Sonntag, 05. Mai 2024

Archiv


Ornamentale Kunst ohne Hilfsmittel

Bei den Bildern von Tomma Abts denkt man an gotisches Maßwerk. Alle Ornamente scheinen mit dem Zirkel und mit dem Lineal vorgegeben zu sein - doch in Wirklichkeit sind die Arbeiten aus der Hand gemalt, verrät die Kunstkritikerin Christiane Vielhaber.

Christiane Vielhaber im Gespräch | 18.07.2011
    Christoph Schmitz: Manche Künstler schaffen aus nur einer Idee, mit nur einem Kernmotiv eine ganze Welt. Bei Günter Ücker ist es der Nagel, bei Josef Beuys ist es Filz, bei Baselitz das Bild auf dem Kopf, bei Tinguely die sich bewegende Eisenmaschine aus Schrott, bei Penck die Strichfigur. Ähnlich verhält es sich auch bei der 1967 in Kiel geborenen Malerin Tomma Abts. Bei ihr spielt sich vornehmlich alles in einem bestimmten, bis auf den Zentimeter genauen Format ab, nämlich zwischen 48 mal 38 Zentimeter. Das ist das Maß für den Bilduntergrund der klassischen Porträtmalerei. Tomma Abts malt zwar auch in Acryl und Öl, aber keine Personen, sondern Geometrisches. Tomma Abts hat sich mit diesen Arbeiten einen internationalen Ruf erworben. 2006 erhielt sie den britischen Turner-Preis. Lange lebte sie in London und hat auch dort gearbeitet, seit vergangenem Jahr hat sie eine Professur an der Düsseldorfer Kunstakademie inne. In der Kunsthalle Düsseldorf ist nun eine Ausstellung von Tomma Abts zu sehen. - Christiane Vielhaber, die 48-mal-38-Zentimeter-Gemälde gibt es, auch Zeichnungen. Fangen wir mit diesen Gemälden an: Welche Motive sind diesmal zu sehen?

    Christiane Vielhaber: Es sind auch Porträts, denn sie nennt ihre Bilder so, wie sie selber auch benannt wurde, ein alter ostfriesischer Name. Die Arbeiten heißen Hepe, Teite, Tüss, Fero.

    Schmitz: Vornamen sind das?

    Vielhaber: Vornamen, ja, ganz seltene friesische Vornamen, so wie auch Tomma, und damit gibt sie natürlich diesen Bildern schon einen bestimmten Charakter. Wenn man ihre Bilder beschreiben sollte, könnte man sagen, wer sich ein bisschen in der Kunstgeschichte auskennt, denkt an gotisches Maßwerk. Das heißt, alle Ornamente sind mit dem Zirkel und mit dem Lineal vorgegeben. Wer sich noch ein bisschen besser auskennt, denkt vielleicht an Renaissance und Manierismus, an Bandelwerk. Das sind so Ornamente, die von der Fläche in den Raum kommen, also wirklich wie Bänder, die sich dann drehen und dann wieder in die Linie kommen. Manchmal denkt man auch an Origami, wenn sie Papier falten, und dann kommt die Fläche in den Raum. Hinzu kommt, dass man nicht sagen kann, die Bilder sind rot mit grün und gelb, denn es ist keine Farbe sauber, keine Farbe ungemischt, keine Farbe ungebrochen, und das gibt ihren Bildern auch so eine gewisse Patina, wo man denkt, die sind eigentlich schon ganz, ganz alt und schon vor ewigen Zeiten in dieser Farbe gemalt.

    Schmitz: Sie malt ja fast altertümlich, also mit Lasuren, viele Schichten übereinander. Welche Bedeutung hat dieser Prozess? Ist das ein ideeller Prozess, oder geht es ihr wirklich um die Eigentümlichkeit von Farbe und Form?

    Vielhaber: Ja. Es gibt so schlaumichelnde Kollegen, die dann immer reden von Malerei als Prozess und Malerei um ihrer selbst willen. Sie selbst sagt das ganz praktisch: Ich fange völlig abstrakt an, ich mache eine Schicht mit irgendwelcher Farbe und dann mache ich die nächste Schicht darüber, das ist mal Ölfarbe, mal ist es Acrylfarbe. Und von diesem ganz Abstrakten, was da erst ist, wird von Schicht zu Schicht teilweise bis zu 100 Schichten übereinander, plötzlich entdeckt sie da Formen oder werden daraus Formen. Und diese Formen macht sie dann wirklich fest, sie gibt ihnen einen ganz sauberen Umriss. Sie denken, das ist alles mit dem Zirkel geschlagen, sie sagt aber, sie macht es aus der Hand. Aber weil Schicht über Schicht kommt, und dann kratzt sie wieder Schichten ganz sauber ab, dann haben diese Bilder teilweise auch so eine Reliefoberfläche.

    Schmitz: Also keine intellektuelle, keine konzeptionelle Kunst, sondern eine Kunst, die auratische Bilder schafft?

    Vielhaber: Auratisch? – Wir haben ja alle den Drang, darin oder in abstrakten, in konkreten Formen etwas zu entdecken. Es gibt Bilder, da habe ich an kleine Windrädchen gedacht, die man so für Kinder macht, ich habe daran gedacht, ein Bild, so ein grünliches, das sieht aus wie Golfschläger und Golfbälle. Das ist natürlich alles nicht gemeint, aber plötzlich ergeben sich bei diesem Malen Formen und irgendwann beschließt sie, das ist jetzt fertig, und dann ist das ein wunderbares Bild, was in sich so bewegt ist und gleichzeitig wieder so harmonisch, obwohl sie ganz selten Symmetrien in ihren Bildern hat.

    Schmitz: Nun gibt es auch Zeichnungen in der Ausstellung, die ja ganz anders aussehen als die Bilder, also keine Vorarbeiten zu den Bildern sind.

    Vielhaber: Das ist was ganz Neues, die auch noch nie gezeigt wurden, die frisch aus dem Atelier - oder was heißt frisch aus dem Atelier – rausgenommen wurden, und da habe ich zuerst gedacht, das sieht aus wie Musterbücher, wie jemand so Kettenringe macht, oder dann macht er so Fransen. Und dann entdecken sie aber auch bei diesen Zeichnungen, die sehr unsauber sind, gemessen an diesen perfekten Formen ihrer Malerei, diese Unsauberkeit, dieses Leichte, dieses fast humorvoll Spielerische, dass das im Grunde genommen auch ihrer Malerei zu Grunde liegt.

    Schmitz: Nun hat sie selbst diese Zeichnungen und Gemälde gehängt. Was ergibt das insgesamt und ist das was Besonderes?

    Vielhaber: Also das ist schon happig, denn in diesen großen Saal in Düsseldorf, der große Kinosaal, hat sie einfach nur zehn Arbeiten hingehängt, und Sie haben ja beschrieben, wie groß die sind, und sie sind dann auch noch kurz unter Augenhöhe, dass man richtig wie so ein Porträt richtig so ein Gegenüber hat und man kann sich dann darin vertiefen, man kann aber auch auf Distanz gehen und diesen ganzen Raum als Bild auf sich wirken lassen.

    Schmitz: Christiane Vielhaber, vielen Dank für diesen Bericht und die Beschreibung der Bilder und Zeichnungen von Tomma Abts, in einer Ausstellung in der Düsseldorfer Kunsthalle zu sehen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews
    und Diskussionen nicht zu eigen.


    Links bei dradio.de:

    Fazit - Kultur vom Tage: Eine Ausstellung als Sehschule
    Erdfarbene Bilder der Künstlerin Tomma Abts in der Düsseldorfer Kunsthalle


    Link zum Thema:

    Kunsthalle Düsseldorf