Dienstag, 19. März 2024

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Organe aus dem 3D-Drucker
Schwierige Suche nach einer tierfreien Biotinte

Tierversuche werden heute oft durch andere Verfahren ersetzt. So lassen sich mittels sogenannter Biotinte im 3D-Drucker viele Organe so nachbauen, dass man mit ihnen Versuche vornehmen kann. Doch auch die Biotinte benutzt tierische Ausgangsmaterialien. Dies ist nicht nur aus Tierschutzgründen schlecht.

Von Maren Schiblinsky | 11.11.2019
Eine Biotinte wird auf einen Gelatineträger gedruckt
Knorpelgewebe aus Biotinte (dpa / picture alliance / Franziska Kraufmann)
Im Labor des Instituts für Biotechnologie an der TU Berlin macht die Forscherin Johanna Berg einen 3D-Drucker startklar. Sie will ein dreidimensionales Organmodell mit menschlichen Lungenzellen drucken. Durch eine Düse wird eine zähflüssige Lösung gepresst, so genannte Biotinte, die auf einer Glasplatte landet.
"Das geht relativ zügig. Für so ein kleines Modell brauchen wir zirka eine Minute."
Nur einen Quadratzentimeter groß und zwei Millimeter dick ist das waffelförmige Organmodell. Es entsteht aus über einer Million Lungenzellen, die in der gelartigen Substanz enthalten sind, und soll künftig bei der Medikamentenentwicklung zum Einsatz kommen. Um Tierversuche zu ersetzen, erklärt Projektleiter Jens Kurreck.
"Wir müssen dreidimensionale Konstrukte herstellen, die so ähnlich sind wie die biologischen Organe. Die müssen sich in einer stabilen Umgebung befinden, damit sie die dreidimensionale Form erhalten. Das nennen wir dann Biotinte. Und in dieser Biotinte befinden sich dann unsere Zellen."
Tierische Produkte in der Tinte für 3D-Drucker
Doch die Biotinte enthält tierische Bestandteile. Zum Beispiel Gelatine, an der die Zellen haften können. Oder sogenanntes Matrigel, das aus Mäusen gewonnen wird und den Zellen als Wachstumsgrundlage dient. Nach dem Druck werden die Organmodelle in pinkfarbenen Nährmedien aufbewahrt, die aus fötalem Kälberserum bestehen, erzählt Jens Kurreck.
"Das wird aus Föten nach der Schlachtung eines trächtigen Muttertieres entnommen. Kein sehr angenehmer Prozess. Man spricht von ein bis zwei Millionen Tieren pro Jahr. Der Vorteil ist, dass sehr viele Zellen mit diesem fötalem Kälberserum sehr gut wachsen. Der Nachteil ist das Tierschutzproblem, aber auch, dass wir eine tierische Komponente mit menschlichen Zellen kombinieren."
Medikamentenforschung für Menschen wird damit erschwert
Bei der Entwicklung von Medikamenten gibt es bis heute enorm viele Rückschläge. Der Grund: Wirkstoffe, die in Tierversuchen oder bei Tests an tierischen Zellen vielversprechend schienen, zeigen bei Menschen oft nicht den gewünschten Effekt. Von zehntausenden Wirkstoffen funktioniert nach 15 Jahren gerade einmal einer am Menschen – beklagt der Berliner Biochemiker. Auch deshalb möchte Jens Kurreck menschliche Organmodelle ganz ohne tierische Komponenten entwickeln.
"Die große Vision ist es, humanisierte Modelle zu entwickeln, mit denen wir bessere Medikamente mal machen können, weil sie im menschlichen System entwickelt wurden."
Mit Hochdruck arbeiten die Biochemiker an Ersatzstoffen für die tierischen Bestandteile im Organdruck. Johanna Berg hat mit pflanzlichen Alternativen für Gelatine experimentiert.
"Das ist zum einen Zellulose und zum anderen Chitosan, die beide gute biologische Eigenschaften für den Druck aufweisen. Sie verleihen der Biotinte eine Stabilität, mit der wir gut drucken können, ohne so steif zu sein, dass sie beispielsweise zum Zerplatzen der Zellen führen."
Das sogenannte Matrigel wollen die Forscher durch Zellzwischenraumgewebe aus menschlicher Plazenta ersetzen, also dem Mutterkuchen, der nach einer Geburt meist im Krankenhausabfall landet. Als Alternative für das fötale Kälberserum ist ein Stoffgemisch mit Insulin in Arbeit.
"Wir haben erste Experimente gemacht und die Zellen, die wir für unsere Modelle brauchen, wachsen erstmal in so einem synthetischen Alternativmedium sehr gut. Wir haben auch erste Druckversuche gemacht. Jetzt müssen wir noch weiter optimieren, dass sie möglichst gute Modelle ergeben."
Auszeichnung für Berliner Forscherinnen und Forscher
Nach jedem Druckversuch kontrollieren die Forscher am Mikroskop, wie lange die menschlichen Zellen im Organmodell mit der neuen Biotinte überleben – berichtet Jens Kurreck.
"Bei den schlechten Biotinten haben wir nach ein paar Tagen kaum noch lebende Zellen, bei den besten Biotinten haben wir auch nach zwei Wochen noch über 90 Prozent lebende Zellen. Das ist genau der Fortschritt, den wir suchen."
Im Biodruck betreten die Berliner Forscher mit ihren Ersatzstoffen absolutes Neuland. Für ihre ersten Ergebnisse wurden sie vom Verein "Ärzte gegen Tierversuche" ausgezeichnet. Bis die optimale Biotinte für das jeweilige Organmodell gefunden ist, werden aber noch ein paar Jahre vergehen.