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Ornithologie
Die Geheimsprache der Schwarzkolibris

Es klingt wie Grillen-Zirpen oder das Quaken eines Baumfrosches: Eine brasilianische Kolibri-Art nutzt ähnlich wie Fledermäuse hochfrequente Laute, um sich zu verständigen. "Es sieht so aus, als hätten diese Kolibris ihren eigenen Kommunikationskanal entwickelt", sagte der Neurowissenschaftler Claude Mello im Dlf.

Claudio Mello im Gespräch mit Lennart Pyritz | 06.03.2018
    Ein Schwarzkolibri (Florisuga fusca) fliegt im Atlantischen Regenwald im Südosten Brasiliens
    Ein Schwarzkolibri (Florisuga fusca) fliegt im Atlantischen Regenwald im Südosten Brasiliens (imago / Glenn Bartley)
    Lennart Pyritz: Zwitschern, Trällern oder Flöten: Mit ihrem für unsere Ohren oft lieblich klingenden Gesang kommunizieren Vögel untereinander. Jetzt haben Wissenschaftler im brasilianischen Küstenregenwald beobachtet, dass eine Kolibri-Art hochfrequente Laute äußert. So hochfrequent, dass Vögel sie eigentlich gar nicht hören können. Das wirft Fragen auf, über die ich vor der Sendung mit Claudio Mello gesprochen habe. Er ist Neurowissenschaftler an der Oregon Health and Science University in Portland und Autor der Studie, die heute im Fachblatt "Current Biology" erscheint. Meine erste Frage war, wie sein Team und er überhaupt entdeckt haben, dass Schwarzkolibris diese hochfrequenten Geräusche produzieren?
    Claudio Mello: Wir hatten dieses Gebiet des Atlantischen Regenwaldes in Brasilien schon früher besucht, um andere Vögel zu studieren, und hatten diese seltsamen Geräusche gehört, die wie Insekten klangen. Aber dann haben wir genauer beobachtet und gesehen, dass die Geräusche von den Schwarzkolibris produziert wurden.
    Als wir später bessere Geräte dabei hatten, haben wir diese Lautäußerungen aufgenommen und festgestellt, dass sie sehr hochfrequent waren. Wir sahen, dass die niedrigsten Frequenzen schon höher als 10 kHz waren, also höher als das, was Vögel normalerweise hören können. Für die mehr als 50 Vogelarten, die dazu studiert worden sind, lag die höchste Hörempfindlichkeit um zwei bis sechs oder sieben kHz, aber noch nie höher als zehn kHz.
    Pyritz: Wie haben Sie diese Lautäußerungen im Freiland aufgezeichnet?
    Mello: Das war einfach, die Kolibris sind sehr häufig in dieser Region, sie fliegen und singen überall. Wir haben Messgeräte genutzt, die normalerweise für Fledermäuse gebraucht werden, weil sie hohe Frequenzen aufzeichnen können. Besonders wichtig waren die Mikrofone, die sensibel waren für hohe Frequenzen. Alltagsgeräte wären da nicht passend. Und wir haben Laptops genutzt, mit Software, um die hochfrequenten Geräusche zu analysieren.
    "Sie klingen wie Grillen oder Baumfrösche"
    Pyritz: Wie klingen denn diese Lautäußerungen? Wodurch sind sie gekennzeichnet?
    Mello: Diese Geräusche sind kurz, häufig wiederholt, und fast immer bestehen sie aus drei Silben, sogenannten Tripletts, die schnell nacheinander produziert sind, ungefähr wie tss-tss-tss. Sie klingen wie Grillen oder Baumfrösche, oder sogar wie Sozialrufe von Fledermäusen.
    Ihre Frequenzen sind sehr hoch, aber sie sind auch sehr komplex, mit vielen Einzelheiten und schnellen Frequenzmodulationen. Das deutet darauf hin, dass sie schwer zu produzieren sind, oder vielleicht sogar, dass sie gelernt sind. Aber das wissen wir noch nicht. Wir müssen weiter forschen.
    Pyritz: Teile dieser Lautäußerungen liegen im Ultraschallbereich, den auch wir Menschen nicht hören können. Wissen Sie, ob die Kolibris selbst ihre Laute hören?
    Mello: Wie vorher gesagt, kein Vogel der jemals studiert worden ist, kann Frequenzen über zehn kHz hören, also auch nicht im Ultraschallbereich über 20 kHz. Wir wissen noch nicht, wie hoch die Schwarzkolibris hören können. Entweder können sie ihre eigenen Lautäußerungen hören. Das wäre nachvollziehbar – dann würden sie die Laute nutzen, um zu kommunizieren. Das würde aber auch bedeuten, dass ihr Hörbereich unglaublich breit ist. Oder sie können ihre eigenen Äußerungen nicht hören, und das wäre sehr, sehr seltsam. Beide Möglichkeiten sind sehr interessant und sollten weiterstudiert werden.
    "Vielleicht ist es vorteilhaft, verschieden zu sein"
    Pyritz: Warum produzieren die Vögel überhaupt diese Geräusche?

    Mello: Es sieht so aus, als hätten diese Kolibris ihren eigene Kommunikations-Kanal entwickelt, sodass sie nicht gestört werden von anderen Kolibris. Andere Vogel können anscheinend diese Lautäußerungen nicht hören und auch keine ähnlichen Äußerungen machen. Die Biodiversität im Atlantischen Regenwald ist sehr hoch, es gibt da sehr viele Vögelarten und auch Kolibriarten. Also vielleicht ist es vorteilhaft verschieden zu sein, wo es viele andere Lautäußerungen gibt.
    "Es gibt auf jeden Fall noch viel zu tun"
    Pyritz: Es ist also noch unklar, wie die Vögel die Laute produzieren - und ob sie sie überhaupt hören. Was müsste man machen, um das herauszufinden?
    Mello: Man könnte im Labor untersuchen, wie der Stimmkopf und Hörapparat bei den Schwarzkolibris organisiert sind. Vielleicht ist der Stimmkopf sehr steif, um sehr schnell zu vibrieren, und das Innenohr muss auf Hochfrequenzen spezialisiert sein. Man könnte auch die akustischen Nervenreaktionen aufzuzeichnen. Das wäre eine genauere Methode, aber das ist im Freiland nicht möglich. Und schließlich könnte man studieren, wie die Kolibris auf Playbacks, auf die Wiedergabe ihrer eigenen Lautäußerungen reagieren. Es gibt auf jeden Fall noch viel zu tun, damit wir verstehen, wie und warum die Kolibris diese Geräusche machen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.