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Organisator des Massenmords: Der Fall 'Ricardo Klement'

Am 23. Mai 1960 erklärte der israelische Premierminister Ben Gurion vor der Knesset, dass der Nazi-Funktionär Adolf Eichmann in Argentinien gefasst worden war. Zu verdanken war dies dem Hinweis eines ehemaligen Häftlings des Konzentrationslagers Dachau.

Von Margarethe Limberg | 23.05.2010
    "Ich habe der Knesset mitzuteilen, dass vor einiger Zeit israelische Sicherheitskräfte einen der größten Naziverbrecher aufgespürt haben: Adolf Eichmann, der zusammen mit anderen Nazigrößen verantwortlich ist für das, was diese die Endlösung des Judenproblems genannt haben, das heißt, die Vernichtung von sechs Millionen Juden. Adolf Eichmann ist bereits in Haft und wird hier in Kürze nach dem Gesetz aus dem Jahr 1950 zur Verfolgung von NS-Verbrechern vor Gericht gestellt werden."

    Am 23. Mai 1960 gab der damalige israelische Premierminister Ben Gurion diese Erklärung vor der Knesset ab. Es war eine Sensation, die weltweit für Schlagzeilen sorgte.

    Was heute vor 50 Jahren viele Menschen aufwühlte, hatte eine lange Vorgeschichte. Von der Entschlossenheit, die schließlich zur Verhaftung Adolf Eichmanns führte, konnte lange keine Rede sein. 1957 verdichteten sich die Hinweise, dass sich der Organisator des Massenmordes an den europäischen Juden in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires aufhielt. In diesem Jahr bekam der hessische Generalstaatsanwalt Fritz Bauer den entscheidenden Tipp.

    Es war ein absurder Zufall, der Bauer auf die richtige Spur brachte. An ihn, der sich als einer von wenigen Juristen in der Bundesrepublik der Verfolgung der NS-Verbrechen verschrieben hatte, wandte sich Lothar Herrmann. Herrmann war ein ehemaliger jüdischer Häftling des Konzentrationslagers Dachau, der nach Argentinien emigriert war. Seine Tochter hatte einen jungen Mann namens Klaus Eichmann kennengelernt und ihn dem Vater vorgestellt. Der brauchte nicht lange, um herauszufinden, dass dieser neue Bekannte, der ungehemmt antisemitische Parolen von sich gab, der Sohn Adolf Eichmanns war und dass auch dieser in Buenos Aires lebte.

    Herrmann informierte Fritz Bauer. Und dieser leitete seine Erkenntnisse dann an die Israelis, nicht an deutsche Justizbehörden weiter. Seine Sorge, Eichmann könne von deutscher Seite gewarnt werden, war groß und wie der Fall des KZ–Arztes Mengele zeigte, berechtigt. Denn in der deutschen Botschaft in Buenos Aires saßen viele ehemalige Nationalsozialisten. Die Historikerin und Leiterin des Münchner NS–Dokumentationszentrums, Irmtraud Wojak:

    "Man weiß ja, dass es auch dort ein Netzwerk ehemaliger Nationalsozialisten gegeben hat. Und natürlich wäre so ein Auslieferungsverfahren auch öffentlich geworden, und insofern ist es einerseits ein Armutszeugnis der Ermittlungsbehörden und der Justiz, nicht eher auf seine Spur gekommen zu sein. Andererseits hätte ein öffentliches Bekanntwerden dieses Verfahrens Eichmann auch sicher gewarnt."

    Bauers Erwartung, seine Informationen würden die Israelis umgehend zu einer energischen Suche nach Eichmann veranlassen, wurden allerdings enttäuscht. Der Chef des israelischen Geheimdienstes, Isser Harel, ging die Angelegenheit zunächst eher halbherzig an. Zwar schickte er Agenten auf die Suche nach Eichmann. Diese aber stellten sich nicht sonderlich geschickt an. Wie sich später herausstellte, hatte man zwar das Haus entdeckt, in dem Eichmann unter dem Namen Ricardo Klement lebte. Die Wohngegend war allerdings so heruntergekommen, dass man sich kaum vorstellen konnte, dass hier einer der größten NS-Verbrecher lebte. Weitere Recherchen stellte man daher nicht an. Mossad-Agent Zvi Aharoni, der im März 1960 herausfand, dass Ricardo Klement mit Adolf Eichmann identisch war, ist noch Jahrzehnte später wütend. Zumal er selbst schon einige Monate vorher in Argentinien zu tun hatte.

    "Keine Seele hat mir gesagt, geh doch mal die Adresse nachprüfen. Man hat einfach nicht daran geglaubt."

    Die israelischen Ermittler waren zögerlich, zumal man damals mehr mit der Sicherung des jungen Staates beschäftigt war als mit der Jagd auf Kriegsverbrecher. Und so machte sich Fritz Bauer Ende 1959 selbst auf den Weg nach Israel, um Druck zu machen. Damit kam endlich Bewegung in die Fahndung nach Eichmann. Wieder begaben sich israelische Geheimdienstler auf seine Spur. Am 19. März bekam Aharoni den Gesuchten erstmals zu Gesicht, und er konnte nach Israel melden: Klement ist Eichmann. Aharoni erinnert sich an diesen Augenblick:

    "Zum ersten Mal haben wir ihn gesehen wie er um dreiviertel acht abends mit einem Bus kommt, aussteigt, geht die Straße runter und dann rein in sein Haus. Und dann haben wir ihn fünf oder sechs Mal jeden Abend zur selben Zeit, dieselbe Strecke. Und dann haben wir beschlossen, wir tun es hier."

    Es war klar, dass man Eichmann nach Israel holen würde, um ihm dort den Prozess zu machen. Denn man war sicher, dass man nicht mit der Hilfe Argentiniens rechnen konnte. Ein Auslieferungsantrag hätte keine Chancen gehabt. Ministerpräsident Ben Gurion war inzwischen auch bewusst, wie wichtig es für sein Land war, einen der größten NS-Verbrecher vor Gericht zu stellen. So konnten die Israelis der Welt zeigen, was die Nationalsozialisten ihrem Volk angetan hatten. Professor Michael Wolffsohn, Historiker an der Hochschule der Bundeswehr in München:

    "Ben Gurion erkannte sehr deutlich: die Berechtigung des eigenen Existenzkampfes ist nur grundsätzlich historisch vermittelbar, wenn das Urtrauma des Holocaust wahrgenommen wird. Da war Eichmann eine Symbolfigur. Es ging nicht darum, gegen Deutschland ein Exempel zu statuieren, sondern um der eigenen israelisch–jüdischen Jugend zu zeigen, das ist der geschichtliche Hintergrund. Wenn wir Israel nicht stark machen, passiert uns Juden, ob in Israel oder woanders, noch einmal das Gleiche."

    Es begann eine der spektakulärsten Geheimdienstoperationen: Die Gefangennahme und die Entführung Eichmanns nach Israel. Eine Gruppe israelischer Agenten musste unter größter Geheimhaltung agieren. Die zahlreichen untergetauchten Nationalsozialisten hatten viele Sympathisanten, selbst in den höchsten argentinischen Regierungsrängen. Die Israelis waren ständig in der Gefahr aufzufliegen, während sie Eichmanns Tagesablauf minutiös ausspähten, eine Wohnung für seine spätere Unterbringung suchten und Autos mieteten. Am 11. Mai 1960 war es soweit. Als Eichmann, von der Arbeit kommend, aus dem Bus stieg, wurde er von Peter Malkhin mit den Worten "Un momentito Senor" angesprochen, nach einem Gerangel im Straßengraben überwältigt und ins Auto gezerrt. In der Erinnerung Zvi Aharonis, der am Steuer saß, spielte sich das so ab:

    "Und Eichmann fing an zu schreien und zu heulen und zu blöken. Und ich dachte, das muss man doch hören. Ich habe den Motor stark laufen lassen. Trotzdem war es sehr unangenehm. Zu Dritt haben sie ihn hoch gezerrt aus dem Graben, mit der Decke über dem Kopf, Brille auf der Nase und los."

    Elf Tage lang hielt man Eichmann in einem hermetisch abgeschlossenen Raum gefangen, ans Bett gefesselt, die Augen verbunden. Alle Berichte über diese Tage stimmen darin überein, dass er keinen Widerstand leistete, sich stattdessen kooperativ, um nicht zu sagen, servil verhielt.

    Aharoni, 1933 aus Deutschland vor den Nazis geflohen und Verhörspezialist des Mossad, befragte Eichmann in Buenos Aires auf Deutsch. Eichmann sei sehr auskunftsfreudig gewesen, habe sich aber nur als kleinen Befehlsempfänger dargestellt, berichtet Aharoni in seinen Memoiren. Gegen Juden, so habe Eichmann beteuert, habe er nie etwas gehabt.

    Nach elf Tagen stand am 21. Mai endlich die El-Al-Maschine bereit, um Adolf Eichmann nach Israel zu bringen. Man hatte ihn mit Drogen ruhiggestellt, in die Uniform eines Stewards gesteckt und spätabends an Bord gebracht. Am 22. Mai landete die Maschine in Tel Aviv und Eichmann wurde unter äußerster Geheimhaltung nach Camp Iyar im Norden Israels gebracht – ein zur Festung ausgebautes Gefängnis. Der größte Coup des israelischen Geheimdienstes war geglückt. Die Welt erfuhr davon am nächsten Tag.

    Bis zu seiner Festnahme hatte Adolf Eichmann 15 Jahre lang untertauchen können, zunächst in Deutschland, dann zehn Jahre in Argentinien. Mithilfe alter SS–Kameraden gelang ihm 1946 die Flucht aus amerikanischer Gefangenschaft. Ein Netzwerk ehemaliger Nationalsozialisten und ihrer Sympathisanten half ihm, in der Lüneburger Heide - wie andere SS-Männer auch - Unterschlupf zu finden. Er nannte sich Otto Henninger, arbeitete als Holzarbeiter und züchtete später Hühner. Niemand stellte unangenehme Fragen. Die Hamburger Historikerin Bettina Stangneth:

    "Und auch die umliegende Bevölkerung wusste ganz genau, dass das SS war und dass dort viele ehemalige SS-Leute waren. Man hielt aber zusammen gegen die Feinde, gegen die Besatzer."

    Zwar begaben sich nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs zahlreiche Überlebende des Holocaust auf die Suche nach Kriegsverbrechern – Simon Wiesenthal, der ehemalige KZ–Häftling von Mauthausen, war einer der ersten – aber außer ihnen schien kaum jemand Interesse daran zu haben. Schon wenige Jahre nach dem Krieg wollten die USA ihren neuen Verbündeten Bundesrepublik nicht vor den Kopf stoßen, indem man in der Vergangenheit wühlte.

    Und die Deutschen selbst schoben die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit lieber von sich. Stattdessen konnten ehemalige Nationalsozialisten in vielen Institutionen schnell wieder Karriere machen. Schluss mit der Naziriecherei, forderte Konrad Adenauer. Professor Wolfgang Benz, Leiter des Zentrums für Antisemitismusforschung an der Technischen Universität Berlin:

    "Da war ja nach all der Publizität, die während der Besatzungszeit herrschte über die Verbrechen des Nationalsozialismus die Stimmung: Schlussstrich. Wir wollen davon nichts mehr hören. Wir wollen lieber in die Zukunft blicken. Die Hauptverbrecher gibt es ja nicht mehr. Da galt man auch schnell als Nestbeschmutzer, wenn man an der Aufdeckung unangenehmer Wahrheiten gearbeitet hatte."

    1950 entschloss sich Eichmann dennoch, nach Argentinien zu fliehen. Bei der Beschaffung gefälschter Ausweispapiere half ihm ein Netzwerk ehemaliger SS-Leute, deren Beziehungen bis in den Vatikan reichten. Als Ricardo Klement bestieg Adolf Eichmann in Neapel ein Schiff nach Argentinien und konnte dort, wie Hunderte ehemaliger Nazis, ungehindert einreisen. Der Mann, der den Transport von Millionen Juden in die Vernichtungslager organisiert hatte, war in Sicherheit. Die Interessenlage Argentiniens beschreibt Bettina Stangneth:

    "Die haben sich für die politischen Ansichten und die Vergangenheit der Kriegsverbrecher nicht interessiert. Sie haben gehofft, dass sie fähige, gut ausgebildete Menschen bekommen würden. Ingenieure, aber auch Organisatoren und Logistiker."

    Und natürlich gab es in Argentinien NS-Sympathisanten. Einer der engsten Mitarbeiter Perons, Carlos Fuldner, war selbst bei der SS gewesen. In diesen Kreisen war man gerne zur Hilfe für ehemalige Kameraden bereit. Durch diese Beziehungen gelangte Eichmann Ende der 50er-Jahre, nachdem er mit unterschiedlichen Tätigkeiten seine Existenz und die seiner Familie gesichert hatte, zum argentinischen Ableger von Mercedes Benz.

    In Europa schwand das Interesse an der Jagd auf NS-Verbrecher immer weiter. Der Versuch von Eichmanns Frau, ihn für tot erklären zu lassen, um ihn so vor strafrechtlicher Verfolgung zu bewahren, scheiterte nur dank der Wachsamkeit Simon Wiesenthals. 1952 konnten sie und die Kinder ungehindert nach Argentinien ausreisen. Sie behielten den Namen Eichmann, und niemand wurde stutzig.

    Was deutsche Stellen über Eichmanns Verbleib wussten, ob die Bundesregierung wirklich alles getan hat, um den ehemaligen Leiter des sogenannten Judenreferats IVb4 im Reichssicherheitshauptamt, zu finden und zur Rechenschaft zu ziehen, beschäftigte schon kurz nach seiner Festnahme den Deutschen Bundestag, wie der folgende Ausschnitt aus der Fragestunde des Bundestages zeigt. Auf die Frage des SPD-Abgeordneten Karl Mommer, antwortete Justizminister Fritz Schäffer, CSU:

    "Der Bundesregierung ist in den vergangenen Jahren gerüchteweise zur Kenntnis gekommen, dass sich Eichmann im Vorderen Orient aufhalten soll. Sie hat daraufhin Nachforschungen angestellt, ob diese Gerüchte zutreffen. Der Bundesregierung, insbesondere dem Bundesjustizministerium ist vor der Festnahme des Herrn Eichmann durch israelische Behörden nicht bekannt geworden, dass sich Eichmann in Argentinien aufgehalten hat. Es ist mir auch nicht bekannt, dass andere deutsche Dienststellen von dem Aufenthalt des Eichmann in Argentinien bereits Kenntnis hatten."

    Der SPD-Abgeordnete Karl Mommer ist mit der Antwort nicht zufrieden:

    "Herr Minister, unternimmt die Bundesregierung irgendetwas Systematisches, um geflüchteten Verbrechern im Ausland auf die Spur zu kommen und ist die Bundesregierung sich bewusst, dass es dem deutschen Ruf sehr schadet, wenn es andere Staaten sind, gar so kleine wie der Staat Israel, die die Nachforschungen mit Erfolg anstellen?"

    Wer es hätte wissen wollen, hätte wissen können, wo Eichmann sich befand? Es gab viele Hinweise auf dessen Untertauchen in Buenos Aires, sie blieben jedoch unbeachtet, auch von den Geheimdiensten CIA und BND. Viele Vermutungen rankten sich nicht zuletzt um die Rolle des Bundesnachrichtendiensts. Erst vor wenigen Tagen hat das Bundesverwaltungsgericht die Sperrung von BND–Akten zum Fall Eichmann aus den 50er- und 60er-Jahren für widerrechtlich erklärt. Allerdings auch mit dem Hinweis, dass diese Akten keine neuen Erkenntnisse über die damaligen Vorgänge böten. Bettina Stangneth, die sich intensiv mit Eichmanns Jahren in Argentinien befasst hat, wundert sich über das Verhalten des BND. Eichmann, sagt sie, sei durchaus ein Risiko für den Ruf Deutschlands in der Welt gewesen:

    "Und schon allein deshalb musste man ein Interesse haben zu sehen, wo er ist, was er macht. Und was mit ihm passieren kann. Das, was am blamabelsten ist, ist, dass eine Rolle des BND nicht zu sehen ist und dass der Verdacht im Raume steht, dass man sich für ihn überhaupt nicht interessiert hat. Im Gegenteil: Wenn man sich für ihn interessiert hat, dann wollte man wahrscheinlich eher, dass er im Dunkeln blieb, als dass er ans Licht kommt und redet."

    Auch auf israelischer Seite gab es in den Jahren nach der Staatsgründung andere Prioritäten als die Jagd auf Nazi-Verbrecher. Der Aufbau des Staates und der Wirtschaft, die Unterbringung der Millionen Flüchtlinge aus Europa und den arabischen Staaten, die Bedrohung durch die umliegenden Staaten hatten Vorrang. Professor Michael Wolffsohn, Historiker an der Bundeswehrhochschule in München:

    "In Israel bestand zunächst einmal bis Ende der 50er-Jahre kein Interesse, intensiv den Holocaust aufzuarbeiten. Man war mit sich selbst beschäftigt, dem Aufbau eines neuen, nach vorn blickenden Staates. Man war auch unsicher, um nicht zu sagen, indifferent den Holocaustüberlebenden in Israel gegenüber. Es war schlicht und ergreifend ein Thema, über das kaum gesprochen wurde."

    Dass Eichmann sich keine großen Sorgen machte, entdeckt zu werden, zeigt auch das lange Gespräch mit dem holländischen Ex-Nazi und Journalisten Willem Sassen 1957. Während dieser eine Geschichte des Dritten Reiches schreiben wollte, in der die Verbrechen möglichst verharmlost wurden, drängte es Eichmann, seine Rolle bei der Vernichtung der europäischen Juden möglichst herauszustreichen. Die Leiterin der Münchner NS–Dokumentationsstelle, Irmtraud Wojak, hat die sogenannten Sassen–Bänder gründlich analysiert:

    "Ja, die Bedeutung des Sassen-Interviews liegt darin, dass Eichmann hier ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen gesprochen hat und einem ehemaligen SS-Mann, also gleichsam einem Kumpanen, ein Interview gegeben hat, um seine eigene Rolle während des NS-Regimes bei der Deportation der Juden selber gleichsam klarzustellen, wie er das selber gesehen hat. Und das heißt, sich im Grunde mit allen seinen Schwierigkeiten, die er aus seiner Sicht als Deportationsspezialist gehabt hat, hervorzutun. Er wollte der Nachwelt klar machen, was seine Rolle im Dritten Reich gewesen ist und hat dabei kein Blatt mehr vor den Mund genommen."

    Spätestens diese Gespräche in Sassens Villa müssen nach der Überzeugung Stangneths die letzten Zweifel an Eichmanns Aufenthaltsort beseitigt haben.

    "Das war ein Stadtgespräch. Die rechtsorientierten argentinischen Kreise wollten wissen, was da passiert. Man erzählte sich gegenseitig, ich war da. Ich habe ihn gesehen. Im Hause von Sassen gab es keinen Ricardo Klement. Im Hause von Sassen gab es Adolf Eichmann."

    Mit der Bekanntgabe von Eichmanns Gefangennahme und seiner Verhaftung in Israel erwachte das Interesse. Plötzlich standen die nationalsozialistischen Verbrechen und ihre Verfolgung auf der Tagesordnung. Doch die Reaktionen waren sehr unterschiedlich. In Argentinien herrschte Empörung, der UN-Sicherheitsrat verurteilte die Entführung. Für Israel war es Schock und Anlass zu Genugtuung zugleich.

    In der Bundesrepublik reagierte man aufgeschreckt. Die Regierung Adenauer fürchtete um ihr Ansehen. Man sah mit Beklommenheit möglichen Aussagen Eichmanns über Adenauers Staatssekretär Hans Globke und andere ehemalige Nazis in höchsten Positionen entgegen. Mithilfe des CIA gelang es, aus einem Vorabdruck des Sassen–Interviews in der amerikanischen Illustrierten "Life" den Namen Globkes herauszuhalten. Im Blick auf den Prozess in Jerusalem tat die Bundesregierung auf verschwiegenen diplomatischen Wegen ebenfalls alles, um rufschädigende Namensnennungen zu verhindern. Man fürchtete antideutsche Emotionen.

    Diese Sorgen erwiesen sich im Nachhinein als weitgehend unbegründet. Die guten Beziehungen Adenauers zu Ben Gurion - die beiden hatten sich erst am 14. März 1960 in New York getroffen – trugen ihre Früchte, anstehende geheime deutsche Waffenlieferungen werden ebenfalls dazu beigetragen haben, dass es nicht zu den befürchteten antideutschen Ausbrüchen kam. Ben Gurion legte großen Wert darauf, den Eichmann- Prozess nicht zu einem antideutschen Tribunal zu machen, wie Professor Michael Wolffsohn betont:

    "Ben Gurion hat mit viel Fingerspitzengefühl darauf geachtet, dass das Dritte Reich, welches durch die Person Eichmann auf der Anklagebank saß, nicht gleichgesetzt wurde mit der Bundesrepublik und die Bundesrepublik nicht mit dem Dritten Reich."

    Bundeskanzler Adenauer selbst zeigte sich vor Prozessbeginn auf einer Pressekonferenz zuversichtlich:

    "Ich habe das feste Vertrauen in Israel, zu dem Gericht und der Regierung in Israel, dass sie das Verfahren nicht benutzt sehen will als eine politische Mache, sondern sie will Gerechtigkeit üben, und ich glaube, dass diese Haltung Israels sehr dazu beitragen wird, wie das Urteil der Weltöffentlichkeit über den Eichmann-Prozess ausfällt."

    Ein Antrag auf Auslieferung Eichmanns in die Bundesrepublik wurde nicht gestellt und zwar mit dem Hinweis, dass ein entsprechendes Abkommen mit Israel nicht existiere. In Wirklichkeit war man damals nicht sonderlich an einem Prozess in Deutschland interessiert.

    Das Verfahren gegen Eichmann begann am 11. April 1961. Die Richter, der Generalstaatsanwalt – fast alle waren vor den Nazis aus Deutschland geflohen und sorgten doch dafür, dass es kein Schauprozess wurde. Stattdessen bemühte man sich um geradezu penible Fairness.

    Eichmann stellte sich während des Prozesses als reinen Befehlsempfänger dar, der nur für den Transport zuständig gewesen sei. Seine einzige Schuld sei sein unbedingter Gehorsam gewesen, versuchte er sich zu rechtfertigen. Tatsächlich war er sehr viel mehr als ein funktionierender Bürokrat, nämlich ein radikaler Antisemit, der genau wusste, wohin seine penibel organisierten Transporte die Menschen brachten, der niemals, selbst wenn er die Chance dazu gehabt hatte, Menschen vor dem Weg in die Vernichtung bewahrt hat. Er mag, wie Hannah Arendt meinte, eine banale Persönlichkeit gewesen sein, seine Taten waren es nicht.

    15 Jahre hat es gedauert bis Adolf Eichmann für seine Verbrechen zur Verantwortung gezogen wurde. Die Festnahme Eichmanns und dann der Prozess aber hatten auch in Deutschland dramatische Folgen. Sie wirkten wie ein Fanal. Sie lösten nicht nur Sorgen um das eigene Ansehen aus, sondern setzten eine intensive Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und den deutschen Verbrechen in Gang. Wolfgang Benz:

    "Der Prozess ist ein Meilenstein gewesen. Es ist zum ersten Mal vor einer Weltöffentlichkeit mit erheblichem zeitlichen Abstand das Thema Holocaust verhandelt worden. Und das hat auch den Verfolgungseifer der deutschen Justiz bestärkt."

    Der Prozess gegen Eichmann endete mit dem Todesurteil. Es wurde am 31. Mai 1962, kurz vor Mitternacht, vollstreckt.