."

    Professor Whittaker hat seine Professur allerdings bis 2019. Solange könnte er den wissenschaftlichen Nachwuchs ausbilden, zum Beispiel den Ethnologiestudenten Johannes Nickel. Er war extra nach Göttingen gekommen, um dort Altamerikanistik und linguistische Anthropologie zu studieren.

    "Da hatte ich mich sehr drauf gefreut, dass es auch wirklich ausgebaut wird, eigener Masterstudiengang, und bin doch sehr enttäuscht, dass das so zu scheitern droht."

    Whittaker: "Es ist traurig, dass wir einen Punkt erreicht haben, wo die Altamerikanistik fast gestorben ist. Ein Fach, das nicht von außen zugrunde gerichtet wurde, sondern von innen. Ich kann ich nicht verstehen."