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Orhan Pamuk zeigt private Sammlung in Istanbul

Orhan Pamuks Buch "Museum der Unschuld" ist Namenspate für das reale Museum in Instanbul. Doch es ist kein Museum zum Buch wie Pamuk selbst sagt, dennoch spiegeln die Ausstellungstücke in Teilen auch die Handlung der großen und doch unglücklichen Liebe des Protagonisten wider.

Von Gunnar Köhne | 29.04.2012
    In der Gasse vor dem rostrot gestrichenen Eckhaus schleift ein alter Mann zwei Tomatenkisten hinter sich her. Ansonsten scheint das eigentlich sehr trubelige Viertel Cukurcuma an diesem Morgen vor Ehrfurcht erstarrt zu sein. Denn ein neuer, berühmter Nachbar zieht heute in ihr Viertel ein: Literaturnobelpreisträger Orhan Pamuk eröffnet sein Museum der Unschuld. Das Museum zum gleichnamigen Roman. Falsch, sagt Pamuk, bei einer Vorbesichtigung gestern Nachmittag:

    "Ich habe Roman und Museum zusammen entwickelt. Es war nicht so, dass ich einen erfolgreichen Roman geschrieben habe und dann gedacht habe, daraus ein Museum zu machen. Meine Hauptperson, Kemal, denkt darüber nach, ein Museum über seine Liebe zu bauen. Das ganze Projekt, Museum und Buch, sind nicht das Ergebnis einer einzigen Idee, sondern eines langen Prozesses."

    Der Roman handelt von einer großen und doch unglücklichen Liebe zwischen dem jungen Kemal und der schönen, selbstbewussten Füsun, einer Liebe, mit der sich beide gegen die strengen Konventionen des Istanbuler Bürgertums in den 1970er-Jahren stellen. Füsun heiratet einen anderen, und doch finden und verlieren sich die beiden immer wieder. Ein schmerzhafter Prozess, den Kemal nur übersteht, indem er Erinnerungen an seine Liebe und Hingabe sammelt: die Tassen und Gläser, aus denen Füsun trank, die Zigarettenstummel, die noch die Überreste ihres Lippenstifts tragen. Hunderte dieser Zigarettenreste sind in einem der 83 Schaukästen - so viele wie das Buch Kapitel hat - aufgespießt. Darunter Wörter und Halbsätze aus dem Buch, die Kemals Leidenschaft und Verzweiflung bezeugen. Damenschuhe, Feuerzeuge, Porzellanhündchen, Mokkatassen, Rakigläser, Wandkarten - es ist ein buntes Sammelsurium von Krimskrams, das die sorgsam gestalteten und ausleuchteten Vitrinen bevölkert. Das meiste davon hat Pamuk in den umliegenden Trödelläden des Viertels erstanden. Manches wurde ihm aber auch von Lesern zugeschickt, wie etwa eine für die siebziger Jahre typische Zahnbürste. Der Umbau des vierstöckigen Gebäudes sollte eigentlich schon 2010 fertig sein, als Istanbul eine von Europas Kulturhauptstädten war. Der Kappelner Architekt Gregor Sunder-Plassmann, der das Projekt betreut hat, erklärt, warum sich die Arbeiten dann doch hinausgezögert haben:

    "Weil sich die Qualität ständig gesteigert hat. Und da hat Orhan Pamuk zweifelsohne die Souveränität zu sagen: Wir eröffnen dann, wenn wir meinen, dass es reif dafür ist. Man muss sagen, dass man mit Pamuk zu einer Endqualitätsdichte kommt, die man so im Museumsbau bislang noch nicht hatte."

    In Kasten 58 ein abgegriffenes Bingospiel, Kemal - und wahrscheinlich auch Pamuk selber - erinnert es an die Spieleabende an Sylvester. Mädchen bekamen immer handgestickte Taschentücher und Palmseife aus Edirne als Bingopreise. Beides ist in einem kleinen Setzkasten ausgestellt. Man brauche aber seinen Roman nicht gelesen zu haben, bevor man das Museum besucht, betont der sichtlich stolze Autor:

    "Wir erinnern uns immer an den Eindruck, den ein Buch bei uns hinterlassen hat, an die Gefühle, die es ausgelöst hat, aber wir erinnern uns nicht an Details. Es geht auch hier im Museum nicht um den Löffel, den Füsun gehalten hat oder die Kinokarte, die Kemal in der Hand hatte - sondern es geht mir im Museum wie im Buch um die Schaffung von Stimmungen."

    Die Ausstellungsstücke und die Ausschnitte aus wackligen privaten Acht-Millimeter-Filmen zeigen die untergegangene Welt des westlich geprägten Istanbuler Bürgertums, aus dem auch der 59-jährige Pamuk stammt. Der Besucher ist ein wenig peinlich berührt, wenn er sich die Nase an privaten Ansichtspostkarten oder Haarspangen platt drückt - so als ob man im Nachlass von Fremden herumstöbert. Im obersten Stockwerk des völlig entkernten und von einem Lichtschacht durchzogenen Gebäudes hat der leidenschaftliche Sammler Pamuk auch seine Romannotizen hinter Glas gehängt. Doch die Istanbuler werden ihm seine Eitelkeit nachsehen, denn mit dem heutigen Tag hat die alte Metropole am Bosporus eine neue Attraktion. Und die Trödelhändler des Viertels Cukurcuma freuen sich auf zusätzliche Kunden - sie haben ihre Preise fast verdoppelt.