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Ordensschwester über Missbrauchstäter
"Nicht verdammen"

Die Ordensschwester Karoline Mayer wird in Chile als Gründerin des Hilfswerk Cristo Vive verehrt. Dann zeigt sie in einer ARD-Doku Nachsicht gegenüber einem deutschen Missbrauchstäter. Einige Spender springen ab. "Ich werd nicht jemanden verlassen, weil er einmal eine Untat getan hat", sagt sie bis heute.

Von Victoria Eglau | 30.07.2019
Schwester Karoline Mayer, Gruenderin der Stiftung Cristo Vive, in einem Gesundheitszentrum fuer Arme in Santiago de Chile.
Schwester Karoline Mayer steht mit dem Missbrauchstäter weiterhin im Dialog - Opferverbände kritisieren sie dafür (imago / photothek / Thomas Koehler)
Ein Sommer-Sonntag im Berliner Stadtteil Lichterfelde: Im Gottesdienst der evangelischen Johannesgemeinde ist heute die katholische Ordensschwester Karoline Mayer zu Gast. Mayer, die in Chile das ökumenische Sozialwerk Cristo Vive aufgebaut hat, wird seit vielen Jahren von der Johannesgemeinde unterstützt. An diesem Morgen steht die zierliche, energische 76-Jährige in dem lichten, runden Kirchenraum und predigt:
"Alle Kirchen, die katholische, evangelische … alle sind wir Kirche dieses Herrn Jesu … Und was eint uns? Alle sind wir Jüngerinnen und Jünger Jesu."
Karoline Mayer erzählt der Gemeinde von der Arbeit ihrer Stiftung, die in Chile und Bolivien Kindergärten, Berufsschulen und Gesundheitszentren unterhält, in Peru auch ein Frauenhaus. Über die in Chile gedrehte Missbrauchs-Doku "Meine Täter, die Priester", die Mayer genauso wie deutsche Kirchenobere vor dem Fernsehpublikum in keinem guten Licht dastehen ließ, spricht die Ordensschwester nicht.
Nach dem Gottesdienst, bei der Kollekte zugunsten von Cristo Vive, füllen sich die Klingelbeutel rasch mit Scheinen. Die Gemeindemitglieder scheinen entschlossen, Karoline Mayer weiter zu unterstützen. Wegen der ARD-Doku seien manche deutsche Spender abgesprungen, räumt die Vorsitzende des Vereins Cristo Vive Europa, Gabi Braun, ein, die Karoline Mayer begleitet. Aber:
"Wenn Sie nach dem Spendenaufkommen fragen, hat das letzte Jahr 2018 keinen Unterschied gegeben zu den vorherigen Jahren. Im Gegenteil, wir haben uns sogar noch gesteigert."
Eine Art Erdbeben
Abzuwarten bleibt, ob dies auch im laufenden Jahr 2019 der Fall sein wird. Cristo Vive hofft, dass die sozialen Projekte in Lateinamerika nicht gefährdet werden. Für die Stiftung und den deutschen Verein hatte die TV-Reportage eine Art Erdbeben ausgelöst. Unterstützer, Mitarbeiter und Freiwillige wollten von Karoline Mayer wissen, wie sie zum Problem des sexuellen Missbrauchs durch Kirchenangehörige steht – und speziell zu Peter R.
Die Doku beleuchtet Mayers Kontakte zu diesem ehemaligen Jesuitenpater, der am Berliner Canisius-Kolleg in den 1970er- und 80er-Jahren Schüler sexuell misshandelte. In dem Film erzählt eine mit der Missionarin bekannte Chilenin, Peter R. habe sie und ihre Schwester nach Deutschland eingeladen und dort sexuell bedrängt. Karoline Mayer selbst lässt in der Doku eine klare Distanzierung von dem Pater und seinen Taten vermissen. Nach der Ausstrahlung drückte die Ordensschwester in einem Rundbrief Bedauern aus: Sie habe einen Fehler gemacht und sich nicht eindeutig genug auf die Seite der Opfer gestellt.
Jetzt, rund ein halbes Jahr später, sagt Karoline Mayer: "Dass ich wirklich immer auf der Seite der Opfer gestanden habe, das ist für mich gar keine Frage. Nicht erst jetzt, sondern mindestens 45 Jahre lang, dass ich dauernd mit Opfern konfrontiert bin, und immer auf der Seite stand." Ihre Stiftung Cristo Vive begleite seit Langem Opfer von Gewalt und Missbrauch. Bei dem Interview für den Fernsehfilm habe es für sie keine Möglichkeit gegeben, von diesem Engagement zu erzählen – beklagt die Ordensschwester gegenüber dem Deutschlandfunk.
"Ich habe nie den Kontakt unterbrochen mit Peter"
Zum konkreten Fall der zwei Schwestern aus einem chilenischen Armenviertel, die sich während ihres Aufenthalts bei Peter R. dessen Zudringlichkeiten erwehren mussten, sagt Mayer, sie habe diese Reisen nicht vermittelt und erst später davon erfahren. Und: Diejenige der Schwestern, die in der Doku zu Wort kommt, habe mittlerweile beim deutschen Konsulat in Chile zu Protokoll gegeben, dass sie keinen Missbrauch durch den Pater erlitten habe. Wozu Karoline Mayer steht, ist, dass sie mit dem Pater auch dann in Verbindung blieb, als 2010 dessen am Canisius-Kolleg begangenen Missbrauchstaten öffentlich bekannt wurden.
Sie erzählt: "Ich hab nie den Kontakt unterbrochen mit Peter. Ich hab ihn dann auch 2010, als er nach Chile kam, zur Rede gestellt, und meine Einstellung ist nicht, dass man jemanden jetzt verdammt. Er ist Täter, er ist Täter, und als solcher kann ich auch mit ihm reden. Und immer lade ich die Täter ein, ihren Missbrauch einzugestehen. Mein Leben ist sehr komplex in diesen Situationen, für die Allgemeinheit. Also ich werd' nicht jemanden verlassen, weil er einmal eine Untat getan hat, ich werd' versuchen, dass er's eingesteht, dass er um Verzeihung bittet, dass er es wieder gutmacht."
"Täter konnten sich in der Kirche zu Hause fühlen"
All das jedoch hat Peter R. bis heute nicht getan. Im vergangenen Jahr sprach ihn das Kirchengericht des Erzbistums Berlin des Missbrauchs an Minderjährigen in acht Fällen schuldig, im Mai dieses Jahres bestätigte der Vatikan das Urteil. Karoline Mayers Dialog mit dem Täter steht für sie selbst im Einklang mit ihrem Glauben, mit ihrer christlichen Berufung. Doch Matthias Katsch von der Missbrauchsopfer-Initiative Eckiger Tisch, der Schwester Karoline seit einem Freiwilligen-Einsatz bei Cristo Vive kennt, meint: Bei einer solchen Haltung zum Täter bleiben die Opfer auf der Strecke.
Katsch sagt: "Was man an Karoline zeigen kann, und was eben sehr deutlich wird, ist diese Unfähigkeit von Kirche, sich von Tätern abzugrenzen, die man als Mitbrüder oder als Teil der Kirche wahrnimmt. Was nicht funktioniert, ist, dass ich den Täter freundschaftlich im Blick behalte und gleichzeitig mich den Opfern zuwende – beides geht nicht. Und dass Täter sich in der katholischen Kirche so ausbreiten und so zu Hause fühlen konnten, hatte auch damit zu tun, dass viele wohlmeinende Menschen – und dazu würde ich Karoline auf jeden Fall zählen – alles getan haben, um diese Täter nicht auszugrenzen."
Karoline Mayer blieb nicht nur mit Peter R. im Gespräch – ihre Stiftung leitete auch jahrelang seine Geldüberweisungen an bedürftige Menschen in Chile weiter. Sie sagt:
"Also ich hab lange darüber nachgedacht, auch drüber gebetet. Ich weiß, es geht ja nicht um uns, es geht um die Menschen dort vor Ort. Ich habe dann auf Bitten der Cristo Vive Europa den Peter gebeten, dass er die Spenden auf 'ne andere Form überweist."
Missbrauchsprävention in Entwicklungshilfeprojekten
Das geschah im November 2018, nach der Ausstrahlung von "Meine Täter, die Priester". Ihre Stiftung selbst sei nie finanziell von dem Pater unterstützt worden, versichert Karoline Mayer. Als weitere Reaktion auf die Doku hat Cristo Vive die Anti-Missbrauchs-Prävention in seinen Einrichtungen auf den Prüfstand gestellt, wie die deutsche Vereinsvorsitzende Gabi Braun berichtet. Matthias Katsch von der Opfer-Initiative Eckiger Tisch, der mit dem ARD-Fernsehteam nach Chile reiste, betont: Seine Absicht sei nicht gewesen, dass die verdienstvolle Arbeit der Stiftung Cristo Vive in Mitleidenschaft gezogen werde. Er wolle vielmehr, dass dieser Fall zu mehr Missbrauchsprävention in allen Entwicklungshilfeprojekten führe, die Spenden aus Deutschland erhalten:
"Dass in Zukunft Zuwendungsgeber aus Deutschland, auch im kirchlichen Raum, auch bei kleineren Stiftungen und Initiativen, sicherstellen, dass das Thema … sexuelle Gewalt wahrgenommen und mit entsprechenden Schutzkonzepten adressiert wird."