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Ordnungskasper auch beim Schreiben

Mit jedem neuen Buch macht die Autorin Sibylle Lewitscharoff von sich reden. Zuletzt mit ihrem Roman "Blumenberg", in dem sie dem Philosophen Hans Blumenberg einen Löwen erscheinen ließ. Ein neues Projekt in ihrer Berliner Schreibwerkstatt ist ein Krimi.

Von Mirko Schwanitz | 03.08.2012
    Wer zu Sibylle Lewitscharoff will, kann Treppen steigen – viele Treppen. Oder den alten Paternoster nehmen, so schmal das man sich Schrammen an den Schultern holt. Wenn der seinen letzten Schnaufer macht, ist man da. Vierter Stock. Berliner Altbau. Hinter der Tür 350 Quadratmeter, Wohnung und Atelier in einem.

    Es dauert eine Weile, bis man am Ende eines langen Flurs Sibylle Lewitscharoffs Schreibwerkstatt erreicht. Lichtdurchflutet. Ein großes Bild an der Wand, dass in Wirklichkeit ein von ihr erfundenes Grammatik-Brettspiel ist. Dunkle Schuber, Messingbeschlag zwischen hellem Gemöbel. Vom Schreibtisch her ein Hauch von Tee. Ob man erfahren kann, was hier gerade ausgeheckt wird? – nach "Pong", "Apostoloff" und "Blumenberg".

    "Also, ich habe zwei Dinge vor: einmal ein Kriminalroman. Und das Zweite - da habe ich eine alte Idee wieder ausgekruschtelt, die bei meinem früheren Rom-Aufenthalt mir zu schwierig erschien, die ich jetzt aber nach "Blumenberg" glaube, vielleicht doch bewältigen zu können. Das ist der Kongress von Dante-Forschern in Rom über die das Pfingstwunder hereinbricht. Ich könnte was aus dem Kriminalroman lesen. Wenn ich's finde."

    So richtig mal in einem Genre schreiben, so ganz ohne Sperenzchen, um ihre eigenen Worte zu gebrauchen – obwohl sie selbst lieber Kriminalfilme sehe, als Kriminalromane lese – mit Ausnahme der von Raymond Chandler.

    "Ja, vielleicht etwas über den Kater. Der Inspektor hier in dem Text, der bekommt Besuch von einem Kater und den nimmt er bei sich auf. Der Inspektor schaute gerade eine Serie im Fernsehen, "Inspektor Barnaby", dem auch ein Kater zuläuft und er heißt "Kirrmausky", das find ich nen dollen Namen. Und mein Inspektor, da kommt fünf Minuten später eine schwarzes Käterchen an die Tür, an die Terrassentür und er nennt ihn auch sofort Kirrmausky."

    "Kirrmausky war witzig, eine Schauspielernatur. Ellwanger war es inzwischen unmöglich, sich ein Leben ohne Kater vorzustellen. Ja, die Liebe zu Kirrmausky ging so weit, dass vom eigentlichen Herrn im Haus von Herrschaft nicht mehr die Rede sein konnte. In der Früh hieß das gemeinsame Programm: auf, zur fröhlichen Jagd im Garten. Ellwanger im Pyjama und Hausschuhen bei warmen Wetter, im Winter, wenn Schnee lag mit Mantel über dem Pyjama und dicken Socken an den Füßen, die in Gummistiefeln steckten. Sommers wie winters tat Kirrmausky seine Imponiersprünge im Garten mit aufgeplustertem, gesträubtem Schwanz und gab, es war schwer zu entscheiden, wen nun genau, den Löwen, den Panther oder den Tiger. Die Aufgabe des Herrn war es, ihn dabei zu jagen. Höhepunkt war jedes Mal, wenn Kirrmausky wie ein Blitz den Baum hochschoss und in den Ästen herumturnte, während Ellwanger unten seine erste Zigarette rauchte und den Kater dabei anspornte."

    Ob es bei Ellwanger zuhause auch so aussieht, wie in dem Raum, in dem er geboren wurde? So aufgeräumt? So penibel geordnet? Gestapelt, in Reih und Glied gebracht, damit sein Scharfsinn keine Kante finde, an der er sich abschleifen könne? Noch bleibt es Sibylle Lewitscharoffs Geheimnis:

    "Ich bin wirklich eine Erzpedantin und kann an einem unaufgeräumten Schreibtisch nicht arbeiten. Wer ein Ordnungskasper ist, dem ist es daran zu tun, dass die Welt insgesamt eine Ordnung hat. Also vom Kleinen ins Große, damit sie überschaubar wird. Also, ich liefere mich sehr, sehr ungern dem Chaos aus, ja, weil ich da nicht produktiv sein kann. Das heißt, für mich ist das Ordnungsprinzip auch in der Vorstellung der Welt letztlich etwas, in das hinein ich überhaupt erst arbeiten kann."

    So findet man denn bei Sibylle Lewitscharoff auch keine Papierstapel, dritte oder vierte Fassungen ein und derselben Seite. Was nichts taugt muss weg, nur das Stärkste bleibt. Mit dem Anfang eines Romans ist das so und mit dem Ende. Schon aus dem ersten Satz muss Rauch aufsteigen.

    "Ich würde da sagen, der erste Abschnitt. Bei mir ist es eher der erste Abschnitt. Nicht nur der erste Satz. Der erste Absatz muss einen Zug entfalten, der muss kräftig sein. Aber ich bin ein bisschen anders: Bei mir muss der Schlusssatz wirklich die Klammer ergeben. Das heißt, mir fällt auch der Schlusssatz sehr früh ein. Das gehört auch zum Pedanten, der nicht gerne in die Freiheit hinausschreibt. Also, ich habe am Schluss gerne noch mal alle Motive versammelt und sie kräftig gequetscht – so ne scharfe Sache am Schluss, das liegt mir sehr und das muss mir auch einfallen."

    Das einzige, was dann doch nicht in den Papierkorb wandert, sind diese kleinen schwarzen Heftchen, in denen ihre Figuren Fleisch ansetzen, mit denen sie sich, wie sie sagt selbst eine Vorfreude auf ihre neuen Romane mache.

    "In das ganz viele kleine Collagen und Scherenschnitte auch reinkommen, weil ich sehr gerne, sagen wir mal, die Vorform eines Wunschbuches, ohne das es das Buch wirklich ist, auf dem Tisch liegen habe. Das sieht dann zum Beispiel so aus ... Ja. ... und das sind jetzt, also das ist nicht der fertige Roman, sondern das sind so Schnipsel, die dann vielleicht hineinkommen, mit Collagen, mit etcetera. Sie sehen, so ein bisschen ... Das ist für mich etwas Schönes, sozusagen ein handwerkliches Produkt vorliegen zu haben, bevor ich überhaupt richtig schreibe."

    Die Schrift darin ein feines Gespinst, filigran wie ein Spinnennetz, als wolle sie ihren Ellwanger darin einfangen, fest einwickeln, damit er ihr nicht entfleucht, sie sich nachher im Text nicht selbst zur Ordnung rufen muss, wie noch bei "Pong", weil die Gäule der Assoziationen mal wieder durchzugehen drohen. Nein - hier mag schon eingefangen sein, was sie an Chandlers Figuren so liebt, bei deutschen Kommissaren aber einfach nicht funktioniert.

    "Es ist unmöglich einen Roman zu schreiben in der Art von Raymond Chandler, weil da die Kriegserfahrung dahinter als Gewitter steht. Das heißt die männliche, heroische, große, amerikanische - Kriegserfahrung. Das kann man nicht so ohne Weiteres auf einen heutigen, schon gar nicht deutschen Inspektor übertragen. Das geht nicht, also diesen erotischen Heroismus, der im Hintergrund als Gewitter lauert, das ist schwer zu schaffen. Mich interessiert aber die Frage sehr. Ich würde jetzt keine Frau nehmen als Kriminalkommissarin. Ich bin an dem Eros des Mannes interessiert, ganz klar, weil Eros des Mannes in einer wichtigen fast halbheroischen Gesellschaftsmission, das interessiert mich."

    Das klingt fast etwas missionarisch – ganz so, als fürchte sie, der deutschen Literatur könnten die wahren Männerfiguren abhandenkommen. Heftig schüttelt sie den Kopf. Hier solle sich ihr Besucher mal nicht zu sehr vergaloppieren. Ihre Mission sei eine ganz andere.

    "Da ist natürlich eine starke Ladung drin in dem Wort, aber ich würde sie sogar annehmen wollen. Also ich schreibe keine Bücher, um die Menschen hinabzustoßen. Nur, ich schreibe letztlich, um sie auch einer gewissen Integrität und Aufgehobenheit zuzuführen. Wütend macht mich der Drang zum Sadismus und zur Pornografie. Das ist etwas Schreckliches. Die Menschen in die Knechtschaft zerren, in dem man Eros preisgibt an die Pornografie. Ich mag keine Figuren im Roman, die so gestaltet sind, dass man sie umbringen will als Leser, ja. Das mag ich nicht. Ich halte auch bei verworfenen Menschenfiguren ein menschenwürdiges Abbild für wichtig, ganz wichtig. Das ist für mich oberste Aufgabe – Zivilisierungsarbeit in der Literatur, die nobelste Aufgabe des Menschen, die Integrität des Menschen zu retten."