Für die 24 Pièces de fantaisie konnte er dabei Kay Johannsen gewinnen, der seit 1994 als Kantor und Organist an der Stuttgarter Stiftskirche wirkt und besonders als kompetenter Bach-Interpret bekannt ist.
" Louis Vierne
aus: Pièces de fantaisie op. 53: Hymne au soleil (Anfang)
Track 3: Dauer: 1'01
Kay Johannsen, Orgel der Frauenkirche Dresden
Carus (LC 03989) 83.251 "
Der französische Organist und Komponist Louis Vierne kam 1870 in Poitiers zur Welt. Von Geburt an blind, erlangte er nach einer Augenoperation im achten Lebensjahr eine geringe Sehfähigkeit. Ein Onkel von ihm, in Paris als Oboist tätig, entdeckte das musikalische Talent des Jungen. Vierne wurde ausgebildet im Pariser Blindeninternat "Institut nationale des jeunes aveugles". Dort erhielt er Klavier-, Geigen- und Orgelunterricht. Er war Privatschüler von César Franck und wurde mit 20 Jahren in die Orgelklasse des Konservatoriums aufgenommen, die nach Francks Tod von Charles-Marie Widor geleitet wurde. Widor schätzte Vierne sehr, er machte ihn 1892 zu seinem Vertreter an St. Sulpice und ernannte ihn zwei Jahre später zu seinem Lehrassistenten in der Orgelklasse, außerdem gab er Vierne privaten Kompositionsunterricht. Im Jahr 1900 wurde Vierne, inzwischen 30 Jahre alt, einstimmig zum Titularorganisten von Notre-Dame in Paris gewählt - das war ein ehrenvolles, aber nicht allzu gut bezahltes Amt, das Vierne bis zu seinem Tod behielt. Durch seine Lehrtätigkeit am Pariser Conservatoire und später am Kirchenmusik-Institut "Schola Cantorum" war er über Jahre hinweg an der Ausbildung vieler großer Musiker beteiligt - zwei der bekanntesten Schüler waren Maurice Duruflé und Nadia Boulanger.
Vierne hatte stets mit seiner Gesundheit zu kämpfen. 1906 musste er nach einem komplizierten Beinbruch seine Pedaltechnik völlig neu erlernen; 1907 erkrankte er lebensbedrohlich an Typhus, einige Jahre später an grünem Star. Trotzdem unternahm er Konzertreisen durch Europa und die Vereinigten Staaten, auf denen er auch als brillanter Improvisator hervortrat. Von weiteren Schicksalsschlägen betroffen, litt er zunehmend an Depressionen, die sich auch im schwermütigen Tonfall seiner späten Werke bemerkbar machen. Vierne starb 1937 während eines Orgelkonzerts am Spieltisch seiner Orgel in Notre-Dame an den Folgen eines Gehirnschlags.
" Louis Vierne
aus: Pièces de fantaisie op. 55: Résignation (Anfang)
Track 8: Dauer: 2'12
Kay Johannsen, Orgel der Frauenkirche Dresden
Carus (LC 03989) 83.251 "
Neben seinen sechs großen Orgelsinfonien schrieb Louis Vierne 24 Pièces de fantaisie, Charakterstücke, von denen die meisten durchaus auch während einer Messe gespielt werden könnten, auch wenn sie nicht für eine spezielle liturgische Gelegenheit konzipiert sind. Vierne hat diese Einzelstücke zu vier Suiten zusammengestellt; die zweite und vierte Suite erschien jetzt beim Label Carus. In Charakter und Machart unterscheiden sich diese 24 Stücke stark voneinander: Manche wirken, wie die eingespielte "Hymne an die Sonne" oder die "Toccata" repräsentativ-festlich und wie geschaffen für eine bedeutende Feier, andere, wie "Clair de lune" oder "Résignation" sind leise, fein gesponnene Stimmungsbilder von großer Poesie, es gibt scherzoähnliche Stücke mit einem Anflug von Humor ebenso wie düster drohende, Klang gewordene Vorahnungen von Tod und Apokalypse. Dabei kannte und nutzte Vierne viele der Stile seiner an parallel existierenden musikalischen Schreibweisen überreichen Epoche: spätromantisch ins Extrem erweiterte Harmonik, fast in Farbwerte umschlagende Chromatik, nicht aufgelöste, eher statische Dissonanzen, Ganztonleitern, vielfältig erweiterte Akkordtrauben, neobarocke Rückblicke auf frühere Epochen bis hin zur Gregorianik, Wiedergabe außermusikalischer Impressionen, freie Tonalität, rhapsodisches Fortspinnen von Einfällen, strenger formaler Aufbau - all dies lässt sich auch in diesen 24 Fantasiestücken beobachten.
" Louis Vierne
aus: Pièces de fantaisie op. 55: Naiades (Ausschnitt)
Track 10: Dauer: 2'51
Kay Johannsen, Orgel der Frauenkirche Dresden
Carus (LC 03989) 83.251 "
Das Instrument, auf dem der Stuttgarter Organist Kay Johannsen diese Werke von Louis Vierne eingespielt hat, wurde im September 2005 fertiggestellt. Um seine Konzeption hatte es im Vorfeld erbitterten Streit gegeben. Auf der einen Seite standen dabei zahlreiche namhafte Organisten, Dirigenten und internationale Orgelexperten, vor allem aus dem Bereich der historischen Aufführungspraxis, die für die wieder komplett im alten Stil aufgebaute Dresdner Frauenkirche auch eine originalgetreue Rekonstruktion der alten Orgel von Gottfried Silbermann aus dem Jahr 1736 forderten. Anderenfalls würde die ursprüngliche Einheit von Architektur, Optik und Klang preisgegeben.
Auf der anderen Seite dann die vom Stiftungsrat und dem Kuratorium der Frauenkirche eingesetzte Orgelkommission. Ihr schien eine Kopie der Silbermann-Orgel nicht sinnvoll, weil diese im besten Fall nur annähernd gelingen könne und weil nur ein um moderne Elemente erweitertes Instrument den vielfältigen Ansprüchen des Orgelrepertoires von der Alten Musik bis zur Gegenwart gerecht werden könne.
Dabei ignorierten die Befürworter der historischen Lösung, dass die Orgel auch vor der völligen Zerstörung 1945 bereits mehrfach umgebaut und erweitert worden war, sich also auch da nicht im Zustand des reinen Silbermanns befand. Die Anhänger einer modernen Mehrzweck-Orgel, die sich schließlich im Stiftungsrat durchsetzten, nahmen durch die räumliche Enge des historischen Gehäuses allerdings auch eine gewisse Beschränkung in Kauf - die Zahl der zur Darstellung von spätromantischer Orgelsinfonik verfügbaren Register musste naturgemäß kleiner sein als bei vergleichbaren Orgeln zum Beispiel aus der Werkstatt von Cavaillé-Coll in Frankreich.
Die schließlich beauftragte Straßburger Orgelmanufaktur Daniel Kern bemühte sich nach Kräften, möglichst vielen Wünschen gerecht zu werden. Drei Manuale und der Grundbestand des Pedalwerks wurden in Anlehnung an die überlieferte Silbermann-Disposition gestaltet. Hinzu kam ein als Schwellwerk angelegtes Teilwerk mit eigenem Manual, das vor allem für die Interpretation nachbarocker Orgelliteratur gedacht ist. Dieses Schwellwerk stellt mit seinen Registern Klänge bereit, die sich im 19. und 20. Jahrhundert entwickelt haben, insbesondere die der französisch-romantischen Orgeltradition. Die gewählte Lösung verbindet zwei unterschiedliche Konzepte des gegenwärtigen Orgelbaus: die historisierende Stilorgel und die Stil übergreifende Universalorgel.
Wenn nun Carus seine Gesamtaufnahme der romantischen Orgelwerke von Louis Vierne ausgerechnet an dieser Orgel macht, muss nicht unbedingt der alte Orgelstreit wieder aufflammen, aber es stellt sich schon die Frage, ob hierfür der Einsatz dieser neuen Dresdner Universalorgel sinnvoll ist oder man nicht auch für Vierne besser eine historische, in diesem Falle französische große Kathedralorgel des späten 19. Jahrhunderts ausgewählt hätte. Der Vergleich zu solchen bereits existierenden Aufnahmen, zum Beispiel von Ben van Oosten, der diese Pièces de fantaisie an der Cavaillé-Coll-Orgel in Rouen eingespielt hat, ergibt folgendes Bild. Die Orgel in Rouen punktet mit deutlich größerer Variabilität der Klangfarben, nähert sich mit ihren Streichinstrumente imitierenden Registern dem sinfonischen Ideal, verfügt auch über eine deutlich größere Palette sanfter Solostimmen. Kay Johannsen gelingt an der Orgel der Dresdner Frauenkirche aber zusammen mit einer direkteren Aufnahmetechnik eine besser durchhörbare, klarere Darstellung, die Sie im direkten Vergleich nachvollziehen können. Hier zweimal derselbe Ausschnitt aus dem Stück "Feux follets - Irrlichter". Zunächst Ben van Oosten mit französischer Kathedralakustik und danach Kay Johannsen, viel näher in der trockeneren Akustik der Dresdner Frauenkirche und mit Registerfarben, die ihre barocke Herkunft nicht verleugnen können.
" Louis Vierne
aus: Pièces de fantaisie op.53 Feux follets (Ausschnitt)
CD 2, Track 04: Dauer: 0'55
Ben van Oosten, Orgel
MD+G (LC 06768) MDG 316 0847-2 "
" Louis Vierne
aus: Pièces de fantaisie op. 53 Feux follets (Ausschnitt)
Track 04: Dauer: 1'13
Kay Johannsen, Orgel der Frauenkirche Dresden
Carus (LC 03989) 83.251 "
Diese Gegenüberstellung der beiden Aufnahmen erweist sich auch bei vielen anderen Stücken als äußerst anregend. Ben van Oostens "Naiades (Wassernixen)" sind entrückter, aber auch in ihrem Schillern wiederum deutlich farbiger als die gleichen Damen bei Kay Johannsen; die Kirchenglocken von Hinckley bimmeln in der Dresdner Darstellung gleichförmiger und mit weniger Echowirkung als in der aus Rouen; und die Darstellung der Gargouilles, jener mit bedrohlichen Fratzen geschmückten Regenrinnen an gotischen Kathedralen, sind bei Johannsen ein relativ harmloser, auch deutlich schneller beendeter Spuk, während sie bei Ben van Oosten zu einer bedrohlichen Unwetterstimmung am Rande zum Weltuntergang geraten. Alles in allem fehlt der Dresdner Aufnahme etwas von der unvergleichlichen endlosen Größe gotischer Kathedralen mit ihren Nebelschwaden von Weihrauch, dafür überzeugt sie aber mit größerer Durchsichtigkeit und deutlicher musikalischer Artikulation. Katholische Klangwolken sozusagen protestantisch-kritisch durchleuchtet - ein ganz besonderes Erlebnis.
" Louis Vierne
aus: Pièces de fantaisie op. 53: Toccata (Schluss)
Track 6: Dauer: 2'30
Kay Johannsen, Orgel der Frauenkirche Dresden
Carus (LC 03989) 83.251 "
" Louis Vierne
aus: Pièces de fantaisie op. 53: Hymne au soleil (Anfang)
Track 3: Dauer: 1'01
Kay Johannsen, Orgel der Frauenkirche Dresden
Carus (LC 03989) 83.251 "
Der französische Organist und Komponist Louis Vierne kam 1870 in Poitiers zur Welt. Von Geburt an blind, erlangte er nach einer Augenoperation im achten Lebensjahr eine geringe Sehfähigkeit. Ein Onkel von ihm, in Paris als Oboist tätig, entdeckte das musikalische Talent des Jungen. Vierne wurde ausgebildet im Pariser Blindeninternat "Institut nationale des jeunes aveugles". Dort erhielt er Klavier-, Geigen- und Orgelunterricht. Er war Privatschüler von César Franck und wurde mit 20 Jahren in die Orgelklasse des Konservatoriums aufgenommen, die nach Francks Tod von Charles-Marie Widor geleitet wurde. Widor schätzte Vierne sehr, er machte ihn 1892 zu seinem Vertreter an St. Sulpice und ernannte ihn zwei Jahre später zu seinem Lehrassistenten in der Orgelklasse, außerdem gab er Vierne privaten Kompositionsunterricht. Im Jahr 1900 wurde Vierne, inzwischen 30 Jahre alt, einstimmig zum Titularorganisten von Notre-Dame in Paris gewählt - das war ein ehrenvolles, aber nicht allzu gut bezahltes Amt, das Vierne bis zu seinem Tod behielt. Durch seine Lehrtätigkeit am Pariser Conservatoire und später am Kirchenmusik-Institut "Schola Cantorum" war er über Jahre hinweg an der Ausbildung vieler großer Musiker beteiligt - zwei der bekanntesten Schüler waren Maurice Duruflé und Nadia Boulanger.
Vierne hatte stets mit seiner Gesundheit zu kämpfen. 1906 musste er nach einem komplizierten Beinbruch seine Pedaltechnik völlig neu erlernen; 1907 erkrankte er lebensbedrohlich an Typhus, einige Jahre später an grünem Star. Trotzdem unternahm er Konzertreisen durch Europa und die Vereinigten Staaten, auf denen er auch als brillanter Improvisator hervortrat. Von weiteren Schicksalsschlägen betroffen, litt er zunehmend an Depressionen, die sich auch im schwermütigen Tonfall seiner späten Werke bemerkbar machen. Vierne starb 1937 während eines Orgelkonzerts am Spieltisch seiner Orgel in Notre-Dame an den Folgen eines Gehirnschlags.
" Louis Vierne
aus: Pièces de fantaisie op. 55: Résignation (Anfang)
Track 8: Dauer: 2'12
Kay Johannsen, Orgel der Frauenkirche Dresden
Carus (LC 03989) 83.251 "
Neben seinen sechs großen Orgelsinfonien schrieb Louis Vierne 24 Pièces de fantaisie, Charakterstücke, von denen die meisten durchaus auch während einer Messe gespielt werden könnten, auch wenn sie nicht für eine spezielle liturgische Gelegenheit konzipiert sind. Vierne hat diese Einzelstücke zu vier Suiten zusammengestellt; die zweite und vierte Suite erschien jetzt beim Label Carus. In Charakter und Machart unterscheiden sich diese 24 Stücke stark voneinander: Manche wirken, wie die eingespielte "Hymne an die Sonne" oder die "Toccata" repräsentativ-festlich und wie geschaffen für eine bedeutende Feier, andere, wie "Clair de lune" oder "Résignation" sind leise, fein gesponnene Stimmungsbilder von großer Poesie, es gibt scherzoähnliche Stücke mit einem Anflug von Humor ebenso wie düster drohende, Klang gewordene Vorahnungen von Tod und Apokalypse. Dabei kannte und nutzte Vierne viele der Stile seiner an parallel existierenden musikalischen Schreibweisen überreichen Epoche: spätromantisch ins Extrem erweiterte Harmonik, fast in Farbwerte umschlagende Chromatik, nicht aufgelöste, eher statische Dissonanzen, Ganztonleitern, vielfältig erweiterte Akkordtrauben, neobarocke Rückblicke auf frühere Epochen bis hin zur Gregorianik, Wiedergabe außermusikalischer Impressionen, freie Tonalität, rhapsodisches Fortspinnen von Einfällen, strenger formaler Aufbau - all dies lässt sich auch in diesen 24 Fantasiestücken beobachten.
" Louis Vierne
aus: Pièces de fantaisie op. 55: Naiades (Ausschnitt)
Track 10: Dauer: 2'51
Kay Johannsen, Orgel der Frauenkirche Dresden
Carus (LC 03989) 83.251 "
Das Instrument, auf dem der Stuttgarter Organist Kay Johannsen diese Werke von Louis Vierne eingespielt hat, wurde im September 2005 fertiggestellt. Um seine Konzeption hatte es im Vorfeld erbitterten Streit gegeben. Auf der einen Seite standen dabei zahlreiche namhafte Organisten, Dirigenten und internationale Orgelexperten, vor allem aus dem Bereich der historischen Aufführungspraxis, die für die wieder komplett im alten Stil aufgebaute Dresdner Frauenkirche auch eine originalgetreue Rekonstruktion der alten Orgel von Gottfried Silbermann aus dem Jahr 1736 forderten. Anderenfalls würde die ursprüngliche Einheit von Architektur, Optik und Klang preisgegeben.
Auf der anderen Seite dann die vom Stiftungsrat und dem Kuratorium der Frauenkirche eingesetzte Orgelkommission. Ihr schien eine Kopie der Silbermann-Orgel nicht sinnvoll, weil diese im besten Fall nur annähernd gelingen könne und weil nur ein um moderne Elemente erweitertes Instrument den vielfältigen Ansprüchen des Orgelrepertoires von der Alten Musik bis zur Gegenwart gerecht werden könne.
Dabei ignorierten die Befürworter der historischen Lösung, dass die Orgel auch vor der völligen Zerstörung 1945 bereits mehrfach umgebaut und erweitert worden war, sich also auch da nicht im Zustand des reinen Silbermanns befand. Die Anhänger einer modernen Mehrzweck-Orgel, die sich schließlich im Stiftungsrat durchsetzten, nahmen durch die räumliche Enge des historischen Gehäuses allerdings auch eine gewisse Beschränkung in Kauf - die Zahl der zur Darstellung von spätromantischer Orgelsinfonik verfügbaren Register musste naturgemäß kleiner sein als bei vergleichbaren Orgeln zum Beispiel aus der Werkstatt von Cavaillé-Coll in Frankreich.
Die schließlich beauftragte Straßburger Orgelmanufaktur Daniel Kern bemühte sich nach Kräften, möglichst vielen Wünschen gerecht zu werden. Drei Manuale und der Grundbestand des Pedalwerks wurden in Anlehnung an die überlieferte Silbermann-Disposition gestaltet. Hinzu kam ein als Schwellwerk angelegtes Teilwerk mit eigenem Manual, das vor allem für die Interpretation nachbarocker Orgelliteratur gedacht ist. Dieses Schwellwerk stellt mit seinen Registern Klänge bereit, die sich im 19. und 20. Jahrhundert entwickelt haben, insbesondere die der französisch-romantischen Orgeltradition. Die gewählte Lösung verbindet zwei unterschiedliche Konzepte des gegenwärtigen Orgelbaus: die historisierende Stilorgel und die Stil übergreifende Universalorgel.
Wenn nun Carus seine Gesamtaufnahme der romantischen Orgelwerke von Louis Vierne ausgerechnet an dieser Orgel macht, muss nicht unbedingt der alte Orgelstreit wieder aufflammen, aber es stellt sich schon die Frage, ob hierfür der Einsatz dieser neuen Dresdner Universalorgel sinnvoll ist oder man nicht auch für Vierne besser eine historische, in diesem Falle französische große Kathedralorgel des späten 19. Jahrhunderts ausgewählt hätte. Der Vergleich zu solchen bereits existierenden Aufnahmen, zum Beispiel von Ben van Oosten, der diese Pièces de fantaisie an der Cavaillé-Coll-Orgel in Rouen eingespielt hat, ergibt folgendes Bild. Die Orgel in Rouen punktet mit deutlich größerer Variabilität der Klangfarben, nähert sich mit ihren Streichinstrumente imitierenden Registern dem sinfonischen Ideal, verfügt auch über eine deutlich größere Palette sanfter Solostimmen. Kay Johannsen gelingt an der Orgel der Dresdner Frauenkirche aber zusammen mit einer direkteren Aufnahmetechnik eine besser durchhörbare, klarere Darstellung, die Sie im direkten Vergleich nachvollziehen können. Hier zweimal derselbe Ausschnitt aus dem Stück "Feux follets - Irrlichter". Zunächst Ben van Oosten mit französischer Kathedralakustik und danach Kay Johannsen, viel näher in der trockeneren Akustik der Dresdner Frauenkirche und mit Registerfarben, die ihre barocke Herkunft nicht verleugnen können.
" Louis Vierne
aus: Pièces de fantaisie op.53 Feux follets (Ausschnitt)
CD 2, Track 04: Dauer: 0'55
Ben van Oosten, Orgel
MD+G (LC 06768) MDG 316 0847-2 "
" Louis Vierne
aus: Pièces de fantaisie op. 53 Feux follets (Ausschnitt)
Track 04: Dauer: 1'13
Kay Johannsen, Orgel der Frauenkirche Dresden
Carus (LC 03989) 83.251 "
Diese Gegenüberstellung der beiden Aufnahmen erweist sich auch bei vielen anderen Stücken als äußerst anregend. Ben van Oostens "Naiades (Wassernixen)" sind entrückter, aber auch in ihrem Schillern wiederum deutlich farbiger als die gleichen Damen bei Kay Johannsen; die Kirchenglocken von Hinckley bimmeln in der Dresdner Darstellung gleichförmiger und mit weniger Echowirkung als in der aus Rouen; und die Darstellung der Gargouilles, jener mit bedrohlichen Fratzen geschmückten Regenrinnen an gotischen Kathedralen, sind bei Johannsen ein relativ harmloser, auch deutlich schneller beendeter Spuk, während sie bei Ben van Oosten zu einer bedrohlichen Unwetterstimmung am Rande zum Weltuntergang geraten. Alles in allem fehlt der Dresdner Aufnahme etwas von der unvergleichlichen endlosen Größe gotischer Kathedralen mit ihren Nebelschwaden von Weihrauch, dafür überzeugt sie aber mit größerer Durchsichtigkeit und deutlicher musikalischer Artikulation. Katholische Klangwolken sozusagen protestantisch-kritisch durchleuchtet - ein ganz besonderes Erlebnis.
" Louis Vierne
aus: Pièces de fantaisie op. 53: Toccata (Schluss)
Track 6: Dauer: 2'30
Kay Johannsen, Orgel der Frauenkirche Dresden
Carus (LC 03989) 83.251 "