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Ornithologie
Vögel mit schönem Gesang sind nicht intelligenter

Langzeittests haben gezeigt: Der Gesang von Vögeln sagt nichts über deren allgemeine Intelligenz aus. Damit wurde eine 20 Jahre alte Hypothese widerlegt. Warum Vogel-Weibchen bevorzugt Männchen auswählen, die besser singen als andere, bleibt damit offen.

Von Joachim Budde | 01.11.2019
Das Bild zeigt zwei Spatzen in einem Baum.
Manche Vögel singen kompliziertere Melodien als ihre Artgenossen (dpa / picture alliance / Bernd Thissen)
Etwas aufzugeben, das man liebt, ist immer schwierig. In Stephen Nowickis Fall war es eine Theorie. Und zwar eine wunderbar einleuchtende Theorie.
"Das sind Singammern. Sehr häufige Vögel überall in Nordamerika."
Unruhig flattern sie in den kleinen Käfigen im Keller der biologischen Fakultät an der Duke University herum. Auf den ersten Blick sehen sie aus wie Spatzen:
"Sie sind ziemlich unscheinbar."
Kleine braune Vögel, die sich gut für Nowickis Tests und Experimente eignen:
"Singammern lassen sich leicht in Gefangenschaft halten. Wir holen uns Küken, die um die drei Tage alt sind, bringen sie her und werden ihre Eltern. Wir müssen sie von früh bis spät alle halbe Stunde füttern, aber vor allem können wir ihr akustisches Umfeld kontrollieren. Wir entscheiden also, welchen Vogelgesang sie zu hören bekommen und können messen, wie gut sie diesen Gesang lernen."
Manche der Singammern schaffen am Ende kompliziertere Melodien, andere einfachere.
"Vor etwa 20 Jahren stellten wir die Hypothese auf, dass die Männchen ein Gehirn entwickeln mussten, das gut genug ist, um diese Gesänge gut zu lernen. Unser Argument lautete: Wenn die Weibchen den Gesang beurteilen, bewerten sie in Wirklichkeit, wie lernfähig das Männchen ist, wie präzise es komplizierte Melodien wiedergeben kann, weil das ein Zeichen dafür ist, wie gut sein Gehirn funktioniert. Weibchen sind gut beraten, sich mit schlaueren Männchen zu paaren, weil die die besseren Väter sind, bessere Nistplätze und mehr Futter finden und bessere Gene mitbringen. Die Idee war also, dass Männchen, die besser singen können, in allen möglichen anderen Dingen besser sind."
Das klingt plausibel:
"Es ist eine intuitive Idee, die Sinn ergibt. Darum sind wir überhaupt darauf gekommen. Keine Raketenwissenschaft, sondern schön einfach. Allein deshalb mögen so viele Leute die Idee."
Kognitive Fähigkeiten bei Vögeln korrelieren nicht
Um sie zu untermauern, sollten die Vögel Aufgaben bewältigen. Dazu fingen Stephen Nowicki und seine Kollegen jahrelang jeden Sommer Singammern und die nahe verwandten Sumpfammern und unterzogen sie etwa drei Wochen lang einer ganzen Reihe von Tests. Denn bei Menschen und sogar bei Mäusen hatten Studien gezeigt: Wer gut darin ist, eine Art Rätsel zu lösen, meistert auch viele andere Rätsel leichter:
"Beim Menschen und Mäusen sind kognitive Fähigkeiten korreliert, also Anzeichen einer allgemeinen Intelligenz. Nicht so bei Vögeln. Wir hatten Tiere, die eine Aufgabe großartig lösten und eine andere schrecklich schlecht. Das konnten sogar ähnliche Aufgaben sein. Und Artgenossen aus derselben Population schnitten wieder völlig unterschiedlich ab. Es ist schwer, die These aufrechtzuerhalten, dass der Gesang von Vögeln etwas über ihre allgemeinen kognitiven Fähigkeiten aussagt, wenn die einzelnen Fähigkeiten nicht einmal miteinander korrelieren."
Damit nicht genug: Die Ornithologen wiederholten ihre Tests mit denselben Tieren:
"Ihre Leistung im einen Jahr sagte nichts darüber aus, wie sie im nächsten Jahr abschnitten. Darum haben wir letzten Endes, als wir einen wirklich umfangreichen Datensatz hatten, festgestellt: Wir lagen völlig falsch."
Was macht man mit solchen Daten? In der Schublade verschwinden lassen und nie wieder darüber reden?
"Ich bin sehr dankbar dafür, dass die Redakteure der Wissenschaftsjournale uns erlaubt haben, die negativen Daten zu veröffentlichen. Es sind gute, überzeugende negative Daten. Aber Sie wissen ja, dass es Befürchtungen gibt, dass Journale lieber Positives veröffentlichen."
Die Hypothese, dass der Gesang der Vögel etwas über die allgemeine Intelligenz aussagt, haben mittlerweile auch andere Gruppen hinterfragt und aufgegeben. Stephen Nowicki musste sich neu orientieren:
"Ich habe diese Hypothese geliebt. Ich bin immer noch dabei, die Trennung zu verarbeiten. Gerade arbeite ich an sehr aufregender Forschung über Farbsehen, damit bin ich gut beschäftigt. Vielleicht ist das meine Trost-Hypothese. Aber ich werde mich dem Problem wieder zuwenden, schließlich ist die Frage immer noch offen: Was finden Weibchen an Männchen, die besser singen lernen? Irgendwas muss es sein, sonst träfen sie die Wahl nicht so. Aber wir wissen noch nicht, was es ist."